Dienstleister für VergeltungDas Geschäft mit der Lust auf Rache

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Illustration; Ein Mann und eine Frau schauen einander abgewandt auf ihre Handys.

Der Vergeltungsimpuls in der Gesellschaft steigt. Manche Agenturen machen ein Geschäft mit der Rache.

Von verbaler Retourkutsche bis zur tödlichen Blutfehde: Der Vergeltungsimpuls in der Gesellschaft ist insgesamt gestiegen. Manche machen daraus ein Geschäft.

Der Ehemann geht fremd, die Nachbarin verbreitet Lügen und der Geschäftspartner ist ein Betrüger: Viele Menschen möchten solchen Personen am liebsten einen Denkzettel verpassen. In Deutschland bieten zunehmend spezielle Agenturen dafür professionelle Hilfe an. Zum Beispiel Thomas Wiele, der sich mit „Racheprofi“ seit mehr als zehn Jahren auf Vergeltung spezialisiert hat.

Der 39-Jährige sieht sich als Dienstleister, der Menschen in emotionaler Not hilft. „Bei uns laufen täglich fünf bis zehn Anfragen ein“, berichtet er. Bei den meisten ginge es um Beziehungsprobleme. Aber auch Nachbarschaftsstreit und Probleme mit Geschäftspartnern würden bei ihm auf der Tagesordnung stehen. Und wie sehen die Dienste aus? „Sie sind alle im legalen Bereich“, versichert Wiele, der seinen Service auch in Österreich und in der Schweiz anbietet. Mit Details hält er sich zurück: „Diskretion gehört bei uns zum Geschäft.“ Und es gebe Tabus: Sachbeschädigung und vor allem körperliche Gewalt sind keine Optionen.

Strafrechtliche Grenzen

Stefanie Siriu, Fachanwältin für Strafrecht, ordnet das Thema wie folgt ein: „Racheagenturen, die sich als professionelle und seriöse Unternehmen bezeichnen, üben für ihren Auftraggeber einen Racheakt gegenüber einem Dritten aus und nutzen dabei die Grenze zwischen Illegalität und legaler moralischer Verwerflichkeit geschickt aus. Sie gehen in der Regel subtil vor, um sich nicht eines strafrechtlich relevanten Verhaltens wie Stalking oder gar Körperverletzung schuldig zu machen. Dabei würden sie auch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen die Unwissenheit des Opfers ausnutzen, um diesen auf emotionaler Ebene zu „verletzen“, so die Anwältin.

Ziel dabei sei, dem „Opfer durch häufige kleine Akte das Leben schwer zu machen, ohne dass ein unmittelbarer Vermögensschaden oder eine körperliche Misshandlung im Sinne des Strafgesetzbuches eintritt.“ Siriu betont: „Der Fantasie sind – bis auf strafrechtliche – keine Grenzen gesetzt.“

Mal süß, mal bitter

Rache – klingt das nach einem moralisch verwerflichen Feldzug? „So einseitig darf man das nicht betrachten“, sagt Prof. Reinhard Haller. Der Psychiater und Psychotherapeut, der sich seit Jahren mit diesem Phänomen beschäftigt, erklärt: „Rache ist ein komplexer Prozess, der ganz unterschiedlich wahrgenommen wird: Man spricht von süßer Rache, von bitterer oder gerechter.“ Sie könne befriedigend sein, triumphal, beschämend, aber auch inspirierend. „Es handelt sich bei der Rache um eine soziale Interaktion, die bestimmt wird von dem Schädigenden, dem Geschädigten und der Art der Vergeltung“, erklärt Haller. Die Bandbreite reiche von verbaler Retourkutsche bis zur tödlichen Blutrache.

„Dabei sind die Motive oftmals dieselben: Einer der wichtigsten Beweggründe für den Geschädigten ist die Wiederherstellung der Gerechtigkeit.“ Außerdem ginge es darum, das ramponierte Selbstvertrauen wiederherzustellen, und um den Wunsch, Genugtuung zu verspüren. Die Mittel dafür können sehr unterschiedlich sein.

Weniger Verhältnismäßigkeit

„Auch Selbstjustiz ist ein Racheakt“, sagt der Wissenschaftler, der dazu nicht zuletzt die Frauenmorde zählt, die gekränkte Partner zu verantworten haben. „Rache zählt zu den wichtigsten kriminellen Motiven“, weiß Haller, der auch als forensisch-psychiatrischer Gerichtsgutachter arbeitet. Er hat festgestellt, dass immer öfter „motivarme Delikte zu überdimensionalen Racheaktionen führen“. Das heißt: „Die Verhältnismäßigkeit zwischen Anlass und Antwort ist verloren gegangen.“

Kränkung, Schuldzuweisung, Beschämung, Undankbarkeit, Mobbing, fehlende Wertschätzung, entzogene Liebe: „Schon wegen kleiner Auslöser wird Rache im großen Stil verübt“, sagt Haller. „Rache spielt im alltäglichen Leben eine zunehmend große Rolle – einerseits, weil die Reaktionen immer extremer werden, andererseits, weil das Rachebedürfnis insgesamt gestiegen ist“, sagt der Psychotherapeut.

„Die Gesellschaft wird zunehmend narzisstisch kränkbar. Vor allem Demütigungen im Netz erzeugen Ohnmachtsgefühle, die sich an anderer Stelle als Aggression zeigen.“ Außerdem habe man heutzutage immer weniger Möglichkeiten, Aggressionen sinnvoll abzubauen. „Vor allem, weil es weniger herausfordernde körperliche Arbeit gibt“, sagt Haller. Die Aggressionen würden sich dann häufig die Rache als Blitzableiter suchen.

Emotionen entschärfen

„Professionelle Hilfe kann helfen, Rachegefühle zu entschärfen“, sagt Psychiater Reinhard Haller. „Zuallererst solle man sie sich bewusst machen“, rät er. „Wichtig ist, dass man sich fragt: Warum trifft mich das so? Warum macht es mich wütend?“ Das Selbstbild reflektieren, sich in Gelassenheit üben: „Wer es schafft, sein Gefühl der Kränkung zu verarbeiten und seinen Impuls zur Vergeltung zu überwinden, der macht einen großen Schritt in seiner Persönlichkeitsentwicklung.“ Er räumt aber auch ein, dass die Rache manchmal ihre Berechtigung hat. „Sie sollte aber nie stärker ausfallen als der Auslöser. Am besten etwas darunter – möglichst mit einem Augenzwinkern.“


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