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Rechtsextremismus und Co.Radikalisierung von Kindern: Was Eltern tun können

Lesezeit 4 Minuten
Extremisten werben modern – Über Soziale Medien versuchen Gruppen gezielt, Jugendliche in ihre Ideologie zu ziehen.

Extremisten werben modern – Über Soziale Medien versuchen Gruppen gezielt, Jugendliche in ihre Ideologie zu ziehen.

Hat Ihr Kind schon mal berichtet, dass es auf dem Schulhof mit (rechts)radikalen Sprüchen konfrontiert wurde? Oder lässt selbst solche Gedanken erkennen? Zwei Experten erklären, was dann wichtig ist.

Über rassistische und rechtsextremistische Parolen von Teenagern wird manchmal hinweggehört. Sind sie „nur“ jugendliche Rebellion oder mehr? Doch wenn Jugendliche im Netz über Gewalttaten prahlen, sind Eltern erschrocken und entsetzt. Erst recht, wenn sie unter Terrorverdacht geraten, wie jüngst, als fünf Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren festgenommen wurden. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

Sie fragen sich, was sie tun können, wenn sich das eigene Kind radikalisiert oder Radikalisierung begegnet. Eine Erziehungsexpertin und ein Streiter gegen Rassismus und Rechtsextremismus geben Rat. 

Radikalisierung tritt nicht von einem auf den anderen Tag auf. Wer ist besonders gefährdet?

„Radikalisierung beginnt mit einem Gefühl, unwichtig zu sein, nicht gesehen oder gebraucht zu werden“, erklärt Erziehungs- und Familienberaterin Kira Liebmann. Denn es sei ein Risikofaktor für Radikalisierung, das man auf der Suche nach Halt und Geborgenheit ist und überhaupt gesehen wird. Radikale Strukturen seien immer so aufgebaut, dass sie verlorenen Jugendlichen das Gefühl geben, wichtig zu sein und sie so angenommen werden, wie sie sind.

Wie lässt sich einer Radikalisierung vorbeugen?

Eltern sollten immer in Beziehung mit ihrem Kind bleiben und nicht den Kontakt verlieren, rät die Erziehungsberaterin. Ganz wichtig sei: Immer zeigen, dass einem das Kind auch wichtig ist und ihm zuhören. 

Und wenn Eltern schon erste Tendenzen zu radikalen Ansichten registrieren, sollten sie sich auch selbst ganz ehrlich hinterfragen: „Was ist mein oder unser Anteil daran? Wie sprechen wir zu Hause über Themen wie Juden, Flüchtlinge oder queere Menschen?“ Vielleicht sei da ja schon mal die eine oder andere „blöde“ Parole gefallen, so Kira Liebmann.

Um die wieder einzufangen, rät sie, neue Wege zu gehen. Etwa das Thema noch einmal aufgreifen: „Was ich da gesagt habe, war großer Quatsch. Dieser Meinung bin ich ja gar nicht.“ Eltern sollten Werte vermitteln und respektvoll über andere Gruppen sprechen. Dazu gehöre auch ihnen beizubringen, „Nein“ zu sagen und eigene Meinungen zu vertreten. „Rassismus ist immer Ausgrenzung. Darüber sollten sich Eltern auch selbst informieren, um sich mit den Kindern auszutauschen“, rät die Familienberaterin. 

Wie merke ich, ob mein Kind rechtsextreme Kontakte pflegt?

„Die Kontaktaufnahme zwischen Rechtsextremen und Jugendlichen erfolgt heutzutage viel über Chats oder soziale Medien“, sensibilisiert Lorenz Blumenthaler von der Amadeu-Antonio-Stiftung. Auch Kontakte im Umfeld der Kinder seien relevant. Daher sollten Eltern darauf achten, mit wem Ihre Kinder oder Jugendliche im Netz sprechen oder mit wem Sie sich treffen.

Aufmerksam sollte man werden, wenn plötzlich neue Kontakte in das Leben des Kindes hinzutreten, sagt Blumenthaler und erklärt: „Hierbei geht es nicht um das Ausspionieren ihrer Kinder, sondern vielmehr um das Ernstnehmen der Tatsache, dass Rechtsextreme bemüht sind, stetig neue Anhänger oder Anhängerinnen zu gewinnen.“ 

Blumenthaler rät daher: mit den Kindern über Populismus und Desinformation sprechen: „Erklären Sie, dass sowohl die NSDAP in den 1920er und 1930er Jahren, als auch Rechtsextreme heute, mit Propaganda versuchen, Menschen für ihre Ideen zu gewinnen. Dabei kann diese Propaganda durchaus modern, spannend, unterhaltsam oder humorvoll sein. Sprechen Sie mit ihren Kindern über die Ziele hinter dieser Propaganda“, so der Stiftungs-Sprecher. 

Wie kann ich helfen, wenn mein Kind auf dem Schulhof mit (rechts)radikalen Aussagen konfrontiert wird?

Wenn ein Kind so etwas mitbekommt, sagt Kira Liebmann, sollte es nicht allein eingreifen - die Rache dafür könnte hinter der nächsten Mülltonne lauern. Stattdessen: Hilfe von Erwachsenen holen, etwa bei Lehrern, Eltern oder Trainern. 

Sie rät auch mit dem Kind darüber zu reden und zu fragen: Was macht das mit Dir? Was denkst Du über die Aussagen? Liebmann: „Letztendlich sollte das Kind bestärkt werden, sich über das Erlebte immer jemanden Erwachsenen anzuvertrauen. Und wenn die erste Person nicht zuhören mag, dann zur zweiten Person zu gehen, die dann hilft.“

Wenn Kinder oder Jugendliche von Angriffen, Anfeindungen gegen sich oder Dritte durch rechtsextreme Personen berichten, sollten Eltern das ernst nehmen, rät auch Lorenz Blumenthaler. „Fragen Sie Ihre Kinder, was Sie tun können. Bieten Sie an, mit Lehrkräften, Schulleitungen oder anderen Eltern über das Problem zu sprechen“, sagt der Rassismus-Experte. Bundesweit helfen spezialisierte Beratungsstellen weiter. 

Wie klärt man Kinder lebensnah über das Thema Rechtsextremismus auf?

Lorenz Blumenthaler rät zum gemeinsamen Schauen von TV-Dokumentation oder gemeinsamen Lesen von Internet-Artikeln. „Sie können auch eine Ausstellung beziehungsweise NS-Gedenkstätte besuchen.“ 

Wichtig ist für ihn auch, dass Eltern mit ihren Kindern über die Betroffenen rechter Gewalt sprechen, da nicht alle Menschen gleichsam durch rechte Angriffe bedroht werden. „Empathie stärkt das Verständnis für Ausgrenzung und beugt Abwertung vor.“. 

Was tun, wenn sich das Kind schon radikalisiert hat?

„Unbedingt Hilfe ins System holen, denn allein ist da nichts mehr machbar“ heißt Kira Liebmanns Rat. Sie empfiehlt Schulpsychologen, Beratungsstellen, Aussteigergruppen, Extremismus- oder Radikalisierungshotlines, etwa die der Beratungsstelle Radikalisierung unter +49 911 9434343. (dpa)