Mit anderen Menschen, die einen Verlust erlitten haben, gemeinsam verreisen - das klingt ungewöhnlich, aber kann für Trauernde genau das Richtige sein. Wann ist der Zeitpunkt dafür gekommen?
Neuer Anbieter wagt AnlaufTrauerreisen: „Es wird viel mehr gelacht als geweint“

Sich nach der Trauer auch wieder dem Schönen im Leben öffnen - das kann in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten leichter fallen.
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Eine Reise mit anderen kann nach einem schweren Verlust ein Anlass sein, um wieder nach vorn zu blicken. Um Freude zuzulassen. Gerade für Menschen, die ihren Partner verloren haben, nun allein sind und eine Brücke zwischen Verarbeitung und neuer Gesellschaft suchen. Hierfür gibt es spezielle Trauerreisen.
Die Trauerbegleiterin Regina Wilsing war schon auf vielen solchen Reisen dabei. Sie ist überzeugt von der Idee. Im Alltag fehlt trauernden Menschen oft ein Raum, wo die Trauer sein darf – und ein offenes Ohr, das zuhört, so Wilsings Erfahrung aus Jahrzehnten Telefonseelsorge und Trauerbegleitung. Denn irgendwann haben viele Trauernde das Gefühl, dass sie anderen mit ihren Gefühlen zur Last fallen und das Verständnis bei den Personen um sie herum quasi aufgebraucht ist.
Auf den Reisen ist das anders: Dort treffen Menschen mit gleichen Bedürfnissen und ähnlichen Erfahrungen zusammen, erzählt sie. „Sie müssen sich nicht erklären, können offen über alles sprechen, sich gegenseitig unterstützen und voneinander lernen.“ In der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, an einem schönen Ort, fällt es dann auch leichter, sich wieder dem Schönen im Leben zu öffnen.
Trauerreisen sollten so konzipiert sein, dass neben anderen trauernden Menschen noch Trauerbegleiter dabei sind, sagt der Trauerforscher und Autor Roland Kachler. Menschen also, mit denen man sich darüber austauschen kann, und die einen professionellen Umfang damit haben. Er sieht die Vorzüge dieser Reisen vor allem darin, dass man über die gemeinsamen Unternehmungen ins Gespräch kommt. „Das ermöglicht eine Offenheit, die sonst im Alltag nach einem Verlust nur schwer zu finden ist.“
Eine kleine Nische
Im Reisegeschäft sind Trauerreisen nur eine kleine Nische. Der Deutsche Reiseverband, in dem viele Veranstalter und Reisebüros organisiert sind, hat keine Informationen dazu. Deutschlands größter Veranstalter Tui hatte um 2010 herum Trauerreisen im Angebot – doch sie wurden mangels Nachfrage wieder abgeschafft.
Lange dabei am Markt war der Anbieter Re-Bo-Reisen, bei dem auch Regina Wilsing Trauerreisen begleitet hat. Re-Bo hat den Betrieb eingestellt. Mit Neustart-Reisen nimmt nun ein neuer Anbieter einen Anlauf.
Die erste Reise soll im Spätherbst nach Zypern gehen, mit maximal 14 Teilnehmern und zwei Trauerbegleiterinnen. „Es ist kein Seminar zur Trauerverarbeitung, sondern es geht um den Neustart“, sagt Gründerin Renate Pomorin, die mehr als 30 Jahre Erfahrung im Reisebürogeschäft hat.
„Der Start bringt bereits erste schöne Rückmeldungen“, sagt sie. Auch wenn es für noch nicht alle geplanten Reisen genug Nachfrage gibt. Pomorin ist sich bewusst: „Es braucht Zeit, um für dieses besondere Angebot die richtigen Menschen zu erreichen, und diese Zeit nehmen wir uns. Wir blicken mit Zuversicht auf das, was sich entwickeln darf.“
Nicht allein unterwegs sein – auch darum geht es
Nach Einschätzung von Roland Kachler sind es oft Menschen, die einen Partner verloren haben, die sich auf eine Trauerreise begeben. Auch auf der Internetseite von Neustart-Reisen steht prominent: „Begleitete Reisen für Menschen, die einen geliebten Partner verloren haben“.
Zwischen ungefähr 50 bis 80 Jahre alt seien die Menschen auf den Trauerreisen gewesen, die sie bisher begleitet habe, sagt Regina Wilsing. Oft waren sie ihr Leben lang mit dem Partner gereist. Und wenn sich irgendwann nach der Trauer auch wieder der Ruf nach Leben und Reisen meldet, ist da das Bedürfnis, aber zugleich auch eine Schwierigkeit: mit wem? Hier setzen Trauerreisen an.
Und wer nun denkt, die Stimmung unterwegs sei gedrückt, der irrt, sagt Wilsing: „Auf diesen Reisen wird viel mehr gelacht als geweint.“ Freundschaften entstünden, viele blieben danach in Kontakt.
Wann die Zeit für eine Reise gekommen ist
Den einen richtigen Zeitpunkt, um nach einem Verlust eine Reise zu machen, gibt es nicht. Einig sind sich die Fachleute nur darin: Zu früh nach dem Todesfall sei es nicht empfehlenswert. „Mindestens ein halbes Jahr sollte vergangen sein, damit die erste Trauerphase abgeschlossen ist und es für einen wirklich Realität geworden ist, dass derjenige gestorben ist“, sagt Wilsing.
Wobei sie auch schon eine Frau auf einer Reise dabeihatte, deren Verlust erst drei Monate her war, und die, so erinnert sich Wilsing, sagte: „Das war die beste Entscheidung meines Lebens.“
Nach Erfahrung von Roland Kachler sind viele Trauernde im ersten Jahr nach dem Verlust noch nicht bereit für so eine Reise – da sind erstens die vielen konkreten Aufgaben, die man nach dem Tod etwa des Lebenspartners lösen muss. Und es passt nicht zur Stimmung und zum Gefühl der Trauer, so nach außen zu gehen: „Viele Trauerende wollen auch die Nähe zum Grab oder in der Wohnung bleiben. Sie würden eine Reise als eine Art Verrat am verstorbenen nahen Menschen erleben.“
Aus all den Gründen empfiehlt der Trauerforscher nicht, Reisen als Ablenkung von der Trauer zu machen. Sätze wie: „Schalt mal den Kopf frei und mach Urlaub“, sollte man trauernden Menschen nicht mitgeben – wann sie bereit dafür sind, entscheiden sie selbst. Kommt irgendwann das Gefühl, sich wieder öffnen zu wollen für Schönes und andere Menschen, können Trauerreisen dann aber eine gute Brücke sein, so Kachler.
Eine Trauerreise im Kleinen
Es muss ja nicht gleich eine organisierte Veranstalterreise über ein oder zwei Wochen sein. Vielleicht findet man zunächst den Weg in eine Trauergruppe, und fährt mit den Menschen, die man dort trifft, mal ein Wochenende weg, schlägt Kachler vor.
Träger wie Diakonie, Caritas oder Hospize bieten auch Trauerwanderungen an, so der Trauerforscher weiter. „Weil insgesamt die Einsicht gewachsen ist, dass man über eine gemeinsame Aktivität, oft sehr viel leichter ins Gespräch kommt.“
Ob Wanderung, Radtour oder Wochenendausflug: Das sei dann, sagt Kachler, „sozusagen die kleine Form der Trauerreise“. (dpa)