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ErziehungSollen Kinder ohne Spielzeug spielen?

Lesezeit 4 Minuten

Kinderspielzeug, das nicht (mehr) genutzt wird.

Vor ein paar Tagen kam eine Mail aus der Kita: Das Spielzeug kehrt nun doch nicht zurück. Ich war genervt. So war das nicht vereinbart gewesen.Im Frühjahr hatte die Kita eine „spielzeugfreie Zeit“ beschlossen, ein Projekt, das seit Jahren durch deutsche Kindergärten geistert und, wie es scheint, auch der pädagogische Trend des Jahres 2012 in Berlin-Prenzlauer Berg ist. Klingt gut, dachte ich anfangs. Wir Generation-Golf-Eltern finden ja alles erst mal großartig, was an unsere von uns idealisierte Kindheit erinnert, an diese reduzierte, analoge Welt. Am Elternabend fehlten wir, waren aber sicher, mindestens eine eifrige Mutter oder ein Vater würde schon wichtige Fragen klären und etwaige Bedenken.

Anfang Mai ging es los. Den größeren Kindern wurde erklärt, was sie erwartet, es war aufregend. Einen wöchentlichen Waldtag sollte es geben. Die Bauklötze, Puppen, Autos und Malstifte würden in den Keller wandern. Für knapp drei Monate, bis zu den Ferien. Einzig die Möbel durften bleiben und Dinge wie Decken, Kissen, Klammern, Seile, Kartons und Papprollen. Dinge ohne direkte Funktion, nichts Vorgefertigtes, so lautete die Regel.

„Lebenskompetenzen aufbauen“

„Durch die entstandene Leere sind die Kinder auf sich selbst, ihre eigenen Ideen, Wünsche, Stärken und Schwächen gestellt und werden gemeinsam die neue Situation gestalten“, stand auf einem Infoblatt der Kita. „So werden langfristig und kontinuierlich Lebenskompetenzen aufgebaut.“ Zieht man 50 Prozent Pädagogensprache ab, dachten wir, bleiben immer noch 50 Prozent, die vernünftig klingen. Später machte ich mich im Internet schlau. Das Projekt gelte als einer der besten „suchtpräventiven Ansätze“ im Kindergartenbereich, heißt es da. Ursprünglich kommt die Idee aus der Erwachsenenwelt. In der Suchtprävention hatte man gute Erfahrung mit dem Wegnehmen von scheinbar unabkömmlichen Dingen gemacht. Und irgendwann in den 90er Jahren dachte eine Mitarbeiterin im Gesundheitsamt von Weilheim-Schongau in Bayern, warum nicht mit Kindern ausprobieren, wie das geht: Frustration und Langeweile aushalten. 1999 wurde die spielzeugfreie Zeit in die Liste „effektive Modellprojekte“ in Europa aufgenommen. Ob es unseren Vierjährigen davor bewahren wird, später zum Kettenraucher oder zum Kiffer zu werden?

Wie Manager, die ins Kloster gehen

Ein bisschen lächeln mussten wir schon. Das Ganze roch ideologisch, nach Managern, die ins Kloster gehen, um sich selbst zu finden. Aber angeblich haben ja auch Kinder nach einem Kita-Tag den Stresspegel eines Managers. Und vielleicht, dachten wir, ist das Projekt das Richtige für Eltern, die täglich viel unter einen Hut stopfen. Die am Abend oft ein schlechtes Gewissen haben und am Laptop das Wochenendhäuschen in der Uckermark suchen. Dort draußen könnten die Kinder einfach nur rumstromern, wie wir früher.

Als der erste spielzeugfreie Tag zu Ende war, war nicht ganz klar, ob die Kinder oder die Erwachsenen einen angestrengteren Eindruck machten. Die Kita wirkte verlassen. Hallte es in den Räumen? Der jüngere Sohn ist gerade zwei geworden. Er spielt von früh bis spät mit Autos. „Tatutatas“, sagte er bis vor kurzem. Und die waren nun weg. Das wurde uns erst jetzt so recht klar. Dennoch bemühten wir uns mit den anderen Eltern um gute Miene. Es musste eben gelingen, dem Zweijährigen zu vermitteln, dass diese Leere keine Bestrafung ist. Und dem Großen musste erklärt werden, dass das jetzt gut ist, wenn er nichts mit sich anzufangen weiß. „Kinder müssen sich auch mal langweilen können“, sagte ich tapfer zur Erzieherin.

Elternvorschläge sind nicht erlaubt

Ein paar Wochen später. Ihr Sohn Arthur klage über Langeweile, sagt mir Eva, sie ist Controllerin. Eine andere Mutter erzählt, ihre Tochter Ella mache keinen Mittagsschlaf mehr. Die Ruhephase ist aber Pflicht. Ob ein Hörspiel erlaubt sei, fragt sie jetzt doch nach, obwohl Elternvorschläge im Projekt nicht erlaubt sind. Es soll ja alles von den Kindern kommen. Leider nicht, nur Musik kann zur Entspannung gehört werden. Warum Musik erlaubt ist und Geschichten nicht, leuchtet uns nicht richtig ein. Vielleicht schummeln die Erzieher selbst ein bisschen.

Unser Jakob sitzt morgens bis zur letzten Minute bei seinen Autos, sonst hat er sich ganz gut eingerichtet. Der Große ist ja nie so gesprächig. Und mit Fragen löchern wollen wir auch nicht. Leider fallen zwei Erzieherinnen kurzfristig aus und damit auch die Ausflüge in den Wald. Von dort sollten die Fundstücke aus der Natur kommen. Die geplante Biberburg wird nun doch nicht gebaut. Schade, der ältere Sohn erzählt nicht viel, aber von der Biberburg hatte er berichtet. Die anderen Erzieher klagen über Überarbeitung, die Stimmung ist öfter gereizt. Auch bei den Eltern. Es ist stressig, zwischen Tür und Angel, wenn ein Kind oder zwei sofort am Rockzipfel hängen, nach dem Projektstand zu fragen.

Es gibt auch schöne Szenen, wir versuchen, sie wahrzunehmen, aber sie gehen ein wenig unter. Der Lieblingsplatz der Jungs ist gerade der Tisch hinter einer Tür, wacklige Kinderstühle mit Piraten drauf, an einem Stock baumelt ein Band, die Angel, unten tost das Meer, hörst du es nicht?

Lesen Sie hier den zweiten Teil