Obwohl Gewalt gegen Kinder fatale Folgen hat und verboten ist, findet beispielsweise der „Klaps auf den Hintern“ noch immer Fürsprecher.
Klaps, Ohrfeige, AnschreienSo stehen die Deutschen zu Gewalt in der Erziehung – das sagt das Gesetz

Ein junges Mädchen hält sich die Hände vor ihr Gesicht. Noch immer werden Kinder zu Hause geschlagen und angeschrien. (Symbolbild)
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Jeder Dritte findet einen „Klaps auf den Hintern“ bei der Erziehung von Kindern in Ordnung. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Kinderhilfswerks Unicef Deutschland und der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm. Dabei ist gewaltfreie Erziehung seit 25 Jahren im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert. Dort werden die zivilrechtlichen Verhältnisse geregelt.
Der Aussage „Ein Klaps auf den Hintern hat noch keinem Kind geschadet“ stimmten bei der Untersuchung 36,9 Prozent der Befragten zu. Die Ohrfeige verteidigten laut Kinderhilfswerk noch 17 Prozent. Vor fünf Jahren gab noch etwa die Hälfte an, dass sie diese Form der Gewalt für angemessen halten (52,4 Prozent). Gegenüber einer „Tracht Prügel“ äußerten sich 5,4 Prozent der Befragten zustimmend – laut Unicef ein Tiefpunkt.
Das Gesetz war ein wichtiger Wegweiser, sagt Unicef
Dass sich die Zahlen generell reduziert haben, heben die Verantwortlichen der Studie positiv hervor. Das Gesetz sei dabei ein wegweisendes Signal gewesen. „Gewalt als Mittel der Erziehung ist niemals zu rechtfertigen und jedes Kind hat das Recht auf Schutz vor jeglicher Form von Gewalt“, so Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland.

Nina Restemeyer ist Rechtsanwältin in Köln und Expertin für Familienrecht.
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Doch was ist eigentlich Gewalt? Eine Begriffsbestimmung findet man im Gesetzbuch dazu nicht. „Die Rechtsprechung hat aber eine Definition herausgearbeitet, die man auch im Studium auswendig lernt: jede körperlich wirkende Zwangseinwirkung auf eine Person, durch die ein tatsächlicher körperlich wirkender Zwang ausgeübt wird, um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden“, sagt die Kölner Anwältin Nina Restemeyer.
Wer sein Kind schlägt, macht sich also auch strafrechtlich schuldig. „Jedes Verhalten, was dazu geeignet ist, einen Straftatbestand zu erfüllen, kann angezeigt werden“, sagt Nina Restemeyer. „Hier kommen regelmäßig die Tatbestände Körperverletzung, Misshandlung von Schutzbefohlenen, Verletzung der Fürsorgepflicht oder auch sexueller Missbrauch in Betracht.“ Dabei könne eine Anzeige von jedem erfolgen: Bekannten, Freunden, Nachbarn, Erziehern oder Lehrern.

Häufig sind persönliche Belastungen und Überforderungssituationen von Eltern Auslöser schwerwiegender Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern. (Symbolbild)
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„Das Strafmaß reicht von sechs Monaten bis über mehrere Jahre Freiheitsentzug“, so die Familienrechts-Expertin. Aber noch immer hält ein Teil der Bevölkerung an körperlichen oder emotionalen Strafen in der Kindeserziehung fest. 2.530 Menschen zwischen 16 und 92 Jahren gaben für die Unicef-Studie Auskunft. Weitere Erkenntnisse: Generell lehnten Frauen emotionale und körperliche Strafen häufiger ab als Männer. Und: Je älter die Befragten waren, desto eher fanden sie Gewaltanwendung angemessen.
Gewalt in der Erziehung vererbt sich weiter
Warum ist das so? Das liegt nach Angaben von Experten auch daran, dass sich Gewalt in der Erziehung oft weitervererbt. Wer selbst geschlagen wurde, hat selten gelernt, wie man mit Wut oder Frust auf gesunde Weise umgeht. Den Betroffenen fehlte dementsprechend ein positives Erziehungsvorbild. Deshalb greifen sie dann als Elternteil womöglich wieder zu Gewalt, schlagen zu oder schreien.
Hinter der Haltung „Mir hat es nicht geschadet“ verbirgt sich oft tiefes, unausgesprochenes Leid. Eine Therapie kann helfen, die eigenen Traumata aufzuarbeiten. In Elternkursen oder bei einer Beratungsstelle können neue Strategien für den Umgang mit Stress erlernt werden, um den Kreislauf zu durchbrechen. Denn Kinder haben ein Recht darauf, gewaltfrei aufzuwachsen. Und das schließt auch den „Klaps auf den Hintern“ aus.
Warum Gewalt gegen Kinder überhaupt nichts bringt
Gewalt ist Gewalt – entscheidend ist nicht, wie viel Kraft aufgewendet wird. Sie könne bereits dort beginnen, „wo kindliche Grundbedürfnisse wie Respekt, Sicherheit, körperliche Unversehrtheit und emotionale und soziale Unterstützung nicht erfüllt werden“, schreibt Unicef. Dabei umfasst emotionale Gewalt beispielsweise Anschreien, Drohungen oder Liebesentzug. Alle Formen der Gewalt gegen Kinder sind nicht nur moralisch und rechtlich unzulässig, sondern auch als Erziehungsmethode völlig ungeeignet.
Ein Klaps, eine Ohrfeige oder Schreie bewirken genau das Gegenteil von dem, was sich viele Eltern erhoffen: Statt Gehorsam oder Einsicht zu fördern, versetzen sie das Kind in einen akuten Stresszustand, der jede Lernfähigkeit blockiert. Das Kind erstarrt, weint oder zieht sich zurück – es versteht nicht, was es hätte anders machen sollen.
Studien zeigen, dass Kinder, die Gewalt erleben – sei es körperlich oder verbal –, deutlich häufiger zu aggressivem oder auffälligem Verhalten neigen. Andere wiederum reagieren mit Rückzug, Depression oder Selbstverletzung. Die Fähigkeit, Emotionen zu regulieren, wird massiv gestört. Das hat Folgen bis ins Erwachsenenalter.
Wann das Jugendamt eingeschaltet werden sollte
- Bei Kindeswohlgefährdung ist das Jugendamt am Zug: Die liegt vor, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes durch das Verhalten oder Unterlassen der Erziehungsberechtigten oder anderer Personen gefährdet ist (§ 8a SGBSGB VIII).
- Natürlich kann das Jugendamt auch dann eingeschaltet werden, wenn ein Kind Auffälligkeiten aufweist – im Verhalten, durch Verletzungen oder andere Hinweise auf Verwahrlosung. Das Jugendamt wird auch tätig, wenn Hinweise von Dritten eingehen.
- „Wenn Gefahr im Verzug ist, kann das Jugendamt sofort tätig werden, ansonsten kann ein gerichtliches Verfahren eingeleitet werden und/oder die Polizei entsprechend informiert werden“, sagt Rechtsanwältin Nina Restemeyer.