Kölner Expertin für Online-Dating„Manchmal verlieben wir uns in einen Menschen, den es so gar nicht gibt“

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A woman smiling while lying on her bed at home and messaging on an online dating app using her smartphone.

9300 Swipes schafft man in vier Wochen locker. Bis zum Date ist der Weg dennoch steinig.

Online-Dating-Expertin Wera Aretz von der Kölner Hochschule Fresenius gibt Tipps für die Suche – und sagt, welchen Risiken man sich aussetzt.

Frau Aretz, gibt es überhaupt noch Menschen, die sich analog kennenlernen?

Ja, auch wenn Online-Dating kontinuierlich und stark wächst. In diesem Jahr teilen sich „Online-Dating“ und „über Freunde und Bekannte“ erstmals Platz eins der Antwort auf die Frage „Wo haben Sie sich kennengelernt?“

Warum ist Online-Dating so erfolgreich?

Es wirkt vor allem erstmal extrem pragmatisch. Ich kann jederzeit swipen, zu Hause beim Kochen für die Kinder, zwischen zwei Zoom-Meetings im Büro, abends beim Fernsehen. Außerdem erweitere ich meinen Radius enorm. Sowohl örtlich als auch soziokulturell. Wenn man seinen Partner im Büro findet, dann wohnt der wahrscheinlich im selben Ort, hat einen ähnlichen Beruf. Übers Netz kann ich aber auch jemanden aus Soest finden oder Tokio. Insofern führt Online-Dating in gewisser Weise auch zu einer stärkeren gesellschaftlichen und kulturellen Durchmischung. Der Charme ist auf jeden Fall die Entgrenzung.

Kann es nicht auch den umgekehrten Effekt haben und klassische Rollenbilder verstetigen? Wenn ich nur nach Frauen unter 40 suche, dann entgeht mir vielleicht die atemberaubende 41-Jährige.

Das stimmt. Wir nennen das Evaluierungseffekt. Der besagt, dass wir Merkmale umso wichtiger nehmen, je einfacher wir sie vergleichen können. Wir haben das Gefühl, wir wissen, was wir suchen und sortieren alles andere aus. Das vermittelt uns das Gefühl von Kontrolle, auch wenn das natürlich eine Illusion ist. Wenn im Dating-Portal also steht, dass Er 1,78 Meter groß ist, ich mir aber einen Mann ab 1,80 Meter wünsche, dann klicke ich ihn weg. Auf einer Party wären mir die fehlenden zwei Zentimeter gar nicht aufgefallen. Und vielleicht wäre mir auch egal gewesen, dass er eine andere Partei wählt als ich, weil ich das erst nach dem Verlieben erfahren hätte. Es gibt deshalb auch häufig Fälle von glücklichen Partnerschaften, die wissen: Online hätten wir uns nie kennengelernt.

Wera Aretz lacht in die Kamera

Wera Aretz ist Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Fresenius in Köln.

Sie sagen, Online-Dating wirkt erstmal pragmatisch. Ist es das am Ende gar nicht?

Das kommt darauf an, wie man es betrachtet. Die Menge an Menschen, die ich hier theoretisch kennenlernen kann, ist natürlich jeder analogen Möglichkeit weit voraus. Wir haben mal ausgerechnet: Wer zehn Minuten am Tag auf Tinder unterwegs ist und sich für jedes Profil zwei Sekunden Zeit nimmt, der schafft so in vier Wochen 9300 Leute. Das ist toll. Allerdings ist der Aufwand, den ich betreiben muss, um am Ende mal jemanden zu finden, der einen Glühwein mit mir trinkt, relativ hoch. Erstmal: Ich brauche gute Bilder für mein Profil, einen originellen Text. Dann: Nur ein winziger Prozentsatz dieser durchgeswipten Profile ergibt ein Match, im Schnitt ein Match pro Tag, da sind wir schon im Promillebereich. Dann muss man schriftlich Kontakt aufnehmen. Anders als in der analogen Welt reicht kein Lächeln und auch kein „Na, wie gehts?“ Da muss man schon etwas individueller und kreativer vorgehen. Bis es dann wirklich zu einem Treffen kommt, gilt es noch einige Kränkungen durchzustehen. Am Ende wird man vielleicht sogar geghostet.

Hinterlässt das Spuren auf lange Sicht?

Das könnte sein. Bislang gibt es keine gesicherten Daten dazu. Aber wir führen gerade eine Studie durch zum Phänomen des Dating-Burnout. Bislang ist es nur eine Hypothese, aber die Vermutung ist, dass exzessives Online-Dating zu Erschöpfung und Überlastung, zu Empathieverlust und Leistungseinbußen führen könnte. Wie ein Burnout im Job eben auch.

Wie nutze ich die Vorteile des Online-Datings, ohne an den Nachteilen allzu großen Schaden zu nehmen?

Wichtig ist: Suchen Sie die Plattform, auf der Menschen mit gleichen Motiven unterwegs sind. Wer eine feste Partnerschaft sucht, der kann auf Tinder Glück haben, aber man sollte wissen, dass dort fast die Hälfte gar nicht Single ist. Viele suchen nur Bestätigung oder wollen ihren Marktwert testen. Dann: Machen Sie ein vorteilhaftes Foto, aber widerstehen Sie der Versuchung zu übertreiben. Männer mit riesigem, selbst gefangenem Fisch, im Luxusauto, auf dem Boot oder mit zur Schau gestellten Muskeln sind verbreitet, wirken aber nicht unbedingt sympathisch. Geben Sie sich beim Profiltext richtig Mühe, aus den Tausenden anderen rauszustechen. Das ist wie beim Bewerbungsschreiben. Und wenn es zu einem Match kommt: Führen Sie einen schnellen Medienwechsel herbei. Also telefonieren Sie oder treffen Sie sich schnell.

Warum das?

Wenn die digitale Kommunikation nett ist, tritt oft der Enthemmungseffekt ein. Das heißt: Dadurch, dass wir den anderen nicht sehen und hören, schmücken wir diese fehlenden Ebenen mit unserer Fantasie aus. Das wiederum führt dazu, dass wir uns in einen Menschen verlieben, den es so vielleicht gar nicht gibt. Das Wechselbad der Gefühle ist bei Online-Dating deshalb oft schlimmer. Wenn wir dann vom anderen ohne Begründung gelöscht werden, ist der Schmerz groß.

Es gibt die Vermutung, dass die Online-Dating-Generation auch eine beziehungsunfähige Generation ist. Was denken Sie?

Das untersuchen wir in unserer Studie tatsächlich auch. Ich würde nicht so weit gehen. Was man aber vielleicht sagen kann ist, dass die Digitalisierung uns insgesamt ungeduldiger gemacht hat. Auch in der Liebe. Alles muss sofort sein und alles muss toll sein. Beziehungen sind aber Arbeit. Sie erfordern Geduld, wer sich aufeinander einlassen möchte, braucht Zeit. Und er muss auch Durststrecken überwinden.

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