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„Komm Schatz, ich mach das!“Bremsen Mütter in der Erziehung wirklich die Väter aus?

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Will die Mama das Baby für sich - oder interessiert sich der Vater nicht genug?

Köln – Eine Szene im Alltag frischgebackener Eltern. Mama rauscht ins Zimmer, rollt die Augen, nimmt dem Vater das Baby aus dem Arm, sagt so etwas wie „Komm, ich mach das lieber selbst“ und schreitet zur Tat.

Lieb von ihr, dass sie den Mann entlastet? Nicht unbedingt. Denn das kann auch anders verstanden werden: Die Mutter kommt dem Vater zuvor und schränkt ihn bei der Ausübung seiner erzieherischen Pflichten ein. In dem, was sie sagt, könnte man auch Folgendes hören: „Ich kann das besser, du machst es sowieso falsch!“ Der Vater wird von der Frau zum Elternteil zweiter Klasse degradiert, sie sieht sich als uneingeschränkte Expertin im Bereich Kind.

Mutter steuert den Zugang zum Kind

Für ein solches Verhalten hat die Soziologie vor vielen Jahren bereits einen Begriff gefunden: „maternal gatekeeping“. Die Mutter bewacht demnach „die Pforte zum Kind“. Sie reißt rund ums Baby vieles an sich, setzt übertrieben hohe Standards für die Erziehung, die der Vater nie erfüllen kann. Sie drängt ihn vom Kind weg und blockiert seine Verantwortung. In der entsprechenden US-Studie aus dem Jahr 1999, bei der 622 Doppel-Verdiener-Paare befragt worden waren, stellten sich am Ende 21 Prozent der Mütter als sogenannte „gatekeepers“ heraus.

Warum Mütter sich angeblich so verhalten, dafür gibt es viele Erklärungen. Manche, so heißt es, würden sich stark über die Kinder definieren und wollten ihre Domäne verteidigen. Ihre Pforte hüteten sie, einer US-Studie von 2003 zufolge, umso sorgfältiger, je weniger der Vater zuhause ist und sich tatsächlich bei Kindern und Haushalt einbringe - also sogar, wenn ihr Bereich gar nicht gefährdet ist.

Ist „gatekeeping“ wirklich ein verbreitetes Phänomen?

Aber ist „maternal gatekeeping“ wirklich ein ernst zu nehmendes Problem, ein verbreitetes Phänomen im Alltag junger Eltern? Sind die Väter häufig Opfer des Kontrollzwangs der Mutter? Und bewachen Mamas wirklich das Tor zum Kind?

„In meinem Beratungsalltag habe ich die Problematik des maternal gatekeepings so noch nie erlebt“, sagt Michaela Herchenhan, Paar- und Familientherapeutin und familienpolitische Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF). Natürlich könne es das geben, dass eine Mutter, bedingt durch eine Identitätsstörung, ihre Kinder ganz nah bei sich halte und sie nicht abgeben wolle - das komme aber nur ganz selten vor. „Bei den Familien, mit denen ich zusammenarbeite, ist eher das Gegenteil der Fall: Mütter fühlen sich in der Erziehung allein gelassen, weil Väter sich in ihrer Vaterrolle nicht genug engagieren.“

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Warum lässt sich der Mann wegschieben?

Wird mit dem Begriff des „gatekeepings“ also ein Phänomen hochgehalten, das den Müttern grundsätzlich den schwarzen Peter zuschiebt? Vielleicht. So ganz aus der Luft gegriffen ist die These von der mütterlichen Steuerung aber wohl nicht. Dass Frauen dazu neigen können, vieles „schnell selbst zu machen“, erwiesenermaßen mehr im Haushalt erledigen, den Familienalltag komplett planen und den Vater oft nur „ausführen“ lassen, das kommt selbst in gleichberechtigten Haushalten nicht selten vor.

Natürlich gebe es das, sagt auch Paartherapeutin Herchenhan. Das sei aber noch keine Störung, sondern eine Dynamik, die zwischen dem Paar ablaufe und beide Partner betreffe. „Die zentrale Frage ist ja: Was lässt sich der Mann zumuten? Warum lässt er sich wegschieben? Wie stark kämpft er für seine wichtige Rolle innerhalb der Familie?“

„Jeder Vater, der sich bemüht, wird seinen Platz finden“

Es ist inzwischen längst erwiesen, dass Väter für das Aufwachsen der Kinder genauso wichtig sind wie Mütter. Anstatt es hinzunehmen, dass die Frau mehr mit den Kindern mache, könne der Mann auch mehr einfordern und sagen: „Stopp, ich bin genauso wichtig, ich bleib da“, so Michaela Herchenhan. „Ich denke, jeder Vater, der sich bemüht, kreativ ist und sich nicht wegdrängen lässt, wird auch seinen guten Platz in der Familie finden.“

Anders als im Beruf ließen sich Väter im System Familie viel leichter ihres Platzes verweisen. Häufig hätten sie keine Lust, mit der Mutter zu kämpfen. „Ich erlebe oft, dass Männer sich relativ schnell verletzt fühlen und sich zurückziehen, wenn sie nicht die Aufmerksamkeit und die Bedingungen bekommen, die sie als Vater brauchen.“

Ermutigung durch die Frau führt zu mehr väterlichem Engagement

Frauen sollen für die Väter also erst den richtigen Rahmen schaffen? Dass die Mutter großen Einfluss darauf hat, wie sehr sich der Vater in die Erziehung einbringt, bestätigt auch eine US-Studie aus dem Jahr 2008. Unter ständiger mütterlicher Kritik, so ein Ergebnis, zögen sich selbst Väter zurück, die sich ursprünglich vorgenommen hatten, sich intensiv um die Kinder zu kümmern. Auf der anderen Seite stellte die Studie fest, dass Ermutigungen von Seiten der Frau einen noch viel größeren und positiven Effekt auf die Väter und ihren Einsatz für das Kind hatten.

Eins ist sicher, der Schlüssel zum gemeinsamen Elternsein liegt im Paar selbst, in der Teamarbeit. Und die muss sich erst einmal finden, wenn plötzlich Kinder dazu kommen. Gerade die erste Zeit mit Baby sei eine ganz kritische Phase, sagt Herchenhan. „Die Wendezeit hin zur Familie ist eine der größten Veränderungen, die ein Paar überhaupt erlebt.“ Biologisch bedingt stünde das Kind anfangs näher bei der Mutter. Dass der Vater sich etwas am Rand fühle, sei in dieser Situation normal. Das Paar müsse dann aber eine konstruktive Elternebene schaffen und lernen, gemeinsam zu verhandeln, wer für was zuständig ist und wie man sich unterstützen kann.

Männer müssen sich mehr einmischen

Inwieweit das gelinge, hänge auch davon ab, welche Rollenbilder die Partner jeweils als Kind vermittelt bekommen haben. Und auch ganz konkret vom Lebensmodell. Wenn beide Eltern etwa gleich viel arbeiteten, sei auch die Chance höher, dass beide auch beim Kind mitbestimmen wollen, so die Paartherapeutin. Das Ziel ist indes ganz klar: „Der Hauptfokus sollte darauf liegen, dass das Kind beide Eltern hat.“

Auch auf gesellschaftlicher Ebene ist noch viel Raum für Veränderung. Hier halten Frauen immer noch die Vormachtsstellung im Bereich Erziehung. Damit sich daran etwas ändern könne, brauche es viel mehr Männer in Grundschulen und Kitas, sagt Herchenhan. „Ich würde mir bei allem, was mit unseren Kindern geschieht, viel mehr die männliche Meinung und den männlichen Blick wünschen. Unsere Männer müssen sich einfach mehr einmischen.“

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