Paartherapeut„Die Partnerschaft sollte in der Familie auf Platz eins sein – vor den Kindern“

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Ein Paar kuschelt, während ihr Baby schläft.

Es ist eine Herausforderung, sich als Paar im vollen Elternalltag nicht zu verlieren.

Eltern sind geforderter denn je. Wo bleibt bei all dem Krisenmanagement Raum für die Partnerschaft? Paartherapeut Helmut Flecks gibt Tipps.

Als hätten Eltern nicht schon genug auf ihrer To-do-Liste – in letzter Zeit kommen immer neue Herausforderungen dazu: Sie sollen die Betreuungsmängel in den Kitas auffangen, die schulischen Lücken ihrer Kinder schließen, andauernde Krankheitswellen aussitzen und die gestiegenen Lebenskosten finanzieren. Kurzum: Eltern sollen bitte noch mehr selbst betreuen und noch mehr arbeiten. Viele kommen täglich an ihre Grenzen. Und zahlen den Preis oft schleichend. Denn im Spagat zwischen den tausend Stühlen fällt oft vor allem eins hinten über: die Partnerschaft.

„Man könnte sagen, Elternpaare stecken gerade wirklich in der Krise, vor allem wenn beide berufstätig sind“, sagt Psychologe und Paartherapeut Helmut Flecks, „denn die Anforderungen an sie als Eltern haben sich vielfach verschärft.“ Durch diese vermehrte Belastung erhöhten sich der Druck und das Stresslevel in den Familien. „Es gibt mehr Streit und Resignation. Die Eltern sind oft emotional weniger stabil, sie gehen eher mal in die Luft oder ziehen sich zurück.“ Als Reaktion darauf verhielten sich dann auch die Kinder nicht selten herausfordernder. „Das System Familie schaukelt sich hoch.“

Eltern bewältigen alle Aufgaben, aber vergessen die Partnerschaft

Irgendwie ziehen die meisten Eltern den täglichen Wahnsinn trotzdem durch und balancieren zwischen Aufgaben, Hürden und Konflikten. Und sie setzen dabei in der Regel klare Prioritäten. „Eltern versuchen, die vielen Aufgaben zu bewältigen, die Arbeit zu schaffen und bestmöglich für ihre Kinder da zu sein, doch die Partnerschaftsebene wird wenig gelebt“, sagt Flecks. Dann redeten Partner nicht mehr richtig miteinander und seien auch physisch immer distanzierter. „Genau das ist fatal, denn sie verlieren zunehmend die emotionale und körperliche Nähe zueinander.“

Die Auswirkungen zeigten sich auch konkret im Alltag. „Wenn diese Nähe abnimmt, können Partner auch weniger gut Konflikte miteinander lösen.“ Ein Teufelskreis: Denn gerade das sei in Zeiten dauernder Herausforderungen besonders nötig. „Zudem schlucken die Partner Gefühle und Gedanken einfach herunter, weil gar kein Raum und keine Energie mehr da sind, darüber zu sprechen.“ So könnten sich Frust und Unzufriedenheit aufstauen, die sich wiederum in der Familie entladen würden. „Häufig wird in angespannten Momenten der Fehler dann beim anderen gesucht.“

Körperliche Nähe und echte Gespräche sind wichtig für die Beziehung

Es ist also wichtig, die Nähe zum Partner zu pflegen. Doch wer selbst im Familienalltag ständig wie die Eier legende Wollmilchsau herumflitzt, um fremde Bedürfnisse zu erfüllen, weiß auch zu gut, wie schwierig Gelegenheiten dafür zu finden sind. Schließlich ist schlicht zu wenig Zeit da. Bleibt nach einem vollen Tag abends nur eine Stunde übrig, möchte man verständlicherweise oft einfach nur noch alleine sein. Außerdem lassen sich Zweisamkeit und Lust gar nicht so leicht per Knopfdruck anknipsen, wenn spontan ein Zeitfenster entsteht.

„Paare sollten sich nicht noch zusätzlich Druck machen. Um eine gewisse Nähe miteinander zu halten, muss es nicht ständig etwas Spektakuläres geben“, sagt Helmut Flecks, „statt wilder Sex ist es auch schon ein guter Anfang, regelmäßig intensiv zu kuscheln.“ Es gehe einfach darum, sich körperlich zu spüren und zu riechen, Haut auf Haut zu sein. „Auch leichte Momente schaffen Verbindung, wenn man zum Beispiel miteinander Quatsch macht, ein lustiges Spiel spielt oder draußen zusammen in Bewegung ist.“

Vor allem baue sich Nähe aber durch intensive, emotionale Gespräche auf. Dazu sollten sich die Partner im besten Fall etwa einmal die Woche zusammensetzen oder sogar verabreden. „Bei diesen Unterhaltungen stehen einmal nicht die Terminplanung oder die Kinder im Vordergrund, sondern die Frage, wie es beiden geht“, erläutert Helmut Flecks. „Jeder Partner erzählt, was ihn oder sie beschäftigt und gibt zudem Rückmeldung, wie er oder sie das Gegenüber erlebt. Man bringt sich sozusagen auf Stand über die eigene Gefühlswelt.“ Nicht selten zeige sich dabei, wie unterschiedlich Situationen von den Partnern wahrgenommen würden. Darüber zu sprechen, könne mögliche Konflikte verhindern.

Partnerschaftsprobleme sollten öfter im Freundeskreis besprochen werden

Selbst wenn im Alltag vieles dringender erscheine, rate er Paaren, sich unbedingt gemeinsame Zeit freizuräumen. „Die Partnerschaft ist das Wichtigste, sie sollte in der Familie auf Platz eins kommen – noch vor den Kindern“, sagt Flecks, „denn wenn das Paar nicht miteinander funktioniert, wird die Familie nicht funktionieren.“ Viele Eltern würden den Stellenwert der Paarbeziehung dagegen eher weiter unten im Familiengefüge ansetzen. „Natürlich erfordern Kinder die meiste Aufmerksamkeit und haben hohe Priorität, sie sind für Eltern die wichtigste gemeinsame Aufgabe – doch sie sollten nicht das alles bestimmende sein.“ Das setze nämlich auch das Kind enorm unter Druck.

Wenn das Paar nicht miteinander funktioniert, wird die Familie nicht funktionieren.
Helmut Flecks, Paartherapeut

Auch im Umfeld müsse es normaler werden, dem Thema Partnerschaft größeren Raum zu geben. „Selbst unter befreundeten Paaren wird oft auf Friede-Freude-Eierkuchen gemacht, sie behalten für sich, wenn es in der Partnerschaft schwierig ist.“ Dabei sei es wichtig, sich darüber auszutauschen. „Wir empfehlen, auch im Freundeskreis offener über Beziehungen zu sprechen, sozusagen Partnerschaftswissen weiterzugeben. Nach dem Motto: Was funktioniert gut bei uns? Wie geht ihr mit Schwierigkeiten um?“ Zu wissen, was andere erleben, nehme den Druck raus und schaffe die Möglichkeit, in einem größeren System echte Lösungen zu finden.

Paare sollten viele Fragen schon vor dem ersten Kind klären

In der Regel befassten sich Paare erst so richtig mit Partnerschafts- und Familienfragen, wenn es bereits konkrete Konflikte gebe. „Viele rutschen völlig unvorbereitet in die Elternschaft“, berichtet Flecks, „sie haben sich davor noch nie über Partnerschaft oder Elternsein unterhalten oder sich darüber abgestimmt, wie sie mit Geld und Zeit umgehen wollen und was ihnen wichtig ist.“ Solche Fragen müssten Paare so früh wie möglich angehen, am besten schon vor dem ersten Kind.

In Zeiten veränderter Rollenbilder gibt es genug, was besprochen und ausgehandelt werden muss. „Heute sind die Zuständigkeiten diffus, das ist für ein Paar erst einmal eine Herausforderung“, sagt Helmut Flecks. Es sei kein leichter Prozess, Erwerbs- und Familienarbeit aufzuteilen, denn dabei müssten Fähigkeiten, Möglichkeiten und Wünsche der Partner unter einen Hut gebracht werden. „Geht es um Zuständigkeiten, kommen oft Vorprägungen, Selbstzweifel und Ängste bei den Partnern hoch, über die immer wieder ernsthaft gesprochen werden muss.“ Ziel sollte dabei immer sein, ein gutes Ergebnis für die Familie zu erreichen. „Und Paare, die bereits wissen, was bei ihnen gut funktioniert, haben wiederum mehr Sicherheit und können besonders in Krisen wie jetzt besonnener reagieren.“

Buchtipps: Helmut Flecks/Ludwig Spätling: „Glücklich als Paar, glücklich als Familie“, Goldmann Verlag, 208 Seiten, 13 Euro Reinhard K. Sprenger: „Elternjahre: Wie wir mit Kindern leben, ohne uns selbst zu verlieren“, DVA Verlag, 320 Seiten, 25 Euro Romy Winter: „Das Herz der Familie – Mehr Paar und nicht nur Eltern sein“, Beltz Verlag, 304 Seiten, 20 Euro

Hilfsangebote: Bei anhaltenden Konflikten können sich Paare bei regionalen Familienberatungsstellen Hilfe suchen, zum Beispiel bei Profamilia, Caritas oder der Diakonie. Manche Psychotherapeuten bieten auch Paargespräche an. Paartherapie ist allerdings keine Kassenleistung. Infos zum Thema Partnerschaft gibt es auch auf der Wissensplattform der Deutschen Familienstiftung.

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