Schülerin will Noten abschaffen„Viele Jugendliche verbinden Sport mit Zwang und Versagen“

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Streitgespräch Version 1

Weil Schule ohnehin für viele Kinder Leistungsdruck bedeutet, ist es wichtig, auch hier Inseln der Freiwilligkeit und der guten Laune zuzulassen, sagt unsere Autorin.

Schon wieder eine Vier, weil man wie ein Sack am Reck gehangen hat? Unsere 16-jährige Autorin hat genug von Noten im Sportunterricht.

Kurz vor der Zeugnisvergabe fragen wir uns: Sollten Noten im Sportunterricht abgeschafft werden? Nein, sagt Redakteurin Tanja Wessendorf. Ja, erwidert Schülerin Lynn Koerle:

Schule und Hobbys, das sind die Hauptbestandteile des Lebens von Schülerinnen und Schülern. Morgens geht es in die Schule, wo man Deutsch und Mathe lernt: Lesen, schreiben, subtrahieren, dividieren. Am Nachmittag kann man sich dann endlich seinen Interessen widmen: lesen, mit Freunden shoppen oder auf dem Sportplatz sein Können beweisen. Sport ist ein beliebter Zeitvertreib. Sport stärkt nicht nur den Teamgeist, sondern auch die mentale und physische Gesundheit. Wer schon einmal zwanzig Bahnen geschwommen oder durch den ganzen Stadtwald gejoggt ist, der weiß: Schwitzen ist ein guter Weg, um Druck und Stress des Schulalltags zu entkommen. Wer gerade den Ball aus spitzem Winkel ins Netz gedroschen hat, der denkt kurz mal nicht an anstehende Klausuren oder Klassenziele. Sport entspannt, Sport macht glücklich.

Dennoch verbinden viele Jugendliche Sport mit Zwang und Unbehagen, einer Qual, der man nicht entkommen kann. Schuld daran ist der benotende Sportunterricht. Schon wieder eine Vier, weil man wie ein Sack am Reck gehangen hat? Schon wieder als Letzte ins Team gewählt worden, weil die anderen durch eine Niete in der Mannschaft die eigene Note gefährdet sehen? Während Sport eigentlich vor allem mit Spaß und Zwanglosigkeit punkten sollte, verankert ihn benoteter Unterricht eher als das Gegenteil im Gedächtnis: Zwangsmaßnahme, Versagen, Peinlichkeit.

Der direkte Vergleich bringt Kinder und Jugendliche dazu, sich weniger Dinge zuzutrauen. Weil ein anderer besser ist, die schönere Figur hat oder die cooleren Sneaker besitzt. Druck dieser Art stresst und wirkt sich negativ auf die mentale Gesundheit aus. Weil Schule ohnehin für viele Kinder Leistungsdruck bedeutet, ist es wichtig, auch hier Inseln der Freiwilligkeit und der guten Laune zuzulassen. Genau hierfür wäre Sportunterricht geeignet: Man probiert sich aus, man traut sich was, man entdeckt, dass Feldhockey oder Bändertanz viel mehr Spaß macht als allgemein bekannt. Sportunterricht, der mit so viel Angebot und so wenig Bewertung daherkommt, der macht Lust auf Sport auch außerhalb der Schule. Und genau dann hat Sportunterricht sein Ziel erreicht.

Körperliche Fitness ist für ein gesundes Leben zentral. Die Motivation dazu muss daher schon bei Kindern gefördert werden. Der Sportunterricht sollte vom alltäglichen Schulstress zu unterscheiden sein und Kinder lehren, wie sie ihr Leben so gesund wie möglich gestalten können. Druck und Noten wirken da eher abschreckend.

Sportunterricht ist für viele Kinder aus finanziell weniger stabilen Verhältnissen zudem die einzige Möglichkeit, Sportarten angeleitet auszuprobieren und kennenzulernen. Nicht alle Eltern haben das Geld und die Zeit, mit ihren Kindern wöchentlich zum Karatekurs zu düsen. Diese wertvolle Möglichkeit wird vom deutschen Schulsystem durch die drohende Vier minus im Bodenturnen verhagelt. Glaubt irgendjemand, dass die so gedemütigte Sechstklässlerin später gerne im Fitnessparcours den Handstand üben wird?

Überhaupt: In keinem anderen Fach führen körperliche Voraussetzungen zu einer so großen Ungerechtigkeit wie im benoteten Sportunterricht. Der 1,80-Meter-Achtklässler trifft den Korb natürlich leichter als sein zwanzig Zentimeter kleinerer Klassenkamerad. Und dennoch muss man beide motivieren, am Ball zu bleiben. Denn: Egal ob klein oder groß, mit langen oder kurzen Beinen, für jeden ist es gleich wichtig fit und gesund zu sein und das auch zu bleiben.

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