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Streit vor den KindernWie Eltern damit am besten umgehen

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6 min
„Gerade kleine Kinder reagieren stark auf Lautstärke und Körpersprache“: Streit vor Kindern kann belastend wirken. . RND

„Gerade kleine Kinder reagieren stark auf Lautstärke und Körpersprache“: Streit vor Kindern kann belastend wirken. . RND

Wenn Eltern streiten, schauen Kinder genau hin. Ob sie dabei Vertrauen oder Angst lernen, hängt nicht vom Streit selbst ab – sondern davon, wie er geführt wird.

Die Stimmen werden lauter, erst ein Wortgefecht, dann ein lautes Türknallen. Am Esstisch stochert Jonas in seinen Nudeln, seine Schwester Lisa schaut aufs Handy, tut so, als merke sie nichts. „Du hörst mir nie zu!“, ruft der Vater. „Und du musst immer gleich laut werden!“, entgegnet die Mutter. Sekunden später ist es still. Nur Jonas‘ Gabel stochert zaghaft auf dem Teller herum.

Szenen wie diese kennt Dr. Kathrin Schopf berufsbedingt nur zu gut. Sie ist psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie und hat des Öfteren mit wiederkehrenden Konflikten in Partnerschaften zu tun. Doch muss Streit in der Familie wirklich immer mit knallenden Türen und lautem Geschrei enden, ehe alle trotzig auseinandergehen?

„Entscheidend ist nicht, dass gestritten wird, sondern wie“, betont Schopf. Auch Familiencoach Julia Strobel meint: „Man tut Kindern keinen Gefallen, wenn man Konflikte komplett vor ihnen versteckt. Es ist viel wichtiger, dass sie erleben, wie man sie löst.“

Denn Kinder lernen am Modell. Sie sehen, hören und spüren, wie Erwachsene mit Frust, Ärger oder Enttäuschung umgehen. Laut wird es in jeder Familie ab und an – doch wenn Streit regelmäßig eskaliert, kann dies das Sicherheitsgefühl eines Kindes beeinträchtigen. „Gerade kleine Kinder reagieren stark auf Lautstärke und Körpersprache“, erklärt Schopf.

„Sie verstehen die Inhalte gar nicht, aber sie spüren Spannungen sofort.“ Ältere Kinder begreifen zwar mehr, „haben aber oft noch nicht die emotionale Reife, um damit gut umzugehen.“

Emotionale Last für Kinder

Bleiben wir bei unserer fiktiven Familie: Lisa hat sich nach dem Streit ihrer Eltern in ihr Zimmer zurückgezogen und die Musik laut aufgedreht, während Jonas am Küchentisch sitzen geblieben ist. Laut Fachleuten ist das ein typisches Verhalten.

„Manche Kinder ziehen sich zurück, andere übernehmen unbewusst Verantwortung und versuchen, Frieden zu stiften“, erklärt Eltern-Coach und Autor Christopher End. „Sie spüren meist die Spannung im Raum und wollen sie auflösen – indem sie ablenken, helfen oder sich besonders brav verhalten. Alles Dinge, die unbewusst geschehen und dennoch eine enorme emotionale Last für ein Kind sind.“

Auf den Punkt

Besonders verunsichernd sind Streitigkeiten, in denen sich Eltern gegenseitig abwerten oder Schuld zuweisen. „Wenn es nicht mehr um die Sache geht, sondern um die Person, dann wird es schwierig“, sagt Strobel. Kinder geraten in Loyalitätskonflikte – sie wollen nicht, dass jemand schlecht über ihre Mutter oder ihren Vater redet.

Noch belastender wird es, wenn die Anspannung sich gegen die Kinder richtet. Eltern-Coach End warnt: „Schlagen ist falsch – aber das Kind anzuschreien ist auch Gewalt. Sie trifft Kinder genauso wie körperliche Gewalt.“ Viele übernehmen dann unbewusst Verantwortung. „Sie werden zu kleinen Friedensstiftern“, sagt End. „Das ist eine völlige Überforderung.“

Konflikte nicht dämonisieren

Die Folgen zeigen sich oft leise – etwa mit Schlafstörungen, Bauchschmerzen oder Rückzug. Manche Kinder versuchen, den Streit zu beenden. Sie lenken ab, werden plötzlich albern oder fordern Aufmerksamkeit. Kinder reagieren auf unausgesprochene Spannungen, weil sie auf die emotionale Stimmung der Eltern angewiesen sind. „Wenn Konflikte unausgetragen bleiben, entsteht Unsicherheit – selbst ohne laute Worte“, erklärt Familiencoach Strobel.

Auch die Folge kann problematisch sein. „Ungeklärte Themen suchen sich ihren Weg“, sagt Strobel. „Dann streitet man über Nebensächlichkeiten, weil das Eigentliche unausgesprochen bleibt. Je mehr wir Konflikte dämonisieren, desto schwieriger wird der Umgang damit.“

Kleine Regeln im Alltag

Wie geht also konstruktives Streiten, von dem am Ende alle profitieren? „Wut ist wie ein innerer Grenzwächter“, sagt End. „Ich darf sie zeigen – aber ohne zu verletzen.“ Erwachsene sollten lernen, diese Wut zu regulieren, anstatt sie zu unterdrücken oder unkontrolliert herauszulassen.

Strobel rät daher, kleine Regeln zu vereinbaren. „Es hilft, zu wissen, wie der andere tickt. Wer benötigt Zeit, wer will sofort reden? Pausen sind legitim.“ Wichtig sei, die Sachebene von der Beziehungsebene zu trennen. „Man darf unterschiedlicher Meinung sein, ohne den anderen abzuwerten.“ Kinder, sagt sie, seien dabei oft die besten Lehrmeister. Sie seien sehr nah an ihren Bedürfnissen – Erwachsene hätten das oft verlernt. Kinder zeigen direkt, was sie brauchen – sie sagen, wenn sie traurig, wütend oder überfordert sind. „Wenn Eltern wieder lernen, auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten, können sie auch die der Kinder besser verstehen“, sagt Strobel.

Versöhnung ist wichtig

Eine gesunde Konfliktkultur bedeutet nicht, dass Eltern immer ruhig bleiben müssen. „Sie dürfen Emotionen zeigen – wichtig ist nur, dass sie sich nicht gegenseitig verletzen“, sagt Strobel. Entscheidend ist, dass der Streit nicht das Ende, sondern ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Lösung ist.

„Kinder dürfen mitbekommen, dass Eltern sich streiten“, sagt auch Psychotherapeutin Schopf. „Aber sie sollten auch erleben, dass man sich wieder versöhnt.“ „Man kann ihnen später sagen: ‚Wir haben uns gestritten, weil wir unterschiedlicher Meinung waren – das hat nichts mit dir zu tun‘“, rät Schopf. „Und man darf sich auch bei den Kindern entschuldigen. Das zeigt, dass Fehler menschlich sind.“ Wichtig sei dabei, altersgerecht zu bleiben.

„Kinder müssen keine Details wissen“, sagt Schopf. „Ein einfacher Satz wie: ‚Wir waren unterschiedlicher Meinung, aber es ist wieder gut‘, reicht völlig.“ Strobel ergänzt: „Wenn Kinder hören, dass Mama und Papa sich wieder vertragen haben, ist das wie ein kleiner Anker – sie können innerlich loslassen und zur Ruhe kommen.“

Beziehung lässt sich neu lernen

Auch das offene Gespräch hilft. End empfiehlt, Kinder direkt anzusprechen. „Eltern können einfach sagen: ‚Wie geht es dir damit?‘ – und das Kind darf antworten: ‚Ihr wart doof.‘ Das ist okay. Wichtig ist, die Gefühle ernst zu nehmen und stehenzulassen.“

„Kinder sind erstaunlich resilient“, fügt End hinzu. „Wenn sie erleben, dass sich etwas ändert, dass Eltern versuchen, anders miteinander umzugehen, wirkt das heilend. Es ist nie zu spät, Beziehung neu zu lernen.“ Wenn Eltern zeigen, dass Nähe trotz Konflikten bestehen bleibt, stärke das ihr Vertrauen in Beziehungen insgesamt. Und wenn Eltern merken, dass sie es allein nicht schaffen, hilft Unterstützung von außen – etwa durch Familien- oder Paartherapie. „Das ist kein Zeichen von Schwäche“, betont Schopf. „Im Gegenteil: Es zeigt, dass Eltern Verantwortung übernehmen – für sich und ihre Kinder.“

Momente, in den konstruktiv gestritten und sich dann wieder versöhnt wird, sind also wichtig für Kinder. Fachleute sagen, dass diese die Basis emotionaler Sicherheit bilden. Kinder müssen nicht in Watte gepackt werden – sie müssen erleben, dass Nähe auch nach Streit möglich ist. Oder, wie Julia Strobel es formuliert: „Kinder brauchen kein Streit-Vakuum, sondern Eltern, die sich wieder vertragen können.“