Vom Mädchen zum Männermodel„Ich war einfach der kleine Junge, der Yvonne hieß“

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Benjamin Melzer ist im Ruhrgebiet geboren und arbeitet heute als Model.

  • Als Benjamin Melzer 1987 geboren wurde, hieß er Yvonne. Doch er war nie das typische Mädchen, als das er auf die Welt kam.
  • Mit 18 Jahren hörte das heutige Männermodel das erste Mal den Begriff Transgender. Es war für ihn wie eine Befreiung, aber auch ein Anstoß zu handeln.
  • Im Interview erzählt Melzer von seinem langen und oft zermürbenden Weg vom Mädchen zum Mann.

Köln – Benjamin Melzer ist nicht sein ganzes Leben der heutige Benjamin. Er kommt 1987 im Ruhrgebiet im Körper eines Mädchens zur Welt, als Yvonne. Doch in seinem ersten Leben passt der Körper nicht zur Seele, die darin steckt. Schon als Kleinkind stellt sich Melzer auf dem Spielplatz als Max oder Moritz vor. Mit der Veränderung seines Körpers in der Pubertät spürt er immer deutlicher: Das Innere passt nicht zum Äußeren. Aber erst als er mit 18 Jahren den Begriff Transgender das erste Mal hört, weiß er, dass es auch auf ihn zutrifft. 

Sie beschreiben, dass Sie schon mit drei oder vier Jahren gemerkt habe, dass Sie den als typisch geltenden Mädchenkram doof fanden. Wie stark hat Sie das beschäftigt und wann wurde Ihnen klar, dass der Körper, in den Sie hineingeboren wurden, nicht zu Ihrer Seele passt?

Benjamin Melzer: Ich habe als Kleinkind einfach Dinge getan, die überhaupt nicht typisch Mädchen sind – an die meisten Sachen erinnere ich mich selbst nicht und weiß es nur aus Erzählungen. Ich habe mich auf dem Spielplatz als Max oder Moritz vorgestellt, hab mit Jungs gespielt, bin auf Bäume geklettert, habe mit Autos gespielt ­­ – typischer Jungskram, den Mädchen vielleicht eher nicht so machen. Ich war auch schon recht früh an Mädchen interessiert. So hat sich bereits in meiner frühen Kindheit geäußert, dass etwas in mir vorgeht. Richtig gespürt, dass Innen und Außen nicht zusammenpassen, habe ich mit Beginn der Pubertät.

Wie ist es Ihnen in dieser Zeit ergangen als sich Ihr Körper und Ihre Hormone verändert haben?

Mit der Pubertät hat eine innere Zerrissenheit begonnen. Ich wusste, ich bin nicht richtig, aber ich wusste auch nicht, was ich bin. Ich wollte nicht so aussehen, wie ich aussah, aber so sah ich eben aus. Das war ein Kampf mit mir selbst. Ich bin ein Meister im Verdrängen. Ich habe Sport und Aktivitäten genutzt, um diese Zerrissenheit von mir wegzuschieben. Ich war ein sehr lautes und lustiges Kind, aber in mir drin sah es ganz anders aus.

Seit wann ist Ihnen Transgender ein Begriff? Wann haben Sie gewusst, dass man Ihr Gefühl, dass Ihr Inneres nicht zu Ihrem Körper passte, so bezeichnet?

Das erste Mal habe ich mit 18 Jahren einen Bericht über den Sohn von Cher ­­(Chaz Bono) gesehen, da war für mich klar, das Kind hat einen Namen: Transgender. Ich wusste vorher gar nicht, was das ist und dachte, ich sei ganz allein auf der Welt. Ich habe mir sehr lang die Frage gestellt, ob ich einfach lesbisch bin und es sich so anfühlt, wenn man als Frau auf Frauen steht. Ich konnte mir dann relativ schnell beantworten, dass ich nicht lesbisch bin. Trotzdem blieb die Frage offen: Was bin ich denn jetzt? Mit 18 Jahren hatte ich endlich einen Begriff dafür. Es war eine Befreiung, aber auch ein Anstoß zu handeln.

Würden Sie sagen, dass es Ihnen geholfen hätte, wenn Sie als Kind schon gewusst hätten, was Transgender bedeutet?

Ich denke schon, dass es besser gewesen wäre, wenn ich es gewusst hätte. Für mich ist alles richtig und gut gekommen, wie es ist. Für die Geschlechtsangleichung hätte es aber bedeutet, dass ich vielleicht ein oder zwei Operationen nicht gebraucht hätte, wie zum Beispiel die Brustoperation.

Haben Ihre Familie, Klassenkameraden und Freunde Ihren inneren Kampf bemerkt?

Nein, das hat keiner mitbekommen. Sie haben mich alle so genommen, wie ich war. Ich war einfach der kleine Junge, der Yvonne hieß.

Hätten Sie sich gerne jemandem anvertrauen können?

Ich hätte mit niemandem reden können, weil ich selbst nicht genau wusste, was los war. Ich hätte nicht gewusst, was ich sagen soll. Als ich dann mit 18 Jahren das erste Mal etwas über Transgender gehört habe, habe ich darüber gesprochen.

Wie hat Ihre Familie reagiert als klar war, dass Sie transgender sind und auch operative Eingriffe vornehmen lassen möchten?

Meine Familie stand immer hinter mir. Meine Mutter ist jeden Schritt mitgegangen und hat gesagt, dass wir diese zusammen gehen. Mein Vater war erst geschockt und hatte wegen den Operationen Angst um mich und auch Angst um meine Sexualität – dass sie schon in meinen jungen Jahren verloren gehen könnte.

Mittlerweile haben Sie geschlechtsangleichende Operationen hinter sich und Ihren Namen ändern lassen. Sie mussten mit Psychologen sprechen, Gutachten über sich erstellen lassen. Wie haben Sie diese Prozedur erlebt?

Es ist ein langwieriger und sehr anstrengender Prozess. Man muss sich oft auf andere Menschen verlassen, warten und kann es selbst nicht beschleunigen. Wenn Gutachten von Psychologen vorliegen, es klar ist, dass man transgender ist, sollten Behörden vor allem bei der Personenstands- und Namensänderung möglichst schnell arbeiten. Mit Beginn der Hormontherapie verändert sich das Äußere sehr schnell – die Stimme wird dunkler, die ersten Bartstoppeln wachsen. Wenn man dann aber noch Yvonne heißt, kommt es zu unangenehmen und peinlichen Situationen. Das verursacht einen enormen Leidensdruck, der nicht sein müsste.

Wie lange hat es gedauert, den Namen zu ändern?

Die Personenstands- und Namensänderung hat um die elf Monate gedauert.

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Banjamin Melzer stellte sich schon als Kind als Max oder Moritz vor.

Zurück zu Ihrer Kindheit: Sie haben sich als Max oder Moritz vorgestellt. Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert?

Das wurde damals als Spleen oder Phase abgetan. Ich war einfach etwas burschikos. Ich bin 1987 geboren, da war Transgender einfach noch kein Begriff. Es war kein Thema in den Medien, man konnte sich nicht einfach im Internet informieren.

Haben Ihre Eltern Ihrer Meinung nach gut reagiert, weil Sie niemand in eine Rolle pressen wollte? Ohne, dass sie wussten, was Transgender bedeutet?

Meine Mutter auf jeden Fall. Sie hat mich immer sein lassen, wie ich bin. Wenn mich im Restaurant ein Kellner als jungen Mann angesprochen hat, hat meine Mutter das meist so stehen lassen. Wahrscheinlich hat sie innerlich doch gespürt, was los ist und ihn nicht korrigiert. Mein Vater hatte immer das Bedürfnis, das klarzustellen. Ich habe es weggelächelt, aber es war für mich eine sehr demütigende Situation. Das konnte er aber nicht wissen.

Was würden Sie Eltern raten, die denken, dass ihr Kind transgender sein könnte – mit dem heutigen Wissen?

Es kommt natürlich darauf an, wie alt die Kinder sind. Ich finde es aber sehr wichtig, dass Eltern offen mit ihren Kindern darüber sprechen. Mittlerweile gibt es Beratungsstellen und Spezialisten, bei denen sich Eltern informieren können. Wichtig ist es, dass Eltern es nicht nur als eine Phase abtun, sondern die Bedürfnisse des Kindes ernst nehmen. Wenn es frühzeitig klar ist, können Hormontherapien schon begonnen werden, bevor die Pubertät einsetzt und es können operative Eingriffe vermieden werden.

Mädchen in rosa und Jungs in blau. Geschlecht ist präsent in der Kleidung, beim Spielzeug und in Verhaltensweisen, die Mädchen oder Jungs zugeschrieben werden. Denken Sie, dass Geschlecht eine zu große Rolle spielt und Kinder sich nicht frei genug und frei von Vorurteilen entwickeln können?

Ja, das denke ich schon. Man wird schon sehr stark etikettiert, bekommt ein Label aufgedrückt und wird in eine Rolle gepresst. Als Kind habe ich rosa auch immer für typisch Mädchen gehalten und hätte es nie angezogen. Heute sehe ich das nicht mehr so und gehe damit lockerer um. Ich bin insgesamt kein Fan davon, gelabeld zu werden. Ich werde auch immer als Transmann etikettiert – ich sehe das anders. Ich bin heute ein Mann und habe den „Transweg“ hinter mir. Wenn ich mal Kinder habe, muss es nicht blau oder rosa sein. Wenn der kleine Knopf denken kann, wird er schon sagen, was er will.

Sie sagen, dass es Sie stört, als Transgender oder Transmann etikettiert zu werden. Sollte unsere Gesellschaft da offener werden?

Aktuell ist es denke ich noch wichtig, dass von Transgender und Transmann gesprochen wird, weil wir noch viel mehr Aufklärung brauchen. Es muss noch viel mehr passieren, damit jeder sieht, dass keiner etwas dafür kann, ich bin ein ganz normaler Mensch mit Träumen und Wünschen. Ich werde oft als eine Art Alien dargestellt, das stimmt natürlich nicht und ist übertrieben.

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Hat Männlichkeit oder Weiblichkeit für Sie eine wichtige Bedeutung?

Nein, darüber mache ich mir keine Gedanken. Menschlichkeit hat für mich eine tragende Bedeutung. Ich erwarte von allen Menschen, unabhängig vom Geschlecht, dass sie empathisch, respektvoll und höflich im Umgang sind. Ich bin einfach froh, dass ich ich bin.

Sie haben ein Buch geschrieben. Warum haben Sie sich dafür entschieden, ihre Lebensgeschichte öffentlich zu machen? Und sind Sie deshalb schon mal kritisiert worden?

Ich bin noch nicht kritisiert worden. Ich habe auch die Einstellung, je offensiver man mit einem Thema umgeht, desto weniger Angriffsfläche bietet man. Das Buch habe ich geschrieben, weil ich es mir selbst gewünscht hätte, dass mir jemand die wirklichen Fragen beantwortet. Es ist für Menschen, die Hilfe suchen und um alle Interessierten aufzuklären.

Zum Weiterlesen

Benjamin Melzer hat seinen Lebensweg im Buch „Endlich Ben” beschrieben. Es ist bei Eden Books erschienen und kostet 17,95 Euro, ISBN: 978-3-95910-252-0.

In der Transgender-Community wird häufig der Umgang mit Sprache kritisiert. Was würden Sie sich von der Gesellschaft wünschen? Was wäre der richtige Umgang mit Begriffen wie Transmann, Transfrau und Transgender?

Ich bin da nicht so. Ich bin auch nicht stark in der Community engagiert. Ich bin einfach ein Mann und lebe mein Leben. Ich würde mir einfach wünschen, dass die Gesellschaft offen, neugierig und respektvoll ist.

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