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Alternative FamilienformenWas hilft, wenn Paare einen ungleichen Kinderwunsch haben?

5 min
Wenn der Kinderwunsch bei einem Paar sehr unterschiedlich ausgeprägt ist, kann das zu allerlei Konflikten führen - manchmal auch zur Trennung.

Wenn der Kinderwunsch bei einem Paar sehr unterschiedlich ausgeprägt ist, kann das zu allerlei Konflikten führen - manchmal auch zur Trennung. 

Der Mann will ein Kind, die Frau aber nicht – oder andersherum. Kinderwunschberaterin Olga Nägler erklärt, wie Paare damit umgehen können.

Die Wahl des Vornamens, wenn man ein gemeinsames Baby erwartet, mag schon nicht ganz unknifflig sein. Doch was, wenn Vater und Mutter nicht einmal verwandt sind? Mike* bekommt im April nächsten Jahres ein Kind – nicht mit seiner Freundin, sondern mit einem befreundeten Paar. „Ella, Luna oder Lily – bei den Mädchennamen waren wir uns erst nicht einig. Bei den Jungen haben wir jetzt Oscar, und damit bin ich komplett zufrieden“, erzählt der 38 Jahre alte Texaner. Einmal im Monat treffen sich die werdenden Eltern mit ihren Partnern im Restaurant oder bei einer Partei zu Hause, um die Zukunft ihres gemeinsamen Kindes zu organisieren und zu besprechen.

Der Weg zu einer alternativen Familienform wie dieser war für Mike ein gedanklicher Prozess. Anfang dieses Jahres teilte ihm seine Freundin Emma* mit, dass sie wahrscheinlich nie Mutter werden will. Das Paar war gerade eineinhalb Jahre zusammen, und er war aus einer 400 Kilometer entfernten Stadt zu ihr gezogen. Sie hatten schon früher über die Kinderwunsch-Thematik gesprochen, doch da war Emma noch nicht so entschieden, erzählt Mike. „Als wir uns kennengelernt haben, war sie sechsundzwanzig. Ich habe insgeheim gehofft, dass sie in ein paar Jahren anders über das Kinderthema denkt.“

Mike denkt Familie neu und freundet sich mit der Idee an, seinen Samen zu spenden

Mike weiß sofort, dass er auf das Vatersein nicht verzichten will. Und dann passiert in dieser Zeit, als Emma und er wegen des Kinderwunsches immer wieder aneinandergeraten, etwas Merkwürdiges, sagt Mike: Emma wird schwanger. Dass sie das Baby nicht behalten möchte, verletzt ihn. Zwei Monate grübelt er, ob er sich trennen muss. Doch er spürt: Das will er auf keinen Fall. Er sucht nach Alternativen und vereinbart einen Termin bei einem Familiencoach. Der stärkt ihm den Rücken, an seinem Wunsch festzuhalten, und Mike beginnt, Familie neu zu denken. Ein Kind mit einer anderen Frau als seiner Freundin zu bekommen, war ihm vorher nie in den Sinn gekommen. Doch je mehr er sich damit beschäftigt, desto stärker merkt er, dass er sich das vorstellen kann. Auch seine Freundin signalisiert Offenheit und Mike freundet sich langsam mit der Idee an, seinen Samen zu spenden.

Auf den Punkt

„Ein ungleicher Kinderwunsch kann zu heftigen Konflikten führen. Oft wird Schuld hin und her geschoben und es entsteht viel Unzufriedenheit“, sagt Olga Nägler. Die Kinderwunschberaterin unterstützt seit 15 Jahren Paare bei der Familiengründung. Meistens melden sich die Frauen zuerst, erzählt sie. Sie würden sich oft stärker von dem Thema belastet fühlen. Obwohl Männer oft auch einen großen Kinderwunsch hätten, sei der gesellschaftliche Druck, Kinder zu bekommen, für Frauen stärker. „Sie werden auf Partys gefragt, ob sie Kinder haben. Männer, ob sie Fußball spielen“, sagt Nägler.

Paare sollten sich fragen: Warum möchte ich ein Kind? Und: Welche Ängste stehen dem entgegen?

Mike erzählt mit leuchtenden Augen von seinem Kinderwunsch. Dass er sich ein Kind wünscht, sei ihm bereits klar geworden, als er mit Anfang zwanzig in der Erzieherausbildung war. Damals habe er angefangen, darüber nachzudenken, wie sich die Verbindung zu einem eigenen Kind wohl anfühlen würde. Die Entscheidung seiner Freundin respektiert er dennoch. „Sie will ihre Zeit genießen und keine großen Verpflichtungen haben.“

Manchmal seien Partner zu unterschiedlichen Momenten in der Kinderwunschphase, sagt Nägler - und mit ganz verschiedenen Themen beschäftigt. „Die häufigsten Gründe für einen unterschiedlichen ausgeprägten Kinderwunsch sind die Lebensplanung sowie psychische und finanzielle Belastungen. Aber auch die persönliche Freiheit, die man nicht verlieren möchte, oder die Verantwortung, die mit einem Kind einhergeht“, so die Beraterin.

Der Kinderwunsch sollte bereits im Anfangsstadium einer Beziehung thematisiert werden

Der wichtigste Schritt für ein Paar mit ungleichem Kinderwunsch ist, ehrlich zu sich selbst und zum Partner zu sein. Am besten befragt man sich als Paar: Warum habe ich jetzt gerade einen Kinderwunsch? Warum möchte ich ein Kind? Und wenn sie sich keines wünschen: Warum möchte ich kein Kind? Was habe ich für Ängste? Nägler empfiehlt, das Thema bereits im Anfangsstadium einer Beziehung auf den Tisch zu bringen und zu besprechen. Bei sehr unterschiedlichen Vorstellungen könnte ein Paar beide Szenarien gedanklich durchspielen:

  1. Einmal fragen sich die Partner: Stell dir vor, wir haben ein Kind: Wie wird unser Leben aussehen?
  2. Was, wenn wir uns dagegen entschieden haben – was bedeutet das für mich und was für dich?

Bewegt sich wenig im Gespräch oder ist einer der beiden Partner sehr unsicher, kann es sinnvoll sein, das Gespräch zu verschieben und beispielsweise in sechs Monaten noch einmal darüber zu sprechen. Kommt man als Paar trotz Gesprächen nicht weiter, sollte professionelle Unterstützung gesucht werden.

Die beiden Paare finden heraus, dass sie ein ziemlich gutes Match sind

Nach seinem Coachinggespräch erstellt Mike eine Anzeige auf Familyship. Der Verein bietet Unterstützung und Vernetzung beim Interesse an alternativen Familienformen an. Nachdem Mike einige lose Kontaktanfragen erhalten hatte, meldete sich schließlich das Paar, mit dem er jetzt eine Familie gründen will. Sie kommen aus derselben Stadt, sie sind Mitte dreißig, er ist zeugungsunfähig. Das erste Treffen in einem Café sei ziemlich aufregend gewesen, erinnert sich Mike. Sie hätten sich erst mal gegenseitig den Druck genommen, dass jetzt schnell etwas entschieden werden muss.

In den Wochen danach treffen sie sich öfter und finden heraus, dass sie ein ziemlich gutes Match sind. Eineinhalb Monate nach dem ersten Treffen spendet Mike seinen Samen. Die Frau wird direkt schwanger.

Während sich Mikes Familie in Texas mit seiner Entscheidung schwertut, freut sich sein liberales Umfeld in Deutschland sofort für ihn. Das Sorgerecht wird er nicht in Anspruch nehmen. Doch die beiden Parteien haben eine Privatvereinbarung unterschrieben, in der steht, dass er sein Kind einmal die Woche und jedes zweite Wochenende sieht und dass sie einen Umzug, weiter als 50 Kilometer entfernt, frühzeitig mitteilen müssen. Rechtlich zählt eine solche Vereinbarung nicht. Dass sie sich mit dem anderen Paar überwerfen, hält Mike aber für unwahrscheinlich.

Verzichte ich für den Partner auf ein Kind, kann der Kinderwunsch stärker zurückkommen

„Will einer der beiden Partner entschieden kein Kind, gibt es keinen Kompromiss“, sagt Nägler. Der Partner mit Kinderwunsch muss akzeptieren, dass der andere nicht zu überzeugen ist. Druck bringe gar nichts, sagt Nägler. Manchmal bedeutet das auch für Paare zu überlegen, ob man überhaupt zusammenbleiben will. Denn wenn ein Kinderwunsch besteht, lässt er sich selten dauerhaft ablegen. „Wenn ich mir ein Kind wünsche und aufgrund einer Partnerschaft darauf verzichte, kann es sein, dass dieser Wunsch wiederkommt und noch stärker ist.“

*Die Namen wurden für diesen Artikel geändert. Mike und seine Partnerin Emma heißen eigentlich anders.