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Vater-Tochter-BeziehungWas können Väter Töchtern geben – was Mütter nicht können?

Lesezeit 10 Minuten
Ein Vater und seine Tochter nehmen sich in den Arm.

Statt immer weiter zu diskutieren, nähmen Väter ihre Töchter eher mal in den Arm, sagt Susann Sitzler.

Vater-Tochter-Beziehungen sind manchmal besonders innig, aber auch oft kompliziert. Und nicht selten stehen sie vor besonderen Herausforderungen. Die Journalistin Susann Sitzler geht in ihrem klugen, intensiv erzählten Buch „Väter und Töchter“ nicht nur der eigenen Beziehung zu ihrem Vater auf die Spur, sondern nähert sich auch den vielen Fragen rund um Vater-Tochter-Verhältnisse.

Gehen Väter mit Töchtern eigentlich anders um als mit Söhnen? Kann das Töchterlein bei Vati wirklich mehr herausschlagen? Und warum sind heute erwachsene Töchter oft so enttäuscht von ihren Vätern? Ein Gespräch.

Der Vater ist oft der erste Mann, den ein Mädchen kennenlernt. Prägt das wirklich das Männerbild fürs Leben?

Susann Sitzler: Ganz praktisch betrachtet ist es ja tatsächlich meist der erste Mann, den ein Mädchen kennenlernt. Und Kinder verstehen früh, dass es Unterschiede gibt. Schon Babys reagieren auf Männerstimmen anders als auf Frauenstimmen. Aber was das langfristig bedeutet, ist natürlich ganz individuell. Solch ein „Männerbild“ ist ja nicht eingestanzt fürs Leben. Der Vater bedeutet hier eher so eine Art Anfangspunkt.

Und doch kann man bei einem Mädchen, das sich vom Vater wahrgenommen, aufgefangen, gefördert und geliebt fühlt, davon ausgehen, dass es dann auch später Jungs und Männern generell positiv gegenüber steht. Im Gegensatz etwa zu einer Tochter, die den Vater als bedrohlich, fordernd oder verletzend erlebt hat. Aber natürlich ist man nicht nur von einer Beziehung geprägt, sondern von vielen Erfahrungen. Ein Mensch hat ja die Fähigkeit, sich andere positive Vorbilder zu wählen. Wenn zum Beispiel gar kein Vater da ist, dann suchen sich Kinder oft andere Vaterfiguren.

Gehen Väter mit Töchtern im Alltag anders um als mit Söhnen?

Das hängt natürlich immer sehr stark damit zusammen, was der Vater für ein Mensch ist und welchen Charakter das Kind hat. Aber Studien belegen, Väter spielen nicht nur grundsätzlich körperlicher mit ihren Kindern als Mütter, sie spielen auch mit Jungen unkontrollierter. Bei Töchtern sind Väter unsicherer und vorsichtiger und achten mehr darauf, ob die Mädchen lachen und beim Spielen glücklich sind.

Das kann mit einer Art instinktivem Beschützerinstinkt im klassischen Sinne zu tun haben, dass der starke Mann sozusagen das zarte, sanfte Wesen besonders behütet. Es könnte aber auch daran liegen, dass der Vater nicht so richtig weiß, was in der Tochter vorgeht, weil er selbst eben nie ein Mädchen war. Und er nun Angst hat, etwas falsch zu machen.

Was können gerade Väter denn Töchtern geben – was Mütter nicht können?

Irgendwann begreift ein Mädchen, dass es selbst eine Frau wird. Je älter es wird, desto mehr kann es das, was es von der Mutter mitbekommen hat, mit dem, was es selbst erlebt, abgleichen. Beim Vater kann eine Tochter das nur bedingt, denn sie ist und wird eben kein Mann in der Welt. Gerade dadurch kann der Vater zu einem guten Sparringspartner für die Tochter werden, er kann ihr vieles aus seiner Welt zeigen. Und im Umkehrschluss lernt ein Mann durch seine Tochter viel darüber, was es bedeutet eine Frau zu sein. Wenn man ein Mädchen vom ersten Lebenstag an begleitet, dann hat man einige schöne und überraschende Einsichten.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie sich in der Nähe Ihres Vaters oft sicher und ruhig gefühlt haben. Sind Halt und Schutz etwas, das besonders Väter Töchtern vermitteln?

Buchtipp

Es hängt natürlich vom Verhältnis ab. Aber auf so einer ganz unbewussten Ebene, das weiß ich aus vielen Gesprächen, ist es schon so, dass sich Töchter beim Vater, weil er einfach größer und stärker, aber auch ein bisschen fremder ist, geschützt und geborgen fühlen.

Liegt es vielleicht auch daran, dass die Kommunikation zwischen Vätern und Töchtern anders abläuft und oft auch irgendwann eine Stille eintritt?

Das ist ein interessanter Gedanke. Ich höre oft, dass Töchter ganz irritiert sind, wenn der Vater ab einem gewissen Punkt nicht mehr diskutieren will, sondern einen Abschluss des Konflikts findet, selbst wenn es keine Lösung gibt. Dass er die Tochter dann eher beruhigt, in den Arm nimmt oder einfach nur sagt: Es wird schon wieder! Es ist eine Art Abkürzung zu einem Gefühl von Sicherheit und Vertrauen.

In der Pubertät wird das kleine Mädchen zur Heranwachsenden. Fällt es Vätern besonders schwer, ihre Tochter loszulassen?

Die Pubertät der Tochter ist für Väter Schwerstarbeit, weil das kleine Mädchen in dieser Phase irgendwann in die Welt der Frauen abbiegt. Und in diese Welt kann der Mann nicht hinterher, selbst wenn das Verhältnis innig ist. Die junge Frau wird Dinge erleben, die der Vater nur theoretisch nachvollziehen kann. Wenn die Tochter zur Frau wird, werden Männer auch mit ihrem eigenen Frauenbild konfrontiert. Wenn sie eine positive Haltung zu Frauen haben, nehmen sie diese Veränderung der Tochter mit Demut an, freuen sich, winken ihr vom Rand her zu und versuchen sie zu stärken. Wenn sich ein Mann aber von Frauen benachteiligt fühlt oder etwa mit der Kindsmutter Probleme hat, kann es auch eine Art Kränkung bedeuten, dass die Tochter selbständig wird und den Vater vielleicht auch in Frage stellt.

Es kommt auch darauf an, wie selbstbewusst der Vater als Mann ist. Dazu kommt: Wenn das Mädchen zur Frau wird, ist ein Stück weit auch ein neuer körperlicher Respekt nötig. Bestimmte Aspekte der Weiblichkeit sind für den Vater einfach tabu. Und diese Grenze muss bis dahin gesetzt sein. Für manche Männer ist es nicht leicht, damit umzugehen.

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Wollen gerade Mädchen ihrem Vater gefallen?

Das hat sehr stark mit weiblichen Rollenzuschreibungen zu tun, dass Frauen häufiger gefallen wollen und weniger offen aggressiv auftreten. Man weiß aus der Forschung, dass zum Beispiel Schwestern und Freundinnen auch hart streiten, aber am Ende die Wiederherstellung der Harmonie eine ganz große Rolle spielt. Es ist häufig auch eine weibliche Strategie, dem anderen zu geben, was er möchte, um dadurch auch Vorteile zu erlangen. Zu schmeicheln, um etwas zu bekommen, das beherrschen manchmal schon kleine Mädchen, weil sie es früh lernen. Und das funktioniert beim Vater besonders gut.

Ich frag einfach mal Daddy! Warum können Töchter gerade bei Papa so viel herausschlagen?

Naja, die Mutter durchschaut so etwas eher, weil sie eben selbst so sozialisiert wurde. Und der Vater lässt sich von Charme mehr erweichen, weil das auch zum traditionellen Rollenspiel zwischen männlich und weiblich gehört. Das ist ja auch nicht zwingend etwas Negatives und kann sogar etwas Spielerisches sein. Es ist eine erlernte Verhaltensweise, die familiär eingeübt wird.

Und bei Jungen funktioniert das nicht?

Jungs verstehen schnell, dass es Bestandteil einer männlichen Dynamik ist, auch mal in die Konkurrenz zu gehen, zu balgen und streiten und vielleicht den Vater in der Diskussion zu überrunden. Natürlich machen das manche Töchter auch. Solches Verhalten wird bei ihnen aber oft anders bewertet, sie gelten dann als vorlaut oder hysterisch. Im Umkehrschluss reagiert der Vater dann auf den Widerstand des Sohnes aggressiver, weil er ihn ernster nimmt und sich davon vielleicht sogar bedroht fühlt. Das hängt wiederum davon ab, welche Erfahrungen der Mann mit seinem eigenen Vater gemacht hat.

Da sprechen Sie etwas Wichtiges an: Wie stark prägt das Verhältnis zum eigenen Vater? Viele der heute erwachsenen Töchter hatten als Kind noch traditionelle, patriarchale Strukturen zuhause.

Eltern waren ja auch Kinder. Und die eigenen Kindheitserfahrungen prägen. Gerade wenn man mit einem autoritären Vater aufgewachsen ist, um dessen Vorgaben und Launen es herum zu manövrieren galt und dessen Wünschen man zu entsprechen hatte, dann kann das das auch heute noch nachwirken. Das kenne ich von vielen Frauen. Ganz früher entschied ja letztlich der Patriarch, ob man sich legitimiert fühlen konnte in der Welt, also ob man Erwartungen erfüllt, genug leistet, den Richtigen heiratet, hübsch genug ist.

In Bezug auf die Vater-Tochter-Beziehung bedeuten diese alten, traditionellen Zuschreibungen ein riesiges Spannungsfeld. Denn demnach ist ja der Vater oder der Patriarch eine der mächtigsten, stärksten Figuren einer Gesellschaft, während das kleine Mädchen dagegen in einer sehr klischeehaften Vorstellung das schwächste, abhängigste und darum auch schützenswerteste Element ist.

Sind diese Vorstellungen wirklich heute noch in uns drin?

Das heißt nicht, dass Eltern ihre Kinder heute nach dem Prinzip „Stammhalter“ oder „kleine Prinzessin“ erziehen. Heute werden Kinder viel individueller gesehen. Aber unterbewusst ist es schon noch in uns drin. Selbst wenn der konkrete, moderne Vater in der Realität kein Patriarch ist und seine Tochter total stark, dann schwingen diese Zuschreibungen doch im Hintergrund mit, vielleicht bei den Großeltern oder anderen Bezugspersonen.

Durch die Jahrtausende alte Prägung sind noch Restbestände patriarchaler Strukturen wirksam. Und diese alten Bilder haben unter Umständen Einfluss darauf, wie man seine eigenen Kinder erzieht. Manche haben ihre Eltern sehr bewundert, waren glücklich in ihrer Familie und möchten das fortführen. Andere hadern mit Dingen aus der Vergangenheit und wollen vieles bei den eigenen Kindern anders machen, zum Beispiel einen Partner wählen, der nicht so traditionell ist.

Wenn Sie in ihrem Buch über ihren eigenen Vater sprechen, kommt häufig eine Traurigkeit, Sprachlosigkeit und Sehnsucht durch. Diese Gefühle kenne ich auch von anderen erwachsenen Töchtern. Sind gerade Töchter oft enttäuscht von ihren Vätern und sehnen sich nach einer anderen Beziehung mit ihm?

Ja. Und das hat auch etwas mit der Generation und der damals traditionellen Aufteilung zwischen Erwerbs- und Erziehungsarbeit zu tun. Der Vater ging arbeiten und war sozusagen abwesend. Und die Kinder hatten Sehnsucht nach ihm. Und diese Sehnsucht nach dem Vater, die erwachsene Frauen heute vielleicht immer noch haben, hat häufig mit einer Idealisierung zu tun. So habe ich es auch erlebt. Der Vater stand lange auf einer Art Podest, auf dem er nicht so richtig ansprechbar war. Und ich als Tochter hatte riesige Ansprüche und Erwartungen an ihn, die er gar nicht erfüllen konnte. Als dieses Buch entstanden ist, habe ich gemerkt, dass Väter eigentlich nicht auf den Sockel gehören. Weil sie einfach nur Menschen sind, die auch nicht alles können.

Und neue Väter brauchen erst recht keinen Sockel mehr, oder?

Heutige Väter sind viel konkreter, Kinder erleben sie mehr im Alltag. Sie kochen, holen von der Kita ab, helfen bei den Hausaufgaben. Dadurch entsteht nicht so eine Idealisierung. Mädchen erleben ihn jeden Tag. Sie haben dadurch viel realistischere Erwartungen an ihn. Damit wird das Vater-Tochter-Verhältnis weniger von Projektionen geprägt, sondern von realer Beziehung. Vater und Tochter lernen sich heute viel besser kennen. Das ist etwas ganz Positives. Und die Väter wiederum haben heute viel mehr Vorbilder, wie eine Beziehung zum eigenen Kind gestaltet werden kann. Viele wollen ja längst nicht mehr nur der „Bezahl-Vater“ oder der „Gute-Nacht-Vater“ sein. Und immer mehr wird ihnen auch zugestanden, dass sie das Bedürfnis haben, mehr an der Familie teilzunehmen. Gerade in der Corona-Zeit haben viele Väter gemerkt, dass sie es schön finden, mehr zu Hause zu sein und ihr Kind tagsüber zu sehen.

Das ist auch eine Einsicht die manche älteren Väter haben, wenn sie Opa werden…

Ja, manche Opas bemerken erst durch den Kontakt mit den Enkeln, dass sie es bedauern, als Vater damals nicht so viel Zeit und Gelegenheit gehabt zu haben, für die eigenen Kinder da zu sein. Für die heute erwachsenen Kinder kann das Umdenken des Vaters versöhnlich sein. Und sie verstehen vielleicht auch, dass es einst auch die Umstände waren, die zu einem abwesenden Vater geführt haben. Es hilft, den anderen in seiner Zeit zu verstehen. Dadurch ändert sich möglicherweise auch die Schuldfrage.

Also können sich Vater-Tochter-Beziehungen auch später im Leben noch verbessern?

Jemanden zu verstehen, ihm zu vergeben oder sich zu lösen von einer negativen Beziehung, das kann jeder für sich selbst sein Leben lang tun, sozusagen innerlich, sogar wenn der andere nicht mehr da ist. Ob es zu einer tatsächlichen Aussprache oder Versöhnung kommt, das hängt stark davon ab, ob in der Familie überhaupt eine Gesprächskultur besteht. Gerade wenn es aufs Ende zugeht, haben viele Menschen das Bedürfnis, Dinge noch einmal zu klären. Nicht immer gelingt es in der Realität. Aber im Innern kann man das auf jeden Fall tun und es bringt einen garantiert weiter.

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