Wenn ein Familienmitglied länger schwer krank ist, kommt viel zu kurz – Über Ängste zu sprechen ist wichtig
In Sachen LiebeEine harte Probe – Wenn eine schwere Krankheit die Beziehung belastet

Wenn der Partner plötzlich gepflegt werden muss, belastet das die Beziehung. (Symbolbild)
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Mein Mann ist seit längerer Zeit an Krebs erkrankt. Ich bin sehr in Sorge um ihn und kümmere mich, so gut es geht. Aber er ist auch oft sehr gereizt und leidend. Das kann ich nur schwer ertragen. Manchmal würde ich am liebsten alles hinschmeißen. (Marlies, 47 Jahre)
Ihre Ehrlichkeit ist erstmal super. Natürlich besorgt es uns, wenn der Partner oder die Partnerin krank sind, noch dazu, wenn es eine bedrohliche Krankheit ist. Aber es kann auch einfach zu viel werden. Sorge und Ärger sind gleichzeitig da.
Viele Menschen, die – wie Sie – in einer solchen Situation sind, werden Ihre Gefühle sehr gut nachvollziehen können. Aber gucken wir mal genauer hin: Was bedeutet seine Erkrankung für Sie?
Haushalt, Kinder und Beruf plötzlich nur noch auf vier Schultern
Wenn ein Familienmitglied länger schwer krank ist, kommt natürlich ganz viel zu kurz: Es dreht sich gefühlt alles um den Patienten oder die Patientin. Darum, wie es ihm geht und was sie braucht: Pflege, Versorgung, Arztbesuche, vielleicht auch jemanden zum Klagen, Seufzen und Stöhnen. Wenn zuvor Haushalt, Kinder, und Beruf auf vier Schultern verteilt waren, müssen jetzt nur noch zwei allein es schultern. Unbeschwertes Zusammensein, Urlaubspläne, Arbeitsteilung kann man vielleicht auch erstmal vergessen.
Das eigene Bedürfnis nach Ruhe, danach, dass jemand einem zuhört, entlastend wirkt, wenn es zu viel wird, hat gerade keinen Platz. Und oft leidet die Beziehung. Die Partnerschaft bleibt zum großen Teil oder sogar komplett auf der Strecke. Es ist so ungleich, so unausgewogen! Wenn dann noch richtig schlechte Laune des Patienten dazu kommt, dann kann man schon mal den Wunsch verspüren, alles hinzuschmeißen.
Die bislang gelebten Rollen müssen getauscht werden
Vermutlich haben Sie Ihren Mann ganz anders kennengelernt, vielleicht als vitale, starke Person, bei der Sie sich anlehnen konnten. Und jetzt ist es umgekehrt. Auch das kann wütend machen, aber ebenso sehr Traurigkeit auslösen und Ängste: Wie soll das alles nur werden?
Sie müssen jetzt erleben, wie schwach dieser einst starke Mann auf einmal ist, und Sie müssen ihn vielleicht auch noch pflegen. Es stellt sich die Frage: Kann ich diese Seite meines Partners sehen und zulassen? Das ist eine harte Probe für die Beziehung. Die bislang gelebten Rollen müssen getauscht werden. Das erfordert die aktuelle Lebenssituation. Vielleicht haben Sie das schon mal geübt, dann ist es leichter. Vielleicht ist es aber auch neu und sehr herausfordernd.
Wenn man mitansehen muss, wie es dem Partner oder der Partnerin geht, macht einen das in Teilen hilflos. Man kann nicht dafür sorgen, dass der andere schnell wieder gesund wird. Man kann ihn unterstützen, praktische Dinge erledigen, ihm vielleicht etwas Berufliches abnehmen, aber die Krankheit nicht. Da muss er oder sie selbst durch. Und auch diese Hilflosigkeit kann einen wütend machen.
Wie war das denn früher bei Verwandten?
Was manchmal sehr hilfreich sein kann, ist ein gemeinsames Gespräch über die Frage: Wie ist in meiner Kindheit meine Familie mit Krankheit umgegangen? Wie war es in Deiner? Wurden kranke Familienmitglieder betüddelt? Standen sie im Mittelpunkt? Waren die Patientinnen und Patienten daheim in gewisser Weise gerne krank? Oder war es ganz anders? Lag ein Krankheitsfall wie Blei über der Familie? Wurden Kranke eher an den Rand gedrängt, weggelegt, weil sie zusätzliche Arbeit bedeuteten und ein Störfaktor waren?
Es ist interessant, einander das zu erzählen, um dem eigenen Umgang mit Krankheit und dem des Partners auf die Spur zu kommen. Das könnte bei Ihrem Mann beispielsweise zu der Einsicht führen: „Ich mag es nicht, wenn du ständig um mich herumwuselst. Das kenne ich nicht.“ Oder: „Ich wünsche mir, dass du dich einfach mal neben mich ans Bett setzt und wir reden können. Das reicht schon.“ Sie wiederum könnten sagen: „Ich fühle mich an meinen kranken Vater erinnert, der sehr wehleidig war. Das halte ich nicht gut aus.“ Oder: „Ich bin bereit, viel zu übernehmen, aber das Nörgeln, das kann ich nicht ertragen.“
So entsteht Verständnis für das Belastende Ihrer Situation, Verständnis füreinander und – wenn Sie Kinder haben – auch Verständnis für deren Lage.
Nach Entlastung schauen
Davon ausgehend, können Sie nach Entlastung schauen. Dazu ist vorrangig eine Frage interessant: Muss die komplette Versorgung von Ihnen übernommen werden? Kann eine Fachkraft ins Haus geholt werden? Zahlen die Kassen eine Pflegeperson? – Mit anderen Worten: Wo gibt es Hilfen, die Platz dafür schaffen, dass Sie sich mehr um sich selbst kümmern können, um die Beziehung oder auch um unbekümmerte Freiräume.
Je nachdem, welche Krankheit Ihr Mann hat, können Sie vielleicht auch vereinbaren: Wir sprechen maximal für eine bestimmte Zeit – eine halbe Stunde – am Tag davon. Darüber hinaus soll es um andere, alltägliche Themen gehen.
Ganz klar: Eine längere, schwere Krankheit ist eine Belastung für beide Seiten – auch für Sie. Und es ist gut, sich nicht zu scheuen, das genauso auszusprechen. Ihr Mann spürt es sowieso, und es kann auch ihn entlasten, wenn das zum Thema werden darf. Es steht im Raum, und was da ist, das wirkt. Was man ausspricht, kann man gemeinsam anschauen und zusehen, was man damit macht. Ihrem Mann wird es helfen, wenn Sie auch etwas für sich tun, über Ihre Gefühle sprechen und sich – wenn möglich – Auszeiten nehmen.
Dazu wünsche ich Ihnen viel Kraft, Mut und die Zuversicht, dass Sie gemeinsam etwas zum Besseren bewegen können.
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