Begleiten statt verbietenWie Eltern besser verstehen, was ihre Kinder am Handy machen

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Ein Mädchen hält ein Handy in der Hand.

Die ganze Zeit am Handy – statt darüber den Kopf zu schütteln, sollten Eltern lieber Interesse zeigen.

In vielen Familien gibt es ewige Diskussionen, weil die Kinder andauernd auf dem Smartphone texten oder zocken. Was sie da genau tun, verstehen Eltern nur selten. Das geht auch ganz anders, sagt die Kölner Digitalexpertin Leonie Lutz. Ein Gespräch.

Eltern sind meist genervt, wenn das Kind am Smartphone hängt. Wie entwickeln sie eine positive Grundhaltung der digitalen Welt ihrer Kinder gegenüber?

Leonie Lutz: Das fängt mit dem Wissen an, dass es überhaupt positive Aspekte der digitalen Welt gibt. Digitale Medien werden immer nur mit Unterhaltung und Konsum in Verbindung gebracht. Es wird dabei oft vergessen, was man mit diesen Werkzeugen noch alles Wunderbares tun kann. Eltern sollten den positiven Seiten der Digitalität im Familienalltag mehr Raum geben. Damit auch die Kinder verstehen: Damit lässt sich ja noch viel mehr machen als nur zocken oder glotzen.

Einfach ausblenden lassen sich Smartphones und Tablets heute ja nicht mehr…

Leonie Lutz

Leonie Lutz ist Redakteurin und Digitalexpertin und lebt in Köln. Sie bietet regelmäßig Elternkurse zum Thema „Kinder digital begleiten“ an.

Genau. Die Digitalisierung ist ja keine pubertäre Laune, sie bleibt. Und Eltern müssen dazu beitragen, dass Kinder lernen, sich kompetent und kritisch in dieser Welt zurechtfinden. Statt also Dinge zu verwehren und „Jetzt hängst du schon wieder am Smartphone“ zu schimpfen, sollten sie sich lieber für die digitale Lebenswelt ihrer Kinder interessieren. Neben dem klassischen „Wie war’s in der Schule?“ am Abendbrottisch, können sie gerne auch nachfragen, was ihr Kind heute am Smartphone erlebt hat.

Vieles aus der digitalen Welt der Kinder verstehen Eltern nicht. Wie kommen sie da raus?

Eins ist klar: Eltern brauchen viel mehr Wissen als sie aktuell haben. Um die digitalen Welten ihres Kindes kennenzulernen, kommen sie nicht umhin, sich zu informieren, zu überwinden und im Dialog mit ihren Kindern zu bleiben.

Sollten sie also erst einmal mal die Kinder bitten, ihnen Apps und Spiele zu erklären?

Die Kinder zu fragen, ob sie es ihnen zeigen und erklären, ist eine super Idee. Im Zweifel reagieren die Kinder erst einmal mit Augenrollen, aber eigentlich freuen sie sich über das Interesse ihrer Eltern, gerade auf einem Gebiet, bei dem sie die Experten sind. Das kann auch Türen öffnen. Wichtig ist, dass Eltern dem Ganzen nicht mit Abwehrhaltung und Angst begegnen, sondern sich darauf einlassen und ganz viele Fragen stellen. Vieles, was Kinder am Handy tun, fühlt sich für Eltern vielleicht erst einmal sinnlos an, doch sie sollten dabei die Kindersicht einnehmen und verstehen, was Spiele und Apps für ihr Kind bedeuten – das ist Teil seines sozialen Lebens. Meine Eltern fanden damals Gameboy und Tamagotchi blöd – aber ich wollte das, weil alle sowas hatten.

Wenn Kinder digitale Experten sind, wozu brauchen sie dann die Eltern?

Buchtipp

Cover des Buches „Begleiten statt verbieten“

Leonie Lutz/Anika Osthoff: „Begleiten statt verbieten – Als Familie kompetent und sicher in die digitale Welt“, Kösel Verlag, 240 Seiten, 17 Euro

Kinder sind zwar sogenannte „digital natives“ und haben eine ausgeprägte Wisch- und Gerätekompetenz, aber bei der Medienkompetenz brauchen sie ihre Eltern. Kinder müssen lernen, digitale Inhalte kritisch zu hinterfragen. Das geht aber nur, wenn Eltern sich in die digitale Welt der Kinder einfinden und mit ihnen einen offenen Dialog über Mediennutzung führen. Dann kommt ein Kind auch eher auf die Eltern zu, wenn es im Netz ein Problem hat.

Wie können Eltern ihre Kinder gut in der digitalen Welt begleiten?

Eltern sollten ab dem Moment erklären und begleiten, wenn das Kind digitale Geräte selbstständig nutzt. Schon dem dreijährigen Kind, das mal alleine 20 Minuten „Peppa Wutz“ guckt, kann man erklären, was der Home-Button ist, damit es das selbst ausstellen kann, wenn ihm die Handlung zu spannend wird. Das heißt natürlich nicht, dass es das Gerät grundsätzlich alleine bedienen sollte. Deshalb sind digitale Familienregeln wichtig, sie geben den Kindern Halt und Struktur. Wir empfehlen etwa altersgerechte Medienzeiten, die sinnvoll gewählt werden.

Am besten sollten Eltern Geräte, Spiele und Apps mit den Kindern zusammen einrichten und direkt altersgerechte Schutzeinstellungen vornehmen. Wir stellen viele davon in unserem Buch vor. Es lassen sich zum Beispiel Nutzungszeiten begrenzen oder eine Chat-Funktion deaktivieren, damit Kinder nicht von Fremden angeschrieben werden. Schon der Moment des Einrichtens kann dazu genutzt werden, das Kind über mögliche Risiken aufzuklären.

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Wie viel dürfen Eltern verbieten?

Wenn Eltern eine App oder ein Spiel nicht gut finden, sollten sie das ihrem Kind begründen – dass ihnen zum Beispiel Tik-Tok nicht gefällt, weil es dort verstörende Videos über den Ukraine-Krieg gibt. Das setzt natürlich voraus, dass sich Erwachsene auskennen. Bevor man dem Kind eine App erlaubt oder verbietet, sollte man sie sich vorher selbst herunterladen und anschauen.

Wieviel Eltern regulieren sollten, kommt natürlich auf das Alter des Kindes an. Die Altersfreigaben der Apps und Spiele sind eine gute Orientierung. Aber kein Kind im Teenie-Alter wiederum wird sich sagen lassen, welche Apps es benutzen darf. Hier ist es hilfreich, auf die Schutzeinstellungen zurückzugreifen.

Wie geht man damit um, wenn ein Kind Verbote umgeht?

Kinder finden immer irgendwelche Kniffe, untersagte Apps trotzdem anzuwenden. Deshalb lautet mein Appell an Eltern, die Dinge lieber zu erlauben und das Kind dabei zu begleiten als sie zu verbieten – denn dann macht es das heimlich.

Wann geht das digitale Interesse der Eltern zu weit?

Es darf nicht übergriffig werden. Regeln ja, aber bitte keine Überwachung. Sie sollten die Privatsphäre des Kindes achten und zum Beispiel nicht einfach die Nachrichten des Kindes lesen – erst recht nicht ungefragt. Und auch die Schutzeinstellungen digitaler Geräte sollten nicht zum Spionieren genutzt werden. Beim Sicherheitstool „Google Familylink“ können Eltern unter anderem schauen, wo sich das Kind gerade aufhält. Tun sie das, um zu erfahren, ob es gut in der Schule ankommt, ist das verständlich, es aber immer heimlich zu überwachen, das ist nicht in Ordnung.

Wann müssen Eltern aber eingreifen, um Kinder zu schützen?

Der Schutz unserer Kinder im Netz ist wahnsinnig wichtig. Eltern sollten die Gefahren kennen und mit ihrem Kind darüber sprechen. Eingreifen müssen Eltern, wenn ein Kind sich zum Beispiel mit einem unbekannten Freund aus dem Internet treffen will. Hier geht es um das Thema Cybergrooming, bei dem ältere Täter über Onlinespiele eine Vertrauensbasis mit Minderjährigen aufbauen, um am Ende sexuellen Kontakt zu suchen. Manche Kinder werden auch Opfer von Cybermobbing oder tauschen bereits in der vierten Klasse Hardcore-Pornos aus.

Wie können Eltern und Kinder wiederum gemeinsam die digitale Welt erleben?

Ich finde es schön, einmal im Monat einen digitalen Familientag einzurichten, der jeweils von einem Familienmitglied gestaltet wird. Wenn das Kind dran ist, will es vielleicht mit allen Minecraft spielen oder Snapchat erklären. Sind die Eltern an der Reihe, geben sie ihre Impulse an die Kinder weiter. Ich habe mit meiner jüngeren Tochter ein Stop-Motion-Video mit Smartphone, Schuhkarton und Playmobil-Figuren gedreht. Meine Co-Autorin Anika Osthoff hat mit ihren Kindern in Minecraft einen digitalen Zoo gebaut – die Kinder haben dazu recherchiert, was die Tiere brauchen und im Spiel Gemüse und Obst angebaut. Eltern könnten Kindern zeigen, wie man richtig recherchiert, wie Bildbearbeitung funktioniert, wie man einen Podcast aufnimmt oder mit einer Pflanzenbestimmungs-App im Wald forscht. Auch Rituale wie ein gemeinsamer Filmabend sind für Kinder unglaublich wichtig.

Stärken solche digitalen Familienerlebnisse auch die Kinder-Eltern-Beziehung?

Ich bin überzeugt, dass die Eltern-Kind-Beziehung von gemeinsamen digitalen Erlebnissen profitiert, weil das Verständnis für die Welt des anderen dadurch wächst. Wenn wir mit unseren Kindern ein Brettspiel spielen, macht es sie glücklich, weil wir uns in dem Moment mit ihnen beschäftigen. Der gleiche Effekt tritt ein, wenn wir gemeinsam ein Online-Spiel zocken.

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