Die Zeit drängtWieso dauert die Suche nach einem Corona-Impfstoff so lange?

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Ein Mitarbeiter vom Gesundheitsamt hält ein Teströhrchen. Die Suche nach einem geeigneten Impfstoff gegen das Coronavirus gestaltet sich schwierig.

  • Die Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus läuft weltweit auf Hochtouren, Deutschland nimmt hierbei sogar eine Vorreiterrolle ein.
  • Dennoch dauert es lange, bis ein Impfstoff schließlich auf den Markt kommt. Wieso ist das so?
  • Dr. Rolf Hömke ist Experte auf dem Gebiet und erklärt, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, bis ein Impfstoff zugelassen wird.

Köln – „Impfstoffe sind Arzneimittel, die das Immunsystem zum Schutz vor Infektionskrankheiten aktivieren“, so formuliert es das Paul-Ehrlich-Institut. „Impfstoffe herzustellen gehört zu den kompliziertesten Verfahren im Bereich der Arzneimittelproduktion“, so charakterisiert es Dr. Rolf Hömke, Forschungssprecher des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller e.V.. Impfstoffe sind derzeit der große Hoffnungsträger in der Corona-Krise, um das heimtückische Virus in Schach zu halten, bestenfalls erfolgreich zu bekämpfen.

Impfvarianten aktuell im Check

Die Palette der Impfvarianten reicht von Totimpfstoffen über Lebendimpfstoffe bis hin zu genbasierten Impfstoffen. Auf all diesen Impfgebieten hat man Erfahrungen gesammelt, die längsten und zuverlässigsten mit Totimpfstoffen, die gut erprobt sind und sich bewährt haben. Zudem gibt es eine sogenannte passive Immunisierung, die sich der Antikörper bedient, die ein Sars-CoV-2-Infizierter entwickelt, der gesundet ist. Dies ist keine neue Erfindung, sondern sie wurde schon bei der Spanischen Grippe angewandt, die vor rund 100 Jahren in nur wenigen Monaten geschätzt bis zu 50 Millionen Menschen tötete. Hömke: „Damals hat man Kranken etwas Blutserum von schon Genesenen übertragen und mit ihm viele Antikörper.“

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Dr. Rolf Hömke ist Forschungssprecher des „Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V.

Im übrigen enthalten Medikamente gegen Ebola Antikörper. Aber die Viren all dieser Erkrankungen, die bisher eine Epidemie oder gar Pandemie, also eine weltweite Verbreitung der Krankheit, ausgelöst haben, sind grundverschieden. Ihre Bekämpfung folglich auch. Hömke: „Man weiß im Moment noch nicht, welche Impfvariante die bessere Reaktion im Körper hervorrufen könnte und welche Feinheiten nötig sind, um eine starke Antikörperreaktion auszulösen.“ Der Körper soll und muss mit Hilfe des Impfstoffes lernen, den Erreger zu erkennen und ausreichend Antikörper produzieren, um die Viren zu vernichten. „Das kann man grundsätzlich mit allen bekannten Impfstoffvarianten erreichen. Mit welcher man aber tatsächlich am schnellsten einen zulassungsfähigen Impfstoff entwickelt, weiß man noch nicht“, so der Forschungssprecher. Die Antwort werde die Erprobung mit Menschen geben.

Deutschland bei Erforschung von Impfstoffen weit vorn

In Deutschland ist man mit der Entwicklung von Impfstoffen auf Basis von Genen und Vektorviren besonders weit. Das Kölner Unternehmen Cevec Pharmaceuticals gehört zum Reigen der mittlerweile über 120 Firmen weltweit, die an einem Corona-Impfstoff mitarbeiten. Nicht eine Firma im Alleingang wird das Rennen machen, sondern der kluge Zusammenschluss diverser Unternehmen, die in Forschung und Produktion kooperieren sowie solche, die die Verteilung des Impfstoffes planen, steuern und durchführen. Dass diese Quadratur des Kreises überhaupt möglich ist, dass ein Impfstoff eventuell bereits im nächsten Jahr verfügbar sein könnte, ist laut Hömke der Verdienst der wissenschaftlichen und industriellen Welt, die vorausschauend geplant hat.

Zur letzteren zählt zum Beispiel CureVac in Tübingen und BioNTech in Mainz. Wissenschaft und Industrie wurden nicht aus einer Laune heraus aktiv, sondern aus dem Bewusstsein, dass eine Pandemie kommt. Impfstoff-Prototypen wurden entwickelt – ohne dass der Impfstoff auf einen speziellen Erreger zugeschnitten wurde. Zum Reigen der Namhaften zählt unter anderem das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung, ein Verbund von mehr als 500 Ärzten und Naturwissenschaftlern auf dem Gebiet der Prävention, Diagnostik und Therapie von Infektionskrankheiten. „Diese gute Vorbereitung verkürzt die Entwicklungszeit für einen Corona-Impfstoff“ so Hömke.

300 Millionen US-Dollar für eine Impfstoff-Entwicklung

Ausgelöst wurde die Impfstoff-Vorbereitung, weil man schon früh die Gefährlichkeit dieser speziellen Viren erkannt hat. Ein dem aktuellen Corona-Virus verwandtes Virus ließ bereits vor Jahren die Wissenschaftler hellhörig werden. Das MERS-Coronavirus, das 2012 identifiziert wurde, verursacht eine Infektion der Atemwege und tritt bisher überwiegend in Saudi-Arabien auf. Dromedare sollen die Erregerquelle sein. Das Virus wird wahrscheinlich durch engen Kontakt zwischen Mensch und Tier übertragen. Die Wissenschaft erkannte die Brisanz und die Wahrscheinlichkeit einer Pandemie. Aber jedes Medikament gegen solche Erreger, jeder Impfstoff, egal ob Tot-, Lebend-, genbasiert oder auf Antikörpern beruhende Immunisierungen, bedarf der erfolgreichen Erprobung mit Menschen. „Das ist das Teuerste in der Entwicklung eines Arzneimittels“, sagt Rolf Hömke und hält bis zu 300 Millionen US-Dollar für eine Impfstoff-Entwicklung für realistisch.

Impfstoffe im Überblick

Für Totimpfstoffe werden nur abgetötete Krankheitserreger oder Bestandteile des Erregers verwendet. Der Körper registriert diese Stoffe als „Feinde“ und aktiviert das Immunsystem, sie zu bekämpfen.

Lebendimpfstoffe enthalten harmlose Vektorviren, quasi ein Transportvehikel, die mit biotechnischen Mitteln als Coronavirus „verkleidet“ wurden. Diese alarmieren das Immunsystem.

Bei genbasierten Impfstoffen sind ausgewählte Gene eines Erregers im Impfstoff, in Form von DNA, also der Erbinformation wie im Zellkern, oder von RNA, die in Zellen für die genetische Informationsübertragung sorgt.

Bei der passiven Immunisierung werden Antikörper aus dem Blut der Kranken gewonnen, die genesen sind. Die werden zu einem Medikament verarbeitet oder man sucht sich aus den Antikörpern die Optimalen heraus, kopiert sie und stellt diese gentechnisch für ein Immunisierungsmedikament her.

Es werden erst kleine Impfstoffmengen hergestellt und weltweit an diversen Stellen mit Freiwilligen erprobt. Hömke: „In die Länder wird der Impfstoff geliefert, Ärzte müssen eventuell noch ausgebildet und instruiert werden, wie sie vorzugehen und was sie zu dokumentieren haben, in den Kliniken muss häufig noch die Gerätschaft ergänzt werden.“ Weitergemacht wird nur, wenn diese Schritte erfolgreich verlaufen. „Wenn sich herausstellt, dass der Impfstoff nicht gut genug schützt, ist das aufgewendete Geld weg.“

„Bei einem stark geschwächten Immunsystem wirken Impfungen nicht“

Hinzu kommt, dass zu den hohen Hürden für einen passenden Impfstoff oder ein Immunisierungsmittel nicht nur die heikle und kostspielige Erprobung am Menschen gehört, sondern dass Viren die fatale Fähigkeit haben, sich zu verändern. „Viren verändern sich auf ihrer Oberfläche“, erklärt Hömke. „Die Folge kann sein, dass das Immunsystem sie nicht mehr als Feinde erkennt und sie nicht bekämpft.“ Was bedeutet, dass man in diesem Fall einen veränderten Impfstoff herstellen müsste. Vorstellen kann man sich das so: „Das Immunsystem reagiert wie ein Blinder. Es sieht nichts, sondern tastet mit hochempfindlichen Fingerkuppen die Virenoberfläche ab. Sobald die Virusoberfläche sich verändert hat, versagt dieser Erkennungsdienst.“ Dass Viren sich ein anderes „Gesicht“ zulegen, liegt an Kopierfehlern während sie sich vermehren. Folglich kommt es immer wieder vor, dass nicht das Ursprungvirus den Siegeszug antritt, sondern die fehlerhafte aber genauso gefährliche Kopie.

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Jedes Virus, egal ob das ursprüngliche oder das fehlerhaft kopierte, sucht und findet eine „Tür“ auf der Zelle, durch die es sich Eintritt verschafft. Voraussetzung ist ein bestimmtes Protein, das diesen Türöffner spielt. Würde es auf der Zelle fehlen, könnte das Virus nicht eindringen. Darauf zu bauen, dass die eigenen Zellen vielleicht diese Anomalie aufweisen und man deshalb nicht krank werden kann, ist eher utopisch. Hömke: „Bis jetzt hat es sich nicht gezeigt, dass es Menschen gibt, deren Zellen so geartet sind.“

Für die Wirksamkeit eines Impfstoffes ist ein gesundes Immunsystem unbedingte Voraussetzung. „Bei einem stark geschwächten Immunsystem wirken Impfungen nicht“, sagt Rolf Hömke. Da man weiß, dass das Immunsystem im Alter schwächelt, passt man Impfstoffe für alte Menschen an – eine Maßnahme, die für die Risikogruppe der Alten und Geschwächten in der Corona-Krise unverzichtbar ist. Hömke: „Gelingt die Entwicklung von Passiv-Immunisierungen gegen die Corona-Krankheit, kann die Pharmaforschung sogar Menschen mit schwerem Immundefekt einen wirksamen Schutz bieten.“

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