Bei Depression oder AngststörungKann ich mich mit einer Handy-App selbst therapieren?

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Apps können Therapien begleiten.

Köln – Digitale Therapieangebote, das klingt nach einem Hoffnungsschimmer für alle, die auf einen Therapieplatz warten: eine schnelle Hilfe auf dem Smartphone oder dem Computer. Das Angebot ist riesig. Auch für solche Fälle, in denen es bislang als ratsam galt, dringend einen Arzt oder Therapeuten aufzusuchen, bei Depressionen und Angststörungen zum Beispiel. Das Versprechen: Therapieren Sie sich selbst! Aber geht das überhaupt?  Wir haben mit Experten gesprochen, wann die Online-Selbsthilfe ratsam ist und wann nicht. Und woran man seriöse Angebote erkennen kann.

Welche Apps zahlt die Krankenkasse?

Manche der digitalen Therapieangebote sind gratis, andere sind kostenpflichtig. Und wieder andere werden als sogenannte „digitale Gesundheitsanwendungen" von den Krankenkassen bezahlt, soweit sie von einem Arzt oder Psychotherapeuten verordnet worden sind; oder die Versicherten ihrer Krankenkasse die Erkrankung selbst nachweisen können. Um welche Angebote es sich handelt, steht im DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Nicht alle Programme laufen über eine App, manche sind auch browserbasiert. 

Können digitale Gesundheitsangebote das Gespräch mit einem Therapeuten ersetzen?

„Es ist nicht zu empfehlen, sich einfach eine Therapie-App herunterzuladen, um sich selbst zu therapieren“, sagt Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer. Es brauche vorher immer ein Gespräch mit einem Psychotherapeuten oder einem Facharzt, der in einem ersten Schritt eine psychische Erkrankung feststellt, gefolgt von einer präzisen Diagnose. Um in einem nächsten Schritt die Behandlungsmöglichkeiten festzulegen.

Dazu zählt dann auch die Frage, ob sich die Begleitung einer Therapie mit einem digitalen Helfer anbietet. „Es gibt selbstverständlich auch Situationen, in denen so etwas sinnvoll sein kann“, sagt Munz. Zum Beispiel, wenn der Therapeut oder die Therapeutin merkt, dass der Patient auf diesem Wege zwischen den Behandlungszeiten selbstständig an dem Problem arbeiten kann. Oder wenn Betroffene mit einer Therapie-App längere Zeiträume überbrücken, in denen sie nicht in die Praxis kommen können.

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Dietrich Munz, Psychotherapeut und Präsident der BPtK.

Entscheidend sei aber, die Betroffenen niemals mit dem digitalen Angebot allein zu lassen, sondern regelmäßig Feedback einzuholen. „Wenn es dem Patienten schlechter geht, muss sofort interveniert werden“, so Munz. Vor allem, wenn die Nutzung eines digitalen Therapieangebots eine Krise auslöst und die Menschen ihrem Gedankenkarussell nicht mehr entkommen. „Dann brauchen sie dringend einen Ansprechpartner, um herauszufinden, was diese Krise ausgelöst hat und welche Schritte sinnvoll sind.“ Im Idealfall liefere die App selbst den Hinweis oder sogar einen Alarm, inklusive eines direkten Kontakts.

In Notfällen rät der Psychotherapeut zum herkömmlichen Weg: Betroffene könnten sich an die Notfallambulanzen in den psychiatrischen Kliniken wenden. Oder unter der 116117 bei dem Patientenservice der Kassenärztlichen Vereinigung anrufen, um einen behandelnden Psychotherapeuten zu finden.

Warum ist es so schwierig, einen Therapie-Termin zu bekommen?

Dabei liegt in genau dieser Terminvergabe das Problem. Denn ein Behandlungsplatz ist häufig nur mit enormer Vorlaufzeit zu bekommen. „Die Therapieplätze sind begrenzt durch die sogenannte Bedarfsplanung“, erklärt Munz. Die beläuft sich derzeit im Mittel auf rund 25 Psychotherapeuten pro 100.000 Einwohner. Zu wenig, findet der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer. „Es gibt einen Mangel an Zulassungsmöglichkeiten für Therapeutinnen und Therapeuten und das zeigt sich leider auch an den relativ langen Wartezeiten.“

Gleichzeitig hat die Corona-Pandemie die Zahl derer, die an einem psychischen Problem leiden, wachsen lassen. Allein im ersten Pandemiejahr seien die Fälle von Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen nochmal um 25 Prozent angestiegen, meldet die Weltgesundheitsorganisation in ihrem aktuellen „World Mental Health Report“, schon zuvor waren weltweit Milliarden betroffen. In Deutschland leidet laut Gesundheitsministerium fast jeder dritte Mensch im Laufe seines Lebens an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung.

Welche Risiken haben digitale Therapieangebote?

Bei einer solchen Schieflage zwischen Angebot und Nachfrage liegt die Nutzung einer Therapie-App nahe. Wer die Webseiten der Anbieter besucht, liest dort häufig von Studien, die die Wirksamkeit belegen sollen. Auch an der Universität zu Köln wird diese Wirksamkeit erforscht, derzeit im Zusammenhang mit der „Skin Picking Störung“, dem zwanghaften Knibbeln an der Haut. Alexander Gerlach ist verantwortlich für den Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie, an dem die Studie durchgeführt wurde. Er sagt: „Wenn Menschen es schaffen, eine digitale Therapie abzuschließen, dann profitieren sie durchaus davon.“

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Gerlach und sein Team haben eine Online-Anwendung zur Selbsthilfe entwickelt, sie heißt „Knibbelstopp“ und wurde von etwa 1.000 Studienteilnehmern getestet. Das Problem: Die Studie hat auch gezeigt, dass etwa die Hälfte der Nutzerinnen und Nutzer die Selbsttherapie frühzeitig abbrechen. Diese subjektive Erfahrung des Scheiterns, sagt Gerlach, könne sich mitunter fatal auf den Therapieverlauf auswirken. „Betroffene haben dann große Selbstzweifel und sind kaum mehr zu motivieren, sich Hilfe zu suchen. Weil sie glauben, dass Hilfe für sie nicht erreichbar ist.“

Gleichzeitig darf man nicht unterschätzen, wie schwierig es gerade für Menschen in komplizierten Lebenssituationen ist, sich selbst zu organisieren und zu strukturieren. Und diesen Menschen dann auch noch die Verantwortung für die Organisation ihrer Therapie via App zuzumuten, sei für viele überfordernd, weiß der Psychologe. 

Woran erkenne ich eine seriöses App für die mentale Gesundheit?

Einen ersten Hinweis liefern valide Studien, die in einem Fachmagazin erschienen sind. Von denen gibt es bislang allerdings nur wenige. Wem eine solche Recherche ohnehin zu kompliziert ist, der sollte sich an seine Krankenkasse wenden, rät Gerlach, oder das Eingangs schon erwähnte DiGA-Verzeichnis (diga.bfarm.de) zu Rate ziehen. Denn nur, wenn die Hersteller die positive Wirkung nachweisen können und den Ansprüchen an Nutzerführung und Datenschutz genügen, werden ihre Programme dort dauerhaft aufgenommen.

Darunter zum Beispiel das Therapieangebot „Selfapy“, entwickelt von den Psychologinnen Nora Blum und Katrin Bermbach. 35.000 Menschen hätten sich inzwischen registriert, sagen die Anbieterinnen und versprechen schon nach drei Monaten eine Verminderung der Symptome. So lange dauert der Online-Kurs gegen Depressionen, Angst- und Panikstörungen, den „Selfapy“ anbietet. Die Nutzerinnen und Nutzer erhalten erklärende Texte, Videos und Übungen, bei Bedarf können sie über ein Kontaktformular eine Psychologin kontaktieren.

In dem DiGA-Verzeichnis befinden sich allerdings auch Angebote, die bislang nur vorläufig aufgenommen worden sind, weil zum Beispiel die ausreichenden Nachweise zu den positiven Versorgungseffekten noch ausstehen. Die dafür notwendige Studie kann in der Regel innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten nachgereicht werden, erklärt das BfArM, soweit vorher eine plausible Begründung der Versorgungsverbesserung sowie ein Evaluationskonzept für diese Studie vorgelegt wurde.

Wie lautet die Kritik an den digitalen Angeboten zur Therapie?

Ein Verfahren, das dem Innovationsgedanken geschuldet ist aber auch für Kritik gesorgt hat. „Bei den DiGA ist nicht alles Gold, was glänzt“, erklärt der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen in einer im Frühjahr erschienen Bilanz zum Thema. „Obwohl der Gesetzgeber mit einem großen Vertrauensvorschuss den Herstellern maximalen Freiraum geschaffen hat, um Produkte auf den Markt zu bringen, die die Versorgung der Versicherten maßgeblich verbessern, konnten die Erwartungen bisher kaum erfüllt werden.“

Die Krankenkassen betonen gleichsam das Potential der digitalen Angebote. In der Tat lässt sich in einer vollständig digitalisierten Welt, in der Kühlschränke mit Toastern kommunizieren können und Autos selbst fahren, die Frage stellen, warum nicht auch Menschen mit einer psychischen Erkrankung deutlich mehr und deutlich schneller von technologischer Innovation profitieren sollten. Gleichzeitig ist das direkte Gespräch nicht nur mit Fachleuten sondern auch mit anderen Betroffenen, mit Familie und Freunden unersetzlich. „Es geht darum, dass die Menschen in ihrem Alltag einen Weg finden, mit ihren Schwierigkeiten zurecht zu kommen und glücklicher und zufriedener zu leben“, sagt Alexander Gerlach. Dafür brauche es oft keine App. Sondern ein verständnisvolles Umfeld.

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