Langes Sitzen, schlechte Ernährung, viel Stress – die Deutschen leben immer ungesünder. Sportwissenschaftler Ingo Froböse fordert eine Zuckersteuer.
DKV-GesundheitsreportSo leben Sie gesünder – Tipps von Kölner Sportprofessor Ingo Froböse

Sitzen und Alkohol wirken sich negativ auf die Gesundheit aus – gerade einmal 2,1 Prozent der Deutschen erfüllen die Kriterien eines rundum gesunden Lebensstil
Copyright: Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Wir sitzen zu viel, essen zu wenig Obst und Gemüse, rauchen, trinken und sind gestresst. Was für viele Menschen Normalität ist, alarmiert Gesundheitsexperten. Wie sehr sich unser gesunder Lebensstil verschlechtert hat, zeigt nun eine Studie der privaten Krankenversicherung DKV.
„Wir brauchen dringend mehr Gesundheitskompetenz, die Menschen wissen nicht, was sie tun“, sagt der Kölner Sportprofessor Ingo Froböse. Seine fast schon verzweifelt klingende Forderung fußt auf den Ergebnissen des am Montag veröffentlichten achten Gesundheitsreports der Deutschen Krankenversicherung (DKV).
In Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthochschule Köln und der Universität Würzburg haben die Forschenden rund um Studienleiter Froböse das Gesundheitsverhalten der Deutschen unter die Lupe genommen. Dazu wurden zwischen dem 11. Februar und dem 17. März mehr als 2800 Menschen befragt.

Ingo Froböse ist Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln
Copyright: Thilo Schmülgen
Die Ergebnisse gelten laut Studie als repräsentativ – und sind auch deshalb alarmierend. Nur 2,1 Prozent der Bevölkerung erfüllen die Kriterien an einen gesunden Lebensstil. Der sei Voraussetzung dafür, chronische Krankheiten zu vermeiden und so das Gesundheitssystem zu entlasten, so Froböse. „Nur wenn wir ein Bewusstsein dafür schaffen, werden wir unser Gesundheitswesen vor einem Kollaps behaupten können.“
Wer gilt als rundum gesund?
Komplett gesund sind Menschen, die sich ausreichend bewegen, ausgewogen ernähren, auf Alkohol und Nikotin verzichten und gut mit Stress umgehen. So steht es im DKV-Report. Das ist erst einmal nichts Neues. Trotz der bekannten Vorteile zeigen die aktuellen Ergebnisse jedoch, dass ein Großteil der Bevölkerung – rund 98 Prozent der Deutschen – die Richtwerte für einen gesunden Lebensstil nicht erfüllt.
Wie sind die Ergebnisse im Zeitverlauf zu bewerten?
Noch 2023 lebten 17 Prozent der Bundesbürger laut der damaligen Kriterien des Gesundheitsreports rundum gesund, 2025 sind es besagte zwei Prozent. Vergleichbar sind diese Werte allerdings nicht. In der diesjährigen Erhebung haben die Forschenden erstmals auf Online-Fragebögen, statt ausschließlich auf Telefon-Interviews gesetzt. „Wir gehen davon aus, dass die Menschen da deutlich ehrlicher antworten“, erklärt Froböse.
Ein weiterer Faktor kommt hinzu. Galt bis vor Kurzem der gelegentliche Alkoholkonsum – ein Bierchen am Wochenende, ein Absacker im Restaurant – noch als tolerierbar, passe sich der Report nun den strengeren Einschätzungen der Weltgesundheitsorganisation an. Die besagt: Nur wer gänzlich auf Alkohol verzichtet, lebt gesund – in Sachen Alkohol sind das der Umfrage zufolge 29 Prozent. Hätten die Forschenden die Kriterien aus dem vorigen Report angelegt, hätten rund 80 Prozent den Richtwert für gesunden Alkoholkonsum erreicht.
Es ist in der Tat so, dass Deutschland immer ungesünder lebt, das muss man ganz klar sagen
Um trotz der Neuerungen eine gewisse Vergleichbarkeit zu den Vorjahren herzustellen, haben die Forschenden die Daten auf die alten Richtwerte hochgerechnet. Demnach würde der bundesdeutsche Schnitt beim Gesundheitsranking bei sechs Prozent liegen und auf den historischen Tiefstwert des Corona-Jahrs 2021 zurückfallen. Die zeitliche Entwicklung offenbare also überwiegend ernüchternde Tendenzen, heißt es daher. „Es ist in der Tat so, dass Deutschland immer ungesünder lebt, das muss man ganz klar sagen“, so Froböse.
Wo haben die Deutschen Nachholbedarf?
„Wir sehen insbesondere im Bereich der Ernährung große Defizite“, sagt der Kölner Wissenschaftler. Nur noch jeder und jede Dritte erfüllt die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), die beispielsweise Obst und Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte und Nüsse sowie wenig Fleisch vorsehen. 2023 lag der Wert noch über der 40-Prozent-Marke. „Das ist der Tiefpunkt aller Erhebungen, die wir je durchgeführt haben. Dabei wissen die Menschen doch angeblich so viel über gesunde Ernährung. Und trotzdem verhalten sie sich so unheimlich ungesund.“
Frauen leben gesünder als Männer
Außerdem besorgniserregend: Das Stresslevel der Deutschen scheint immer mehr zu steigen. Nur einem Fünftel (20 Prozent) der Befragten gelingt laut Report ein gesunder Umgang mit der täglich empfundenen Belastung. Nach den mental herausfordernden Corona-Jahren ist das ein erneuter Tiefstwert.
Dabei sei Stress nicht nur auf das Arbeitsleben zurückzuführen, sagt Froböse. „Es ist der ganze Alltag, auch die Freizeit gehört dazu: Kinder, Erziehung, Miete, finanzielle Sorgen, digitale Medien.“ Entspannter werden die Menschen den Ergebnissen zufolge erst im höheren Alter.
Gibt es gruppenspezifische Unterschiede?
Ja, das wird im Report deutlich. Die Verhaltensmuster für einen gesunden Lebensstil hängen von Faktoren wie Alter, Geschlecht und Bildungsstand ab. Beispielsweise verzichten junge Erwachsene eher auf Alkohol, während Ältere neben Stresskompetenz auch beim Thema Ernährung punkten. Frauen leben darüber hinaus gesünder als Männer, was sich vorwiegend im Alkoholkonsum, Rauchverhalten und der Ernährung widerspiegelt. Männer gelten hingegen als aktiver.
Deutsche sitzen durchschnittlich über zehn Stunden am Tag
Die Daten zeigen zudem, dass ein gesunder Lebensstil auch vom Bildungsgrad abhängt. „Die bildungsfernen Gruppen machen uns bei einigen Punkten die größeren Sorgen“, so Froböse. Am häufigsten leben Menschen mit abgeschlossenem Studium gesund - allerdings erfüllen auch hier nur fünf Prozent die Richtwerte für ein gesundes Leben. Bei Hauptschulabsolventinnen und -absolventen waren es null Prozent.
Wie können Menschen bei der Erreichung eines gesunden Lebensstils unterstützt werden?
„Die Zahlen verdeutlichen die Notwendigkeit, Prävention und Gesundheitsförderung zu intensivieren“, heißt es im DKV-Report. Ingo Froböse schlägt vor, noch an einem anderen Punkt anzusetzen. „Nehmen wir das Thema Ernährung. Die billigste Lösung ist es, irgendeinen Schrott zu kaufen und zu essen.“ Eine Pizza mache zwar satt, bringe einen gesundheitstechnisch aber kaum weiter. Er wirft angepasste Preise und eine Zuckersteuer in den Raum. „Wir müssen es den vulnerablen Gruppen erleichtern, auf gesunde Lebensmittel zurückzugreifen.“
Wie steht es um das Thema Bewegung?
Zunächst eine positive Nachricht: Zwei Drittel der Deutschen bewegen sich ausreichend, um daraus gesundheitliche Vorteile zu ziehen. Körperliche Aktivität dient der Prävention zahlreicher chronischer Erkrankungen. Trotzdem gelten rund 20 Prozent der Deutschen als inaktiv. Insbesondere beim Krafttraining gebe es noch Entwicklungspotenzial, heißt es im Report.

Kleine Trainingseinheit: Treppensteigen stärkt die Muskulatur in Oberschenkeln, Waden und Po und kann einfach in den Alltag eingebaut werden.
Copyright: Christin Klose/dpa-tmn
„Die Muskulatur ist einer der wichtigsten Garanten dafür, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden“, erklärt Froböse. Um die zu trainieren, sei nicht unbedingt der Gang ins Fitnessstudio nötig. „Muskeln brauchen Reize, und die gibt es im Alltag. Mein Trainingsgerät habe ich immer dabei, das ist der Körper.“ Er rät dazu, kleine Hürden in den Alltag einzubauen. „Nehmen wir mal das Treppenhaus. Da habe ich schon eine wunderbare Trainingsmöglichkeit für meine untere Extremität. Und schon bleibe ich mobil.“
Solche Tricks empfiehlt er derweil auch den vielen Vielsitzerinnen und Vielsitzern. Während sich das Niveau der körperlichen Aktivität seit 2016 zumindest einigermaßen stabil hält, spricht die DKV bei den Sitzzeiten von einem „alarmierenden Rekord“.
Was ist so schlimm am vielen Sitzen?
Die durchschnittliche Sitzdauer erhöhte sich demnach pro Werktag binnen zwei Jahren von neun Stunden und 58 Minuten auf etwa zehn Stunden und 13 Minuten. Im Schnitt dreieinhalb Stunden davon sitzen die Menschen am Arbeitsplatz, zweieinhalb Stunden vor dem Fernseher und anderthalb Stunden an Computer oder Tablet.
Bewegungsmangel sei das eine. Doch Sitzen gelte auch als eigener Risikofaktor, erklärt der Sportwissenschaftler. „Wenn ich acht bis zehn Stunden sitze, passiert so viel Negatives im Körper, etwa was die Versorgung von Zellen betrifft, dass ich das auch mit einem abendlichen Spaziergang oder einer Fitnesseinheit nicht mehr kompensieren kann.“ Deshalb sei es wichtig, das Sitzen regelmäßig zu unterbrechen –„mindestens jede Stunde“, so Froböses Empfehlung.
Was gibt Grund zur Hoffnung?
Als „Silberstreif am Horizont“ bezeichnet Froböse die Nutzung digitaler Kanäle. Immer häufiger werden Informationen in Apps, Online-Sprechstunden oder Foren bereitgestellt. Das ergebe Chancen für Prävention und einen eigenverantwortlichen Umgang mit der Gesundheit. Voraussetzung sei jedoch, dass Menschen in der Lage sind, digitale Informationen gezielt zu finden, richtig zu verstehen und kritisch zu bewerten. „In der Digitalisierung ergeben sich Lösungen, um die Gesundheitskompetenz der Menschen ohne große Barrieren ausbauen zu können.“