High-Protein-ProdukteWann eiweißreiche Lebensmittel gut sind und wann sie schaden

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Zählen zu den High-Protein-Produkten: Eiweißbrot und Skyr.  

Köln – Auf dem Teller sieht sie aus wie eine stinknormale Scheibe Vollkornbrot: Hellbraun, viereckig, körnig, mit ein paar Luftlöchern zwischendrin. Sie riecht auch wie eine normale Scheibe Brot. Nur die Konsistenz ist ein wenig anders, nicht ganz so fest, ein bisschen geleeartiger vielleicht. Auf jeden Fall aber hat sie rund drei Mal mehr Eiweiß als eine stinknormale Scheibe Brot: 22 Gramm Protein auf 100 Gramm – eine normale Scheibe Brot bringt es im Durchschnitt nur auf etwa 7 Gramm pro 100 Gramm. Das Eiweißbrot auf unserem Teller ist dabei nur ein Beispiel von vielen. Denn die Anzahl sogenannter High-Protein-Produkte ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Braucht unser Körper überhaupt mehr Proteine? Für wen eignen sich die Lebensmittel? Und: Kann das vielleicht sogar gesundheitsschädlich sein? Kann es, sagt Kerstin Bernhardt, Ernährungsberaterin aus Köln.

Bevor wir in die Thematik einsteigen, müssen wir erst einmal klären, was ein High-Protein-Produkt überhaupt ist. Die EU hat nämlich klare Regeln festgelegt, was auf Produkten draufstehen darf – folglich auch, ab wann ein Produkt als „eiweißreich“ klassifiziert werden darf: „Mindestens 20 Prozent der Kilokalorien müssen aus Eiweiß stammen“, erklärt Bernhardt. Prangt auf dem Produkt der Slogan „Eiweißquelle“ müssen es nur zwölf Prozent der Kilokalorien sein. Doch Obacht: Die Grammzahl, die sich in den Nährwertangaben findet, ist nicht gleich der Kalorienzahl. Dafür muss man erst mal rechnen. Denn ein Gramm Eiweiß entspricht etwa 4,2 Kilokalorien. Die 22 Gramm aus unserem Brot entsprechen also 92,4 Kilokalorien Eiweiß. Das sind 40,7 Prozent der gesamten Kilokalorienzahl von 227 pro 100 Gramm (das steht in den Nährwertangaben). Kurz gesagt: Unser Brot trägt seinen Titel „Eiweißbrot“ zu Recht. Ob alle High-Protein-Produkte ihre Bezeichnung wirklich verdienen, ist ein wenig zweifelhaft – sind Marketing-Abteilungen doch findig darin, mit ähnlichen, aber nicht ganz so klar definierten Begriffen zu werben.

Zur Person

Kerstin Bernhardt

Ernährungsberaterin Kerstin Bernhardt

Kerstin Bernhardt ist Diplom Oecotrophologin aus Köln. In ihrer Praxis „Die Ernährungslotsen“ in Neuehrenfeld bietet sie Ernähungsberatung und -therapie an: www.ernaehrungslotsen.de

Proteinreiche Produkte gibt es mittlerweile aus gefühlt jeder Sparte – von Klassikern wie Milchprodukten, Fleisch und Fisch über Brot, Riegel, Marmelade bis hin zu Pizza, Schokolade und Chips. „Früher gab es Eiweiß-Shakes nur im Fitnessstudio, aber heute hat der Trend die breite Masse erreicht“, sagt Kerstin Bernhardt. „Mittlerweile kann man solche Produkte in jedem Discounter kaufen.“ Die GfK beobachtet den High-Protein-Trend seit 2016. Und in den vergangenen fünf Jahren ist der Markt rasant gewachsen: Allein von Januar bis November 2021 verzeichneten die Experten ein Plus von 10,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, so Robert Kecskes, Konsumexperte der GfK. Im Vergleich dazu ist der Markt für Lebensmittel insgesamt nur um ein Prozent gewachsen. „Bei den High-Protein-Produkten sehen wir einen robusten Trend. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Markt seit 2016 stetig wächst“, so Kecskes.

Wie kommt das Eiweiß ins Essen?

Doch Zahlen hin oder her – wie kommt das ganze Eiweiß überhaupt in das Lebensmittel rein? Bei einem sowieso schon eiweißreichen Produkt wie etwa einem Schokopudding kann man sich das relativ leicht vorstellen – einfach ein bisschen mehr Milchpulver rein, fertig. Doch wie ist das bei Brot, einem Produkt, das ja sonst eher kohlenhydratlastig ist? „Bei solchen Lebensmitteln greifen die Hersteller dann oft auf andere eiweißreiche Zutaten zurück, wie zum Beispiel Molkenprotein, Sojamehl, Erbsen-Eiweiß oder Gluten. Gluten ist nämlich ein Getreide-Eiweiß“, erklärt Kerstin Bernhardt. Gut zu wissen für all jene, die eigentlich gerne auf Gluten verzichten wollen.

Eiweißbrot 1

In diesem Eiweiß-Brot stecken 22 Gramm Protein pro 100 Gramm.

Da drängt sich doch der Eindruck auf, wir würden in unserer Gesellschaft zu wenig Eiweiß konsumieren. Ist dem so? „Nein“, sagt Kerstin Bernhardt. „Ein Erwachsener sollte 0,8 bis 1 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht am Tag zu sich nehmen. Mit normaler Vollkost kommt man da locker dran.“ Das gilt übrigens auch für Freizeitsportler – also etwa Menschen, die drei Mal pro Woche eine Stunde Sport machen. „Wer jedoch aus ethischen oder gesundheitlichen Gründen auf bestimmte Lebensmittel verzichtet und zum Beispiel vegetarisch oder vegan lebt, der sollte schon zusehen, dass er genug Eiweiß bekommt“, so die Ernährungsberaterin. Die großen Protein-Bringer seien eben die tierischen Lebensmittel Fleisch, Fisch und Milchprodukte. Vegetarier oder Veganer müssten diese Nährstoffe adäquat ersetzen.

Protein wird für zahlreiche Prozesse im Körper benötigt

„Eiweiß ist sehr wichtig für uns“, betont Kerstin Bernhardt. Protein wird für vielfältige Prozesse im Körper benötigt, etwa den Muskelerhalt und –aufbau, das Immunsystem, Transportstoffe wie Hämoglobin, Hormone, Enzyme oder die Blutgerinnung. „Wir verbrauchen kontinuierlich Eiweiß. Wenn wir zu wenig davon zu uns nehmen, gerät der Körper langsam in einen Abbau-Prozess.“ Die negativen Folgen leerer Protein-Speicher merke man oft erst viel zu spät, etwa, wenn die Muskelkraft schwindet, die Abwehrkräfte nachlassen oder sich überflüssiges Wasser in bestimmten Körperteilen wie den Füßen eingelagert habe.

Vor allem Vegetariern und Veganern rät Kerstin Bernhardt dazu, einmal für eine Woche ein Ernährungstagebuch zu führen und – zum Beispiel mit Hilfe einer App – auszurechnen, wie viel Eiweiß man durchschnittlich zu sich nimmt. Gleichzeitig rät sie aber vehement davon ab, einen nur gefühlten Mangel mit High-Protein-Produkten auszugleichen. „Bei diesen Produkten oder auch speziellen Pillen nimmt man Eiweiß in hochdosierter Form zu sich und verliert schnell den Überblick über die Menge.“ Und genau das kann schwerwiegende Folgen haben: „Ein zu hoher Eiweiß-Konsum kann auch krank machen“, sagt die Expertin.

Verstärktes Auftreten von Harnsteinen bei jungen Menschen

Bei Menschen, die bereits Probleme mit den Nieren haben, sei das fatal und verschlimmere die Symptome. Denn bestimmte Abbauprodukte vom Eiweiß werden über den Urin ausgeschieden – ein Prozess, der bei nierenkranken Menschen nicht mehr richtig funktioniert. Doch auch für gesunde Menschen gilt: „Mehr als 2,5 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht kann der Körper einfach nicht verarbeiten“, sagt Bernhardt. Deswegen können auch bei Gesunden Probleme entstehen. Zwar gibt es noch keine Langzeit-Forschungen zu den Auswirkungen von High-Protein-Produkten – einfach, weil das Phänomen noch zu jung ist – aber Mediziner führten das verstärkte Auftreten von Harnsteinen bei vor allem jungen Menschen auf einen gestiegenen Eiweiß-Konsum zurück. Bernhardt sagt: „Die Harnsteine wandern von den Nieren durch den Harnleiter bis in die Blase. Sie können zu einem Harnstau führen, Entzündungen hervorrufen und sind äußerst schmerzhaft.“

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Das Fazit der Ernährungsberaterin: Die High-Protein-Produkte sind im Grunde unnötig. Stattdessen sollte man erst einmal ausrechnen, ob man überhaupt zu wenig Eiweiß zu sich nimmt. „Dann würde ich immer versuchen, einen erhöhten Bedarf an Eiweiß mit natürlichen Lebensmitteln zu decken. Denn die führen dem Körper auch noch andere wichtige Stoffe zu.“ So steckten zum Beispiel in Fisch wichtige Omega-3-Fettsäueren, in Fleisch Eisen, in Milch Calcium oder in Hülsenfrüchten Mineralstoffe. Lebensmittel wie Harzer Käse, Eier, Magerquark, Skyr, Linsen oder Nüsse seien große Eiweißbringer. Also in Zukunft vielleicht einfach mal wieder ein stinknormales Körnerbrot vom Bäcker auf den Teller legen und mit einer leckeren Scheibe Käse genießen. Guten Appetit!

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