Corona-Zahlen bei den Jüngsten steigenWann werden die Kinder endlich geimpft?

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Kinder Impfen Corona

In den kommenden Tagen soll über die Impfung junger Menschen entschieden werden.

Köln – „Die Kinder“, sagt Axel Gerschlauer, „sind die größten Verlierer in der Corona-Pandemie!“ Und das sehe man ganz aktuell wieder, findet der Kinder- und Jugendarzt aus Bonn: „Herr Spahn denkt über Vorteile für Geimpfte nach – da kann es nicht sein, dass die Kinder und Jugendlichen wieder hinten runterfallen.“ Denn bisher gibt es ihn noch nicht, den Corona-Impfstoff für die Jüngsten unserer Gesellschaft. Doch wie lange dauert es noch, bis ein Impfstoff zur Verfügung stehen wird? Und warum kann man nicht einfach die bisher zugelassenen Mittel verimpfen?

Zurzeit ist nur der Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer schon für Jugendliche ab 16 Jahren zugelassen. Und auch die ersten Studien-Ergebnisse des Unternehmens machen Mut: Laut einer Studie mit 2260 Jugendlichen zwischen zwölf und 15 Jahren aus den USA habe der Impfstoff eine hundertprozentige Wirksamkeit in dieser Altersgruppe, heißt es. In einem rund dreimonatigen Untersuchungszeitraum wurden in der Probandengruppe keine Infektionen festgestellt, während es in der Placebogruppe 18 Infektionen gab. Aktuell wird der Corona-Impfstoff bei Kindern zwischen sechs Monaten und elf Jahren getestet.

Nicht einfach die halbe Dosis für Kinder

„Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“, betont Axel Gerschlauer, Pressesprecher Nordrhein beim Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. „Man kann nicht einfach sagen: Du bist nur halb so groß, also bekommst du die halbe Dosis.“ Die Funktionsweise des Immunsystems sei sehr kompliziert, deswegen könne man auch nicht einfach davon ausgehen, dass die bereits zugelassenen Impfstoffe auch bei Kindern wirken – und zudem sicher sind.

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Kinder- und Jugendarzt Axel Gerschlauer

Das sehe man auch bei anderen, gängigen Impfungen, erklärt Gerschlauer: Die Tetanus-Start-Impfung bei Kindern etwa sei sogar höher dosiert als die Auffrischungsimpfung für Erwachsene. Bei Hepatitis B sei die Dosis für Kinder niedriger, während sie für Masern gleich hoch sei. Ein Luxus sei hingegen die Influenza-Impfung: „Da können wir manche Impfstoffe sowohl für Erwachsene als auch für Kinder ab sechs Monaten verwenden.“

Sicherheit soll bei Kindern besonders hoch sein

Impf-Studien mit Kindern laufen ähnlich ab, wie die mit Erwachsenen. Nur die Probanden sind oft schwieriger zu finden, so der Kinder- und Jugendarzt. Einerseits, weil die Gruppe der Kinder und Jugendlichen kleiner ist als die der Erwachsenen und andererseits, weil Eltern ihre Kinder nicht leichtfertig für die Versuche zur Verfügung stellen wollten. „Mein Eindruck ist aber, dass die Bereitschaft bei den Corona-Studien hoch ist“, sagt Axel Gerschlauer. So erhofften sich manche Eltern wohl einen frühzeitigen Schutz für ihre Kinder. Auch in Nordrhein-Westfalen gäbe es Testgruppen, sagt Gerschlauer. Zudem wären die Maßstäbe, die man an die Sicherheit der Impfstoffe bei Kindern stelle, besonders hoch. „Wenn irgendetwas bei einem für Kinder zugelassenen Impfstoff schief gehen sollte, wäre der Aufschrei in der Bevölkerung zu Recht noch viel größer als bei Erwachsenen“, glaubt Gerschlauer.

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Auch Moderna testet seinen Impfstoff an Kindern und Jugendlichen.

Anderen große Impfstoff-Unternehmen wie Moderna und Johnson & Johnson sind zurzeit ebenfalls in der Testphase. Erste Ergebnisse werden hier im Sommer erwartet. Astrazeneca pausiert seine Studie zur Wirksamkeit bei Kindern gerade. Thomas Mertens, der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (STIKO), zeigte sich zuversichtlich, dass es in Deutschland bereits zum Jahresende einen Corona-Impfstoff für Kinder geben wird. Der Bonner Axel Gerschlauer hingegen ist da weniger optimistisch. „Ich glaube es sowieso erst, wenn ich die Impfdose und den Beipackzettel in der Hand halte.“

Impfung wichtig für ganze Gesellschaft

Gerschlauer hofft, dass lediglich die Dosierung der bereits vorhandenen Impfstoffe an kindliche Verhältnisse angepasst werden muss – und es nicht nötig sein wird, neue herzustellen. Denn das sei sehr teuer und zeitaufwändig. „Unsere Erfahrung, auch bei anderen Medikamenten, ist leider, dass Kinder und Jugendliche bei den Unternehmen oft als „Randgruppe“ angesehen werden, für die sich die Entwicklung eines neuen Medikaments nicht lohnt.“

Gäbe es wirklich keine Corona-Impfung für Kinder, wäre das fatal, so die Einschätzung von Experten. Gerade angesichts der neuen und ansteckenderen Mutationen des Virus ist es wichtig, dass so viele Teile der Bevölkerung wie möglich geimpft sind. Nur so kann man eine Grundimmunität herstellen und das pandemische Geschehen eindämmen.

Sorge um die jungen Patientinnen und Patienten

Doch mal ganz abgesehen von den Folgen für die gesamte Gesellschaft – Axel Gerschlauer hat auch Sorge um seine jungen Patientinnen und Patienten. „Ich behandele in meiner Praxis Kinder, die laut der Prioritätenliste der STIKO längst geimpft wären, wenn sie erwachsen wären: Kinder mit Trisomie 21 oder geistigen Behinderungen, Kinder mit Herzfehlern oder chronischen Lungenkrankheiten. Diese Familien haben wirklich Not.“

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Eine Mitarbeiterin zieht den Impfstoff von Biontech/Pfizer auf.

Dazu kommt, dass man mittlerweile weiß, dass Corona auch bei Kindern und Jugendlichen schlimme Folgen haben kann. Zwar ist der akute Krankheitsverlauf oft so unproblematisch, dass manche Kinder nicht mal Symptome haben. Doch auch Kinder und Jugendliche können von Long-Covid betroffen sein, dem unkonkreten Erschöpfungszustand, der Monate andauern kann. Erste Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit etwa fünf Prozent der Jugendlichen betroffen sein könnten, schreibt die Süddeutsche Zeitung.

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Und dann ist da ja noch PIMS: Ein Syndrom, das in Folge einer Corona-Erkrankung auftreten kann, das eine starke Immunreaktion auslöst und damit einhergehend schlimme Entzündungen in verschiedenen Organen hervorruft. Ein seltenes, aber lebensgefährliches Syndrom. Rund 260 Kinder und Jugendliche in Deutschland waren bisher davon betroffen, zum Glück ist bislang wohl niemand gestorben. Das Syndrom trifft laut Informationen des ZDF nicht mal einen von 1000 Infektionsfällen bei jungen Menschen. Doch Experten vermuten, dass die Zahlen durch die britische Mutation, die sich auch unter Kindern stark verbreitet, steigen könnten.

„Konzepte in Schulen müssen umgesetzt werden“

Axel Gerschlauer indes hat in seiner Praxis in der Bonner Innenstadt in den vergangenen Wochen weniger positive Fälle registriert als in der zweiten Welle. „Dabei teste ich wie der Teufel“, sagt er und lacht. Überhaupt ärgert er sich sehr über die Frage, wie ansteckend Kinder seien. „Natürlich ist diese Frage wahnsinnig wichtig, aber sie wird unter falschen Voraussetzungen gestellt. Die Frage müsste lauten: Wie viele Ansteckungen gibt es unter Kindern, wenn alle Schutzkonzepte umgesetzt sind?“

Er fordert, die offiziellen Leitlinien zur Pandemiebekämpfung an Schulen endlich konsequent umzusetzen: Kleine, aber feste Klassengruppen, Wechselunterricht, Hygienekonzepte, Unterrichtsbeginn zu verschiedenen Zeiten, mehr Busse und Bahnen in den Stoßzeiten. Und hofft, dass Homeschooling, wie es gerade wieder von der Landesregierung verordnet wurde, dann nicht mehr notwendig ist. Gerschlauer sagt: „Kinder haben ein Recht auf Bildung.“ Ganz gleich, ob mit oder ohne zugelassenem Impfstoff auf dem Markt.

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