Kölner AltersforscherinWarum es viel besser wäre, Altern als Krankheit zu sehen

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Köln – Frau Symmons, Sie arbeiten als Genetikerin am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns. Auch, um das Altern irgendwann einmal aufzuhalten?

Dr. Orsolya Symmons: Ziel unserer Forschung ist nicht zu verhindern, dass die Menschen älter werden. Das wäre auch nicht die Aufgabe von uns Forscherinnen und Forschern, da müsste es zuvor einen gesellschaftlichen Konsens geben, ob es überhaupt gewollt ist. Wir möchten herausfinden, warum wir altern. Und wie man verhindern kann, dass im Alter bestimmte Krankheiten auftreten. Es geht also nicht darum, das Alter als solches zu bekämpfen, sondern zu erforschen, wie ein gesundes Altern möglich ist. Es würde ja auch keinen Sinn machen, die Lebensdauer der Menschen zu verlängern, wenn nicht auch die Dauer ihrer Gesundheit herausgezögert werden kann.

Was passiert beim Altern in und mit unserem Körper?

Wir sind wie alle Lebewesen unheimlich komplexe Organismen, unendlich viele zelluläre und molekulare Mechanismen tragen dazu bei, dass unser Körper funktioniert. Im Laufe des Alterns werden diese Mechanismen darin beeinträchtigt, die Funktionen des Körpers aufrechtzuerhalten. Da gibt es sichtbare Altersmerkmale wie Falten, graue Haare, außerdem lassen das Gehör und die Augen nach, die Elastizität des Knorpels und die Muskeln bauen ab. Es gibt aber auch unsichtbare Merkmale, wie die Beeinträchtigung molekularer Prozesse. Wir wissen inzwischen, dass die Aktivität der Mitochondrien nachlässt, also der Organellen, die dem Körper Energie liefern. Auch die Prozesse, die dem Körper helfen, durch Umwelteinflüsse verursachte Schäden im Erbgut zu beheben, werden peu à peu weniger.

An niemandem geht die Zeit spurlos vorbei, aber es gibt offensichtlich Menschen, die schneller altern als andere. Woran liegt das?

Wir unterscheiden zwei Arten des Alters: das chronologische, also die zeitliche Angabe, die sich nach dem Geburtsdatum einer Person errechnet – und das biologische Alter, womit der individuelle Zustand des Körpers gemeint ist und die Gesundheit des jeweiligen Menschen. Um das biologische Alter zu ermitteln, werden verschiedene Biomarker analysiert, das sind Merkmale, die eine bessere Vorhersage des Funktionszustandes des Körpers im Alter erlauben. Dazu gehören Blutdruck, Sehvermögen, Gehör und Gelenkbeweglichkeit. Aber auch die Länge der Telomere, das Muster der am Erbgut hängenden Signalfähnchen, und bestimmte Proteine in der Blutbahn zählen zu den messbaren Biomarkern. Die Länge der Telomere verkürzt sich im Laufe des Lebens und führt dazu, dass die alternden Zellen die Zellteilung einstellen.

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Heißt das, dass diese Biomarker Rückschlüsse auf das Risiko für Krebs, Herzerkrankungen und Diabetes zulassen?

Richtig, die dem Alterungsprozess zugrundeliegenden molekularen Mechanismen zeigen uns, dass das Altern durch zelluläre Prozesse reguliert wird. Durch die Beeinflussung dieser Prozesse könnte es möglich sein, das Altern zu verlangsamen und unsere Gesundheit im Alter zu verbessern, also genannte Krankheiten frühzeitig zu erkennen und im besten Fall zu verhindern.

Welchen Einfluss haben Umwelt, Lebensstil und Veranlagung auf das biologische Alter?

Vieles deutet darauf hin, dass manche Menschen genetisch vorprogrammiert sind, schneller zu altern – oder eben nicht. Allerdings wird der Einfluss der Gene nur auf zehn bis fünfzehn Prozent geschätzt. Das zeigen uns auch die blauen Zonen dieser Erde: Wer sich gesund ernährt, viel bewegt, nicht raucht und Stress vermeidet, hat gute Chancen, sein biologisches Altern zu verzögern. Blaue Zonen werden fünf Regionen der Welt genannt, in denen die Menschen überdurchschnittlich lange gesund leben. Und in denen es besonders viele Hundertjährige gibt.

Ihnen sind gewisse kulturelle Faktoren gemein, mit denen man das lange und gesunde Leben ihrer Bewohner erklärt, wie etwa eine überwiegend pflanzliche Ernährung, eine mäßige Kalorienzufuhr und ein geringer Konsum von Tabak und Alkohol. Darüber hinaus halten die Menschen dort die Familie für besonders wichtig, soziales Engagement und Sport. Folglich scheint all das entscheidend für ein gesundes Altern zu sein.

Die Lebenserwartung in Deutschland und der Welt

In den vergangenen 150 Jahren hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland mehr als verdoppelt. Wissenschaftler prognostizieren, dass sie weiter steigen wird – bis 2060 so schnell wie in den vergangenen 50 Jahren. Frauen werden demnach 88,1 Jahre, Männer 84,4 Jahre alt.

Wo die Lebenserwartung am höchsten ist: Weltweit werden Menschen im Schnitt 70, 5 Jahre alt (Männer 68,4, Frauen 72,6 Jahre), in der Europäischen Union 77, 63 Jahre (Männer 72,98, Frauen 82,51 Jahre). Die geringste Lebenserwartung herrscht im afrikanischen Tschad mit 49,81 Jahren.

Wo die meisten 100-Jährigen leben: Laut Schätzungen der Vereinten Nationen leben weltweit 553 000 Menschen, die mindestens 100 Jahre alt sind – 80 Prozent sind Frauen. Im Jahr 2000 waren es 151 000. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl leben auf Guadeloupe (705 je eine Million Einwohner) und Barbados (704) die meisten Menschen über 100 Jahre. In Japan gibt es geschätzte 79 000 Menschen, die 100 Jahre oder älter sind, in Deutschland nur 19 000.

Blaue Zonen: In Okinawa (Japan), Sardinien (Italien), Ikaria (Griechenland), Loma Linda (Kalifornien, USA) und Nicoya (Costa Rica) leben viele Menschen überdurchschnittlich lange gesund. (kro)

Quellen: World Factbook 2021, laenderdaten.de 

Gibt es schon eine Pille, die das Altern aufhalten kann?

Nein, zumindest ist bislang kein Medikament bekannt. Bei Fadenwürmern, Fruchtfliegen und Mäusen hat man herausgefunden, dass etwa eine Nahrungsbeschränkung und eine proteinarme Ernährung das Altern herauszögern kann. Da das den Menschen aber schwerfallen würde, erkunden Forscherteams verschiedene Wirkstoffe, die auf die Mechanismen im Körper abzielen, die die gesundheitlichen Vorteile der Nahrungsbeschränkung fördern. Erforscht wird auch das Medikament Rapamycin, das die Lebenserwartung von Taufliegen erhöhen konnte. Das Medikament wird als immunsuppressives Medikament zum Beispiel nach Nierentransplantationen verschrieben. Und in den USA ist eine Studie geplant, die den positiven Einfluss von Metformin, das zur Behandlung von Diabetes eingesetzt wird, auf das Altern beim Menschen untersuchen soll.

Der Harvard-Forscher David Sinclair fordert, das Altern als Krankheit anzuerkennen. Warum?

Historisch wird das Altern als ein natürlicher Prozess, als Teil des Lebens angesehen. Wenn jedoch mehrere, oft grundverschiedene Krankheiten gemein haben, dass sie altersabhängig sind, stellt sich die Frage: Macht es nicht eher Sinn, deren Ursache, das Altern, als Krankheit anzuerkennen? Dann wäre das Ziel, nicht die einzelnen Krankheiten zu behandeln, sondern das Risiko zu reduzieren, diese zu entwickeln.

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