Kölner Arzt über Corona„Nachteile unserer Ellenbogengesellschaft werden sichtbar“

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Jürgen Zastrow

  • Seit gut sechs Monaten ist Deutschland im Ausnahmezustand: Das Coronavirus hat Grundlegendes verändert.
  • Wir haben Jürgen Zastrow, den Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, auf den bisherigen Verlauf der Corona-Pandemie zurückblicken lassen.
  • Was war sein eindrücklichstes Erlebnis? Was macht ihm Sorgen, was Hoffnung? Welcher Begriff beschreibt die Krise für ihn am besten?
  • Lesen Sie hier außerdem die Rückblicke sieben weiterer Experten.

Köln – Die Rahmenbedingungen medizinischen Handelns stimmen seit Jahren nicht mehr. Während die Rechtsprechung von der Gesundheit als höchstem Gut ausgeht und eine Maximierung der Behandlung am Patienten fordert, beugt sich die Politik dem Druck der Wiederwählbarkeit und verspricht allumfassende gesundheitliche Versorgung für begrenzte Beiträge. Dieses Paradoxon wurde in den vergangenen Monaten allzu gut sichtbar. Diese Sichtbarkeit stimmt mich ebenso wie viele meiner Kollegen positiv – es gilt, hier etwas Grundlegendes zu ändern.

Aktuell erkenne ich einen bemerkenswerten Trend: In der unmittelbaren Bedrohung verändert unsere Gesellschaft ihre Fokussierung mehrheitlich von Wirtschaft auf Gesundheit. Hoffnung macht also, dass die Menschen plötzlich den Wert von Gesundheit wahrnehmen und die Pflege der Gesundheit wertschätzen. Die seit Monaten notwendigen Verhaltensregeln zwingen plötzlich zur Wahrnehmung der eigenen Verantwortung für sich selbst und andere – oder zur Abkehr von selbiger. Jedenfalls findet Reflexion statt.

In der Corona-Krise gilt wie sonst auch: Egoismen gefährden den Erfolg von Gruppen und Systemen. Die Nachteile unserer „Ellenbogengesellschaft“ werden plötzlich sichtbar, wenn es um Masken, Abstände und Hygiene geht. Doch die Disziplinierung des eigenen Verhaltens und gegenseitige soziale Kontrolle werden neuerdings an vielen Stellen mehr umgesetzt. Auch das stimmt mich positiv.

Eindrücklich war für mich in den ersten Wochen durchaus der Zusammenhalt und der Rückhalt in der Gesellschaft. Aber Klatschen reicht nicht!

Negativ wurde in den letzten Monaten sichtbar: Der Mensch ist maßlos. Das bringt die Krise für mich leider auf den Punkt.

Jürgen Zastow

Lesen Sie auch, wie der Kölner Infektiologe Gerd Fätkenheuer, der Mediziner Walter Möbius, die Psychologin Damaris Sander, ihr Kollege Peter WehrGerhard Wiesmüller vom Kölner Gesundheitsamt, die Juristin Gerlind Wisskirchen und der Apotheken-Vorsitzende Thomas Preis auf das erste halbe Jahr im Ausnahmezustand zurückblicken.

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