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Juristin über Corona-Krise„Sorge, dass es einen dramatischen Jobabbau geben wird“

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Gerlind Wisskirchen

  • Seit gut sechs Monaten ist Deutschland im Ausnahmezustand: Das Coronavirus hat Grundlegendes verändert.
  • Wir haben die Juristin Gerlind Wisskirchen auf den bisherigen Verlauf der Corona-Pandemie zurückblicken lassen.
  • Was war sein eindrücklichstes Erlebnis? Was macht ihm Sorgen, was Hoffnung? Welcher Begriff beschreibt die Krise für ihn am besten?
  • Lesen Sie hier außerdem die Rückblicke sieben weiterer Experten.

Köln – Es hat mich beeindruckt, dass die meisten Unternehmen sehr schnell Rahmenbedingungen geschaffen haben, die ihnen geholfen haben, die akute Phase der Krise zu meistern. Es wurden Krisenstäbe eingerichtet und mit versierten Fachleuten besetzt, die sich ihrerseits auch der Hilfe externer Spezialisten versichert haben, um die Arbeitsfähigkeit der Betriebe zu sichern, insbesondere dort, wo Homeoffice nicht ohne Weiteres möglich war. In allen anderen Bereichen wurden zumeist großzügige Homeoffice-Regelungen getroffen, so dass die deutsche Wirtschaft insgesamt gut durch die ersten Monate gekommen ist.

Entgegen manchen Befürchtungen und vielleicht sogar zur Überraschung der Beteiligten sind auch die Lieferketten nicht gerissen. Aus dem produzierenden Sektor ist mir keine einzige Klage bekannt, dass Firmen erforderliches Material nicht erhalten hätten. Fazit: Die Unternehmen haben den Stresstest bestanden, und das mit einer guten Note.

Die reibungs- und geräuschlose Umstellung auf Homeoffice lässt den beruhigenden Schluss zu, dass die meisten Menschen eben doch aus einer intrinsischen Motivation heraus arbeiten und nicht nur dann, wenn ihnen jemand auf die Finger schaut. Daraus folgt auch: Physische Präsenz wird im Arbeitsleben überbewertet.

Ein wieder einmal katastrophales Bild hat der öffentliche Bildungssektor hinterlassen, und eine Wende hat sich in der Krise auch nicht abgezeichnet. Schulen, Hochschulen und Universitäten sind digital bei Weitem nicht in dem Maße ausgerüstet, wie es notwendig wäre. Der Bildungsföderalismus leistet der Verantwortungslosigkeit geradezu Vorschub, und sollte es erneut zu einem Lockdown kommen, sehe ich uns im Bereich Bildung ausgesprochen schlecht vorbereitet.

Ich hoffe, dass die (eher männlich geprägte) Präsenzkultur in den Unternehmen abnimmt. Ich hoffe ferner, dass es wirklich eine bessere Bezahlung für die Jobs in der medizinischen und pflegerischen Betreuung gibt und die Gesellschaft deren Systemrelevanz nicht wieder vergißt, wenn die Pandemie wieder abflaut und hoffentlich irgendwann vorbei ist. Ich wünsche mir einen noch stärkeren Digitalisierungsschub in allen Bereichen, besonders denen, die bislang nicht gerade eine Vorreiterrolle eingenommen haben – wie etwa die öffentliche Hand oder die Schulen.

Meine Sorge ist, dass es einen dramatischen Jobabbau geben wird. Die Zahlen lassen das schon jetzt befürchten: Es gibt in Deutschland heute 700.000 Beschäftigte weniger als vor einem Jahr. Sollten die arbeitsmarktpolitischen Instrumente sich nicht als nachhaltig erweisen, droht ein massiver Anstieg der Arbeitslosigkeit. Wenn die Aussetzung der Antragspflicht insolventer Unternehmen endet, wird auch das auf den Arbeitsmarkt durchschlagen. Die großen Unternehmen haben durch die Bank einen Stellenabbau angekündigt – egal ob die Corona-Krise nun direkt die Ursache ist oder nicht vielmehr ein schlecht bewältigter Strukturwandel oder ein nicht überlebensfähiges Geschäftsmodell. In einer global vernetzten Welt müssen gerade wir in Deutschland uns auch um unsere zahlreichen Handelspartner sorgen. Wenn andere Volkswirtschaften nicht gut aus der Krise herauskommen, wird es auch für uns sehr viel schwieriger. Anders gesagt: Auch wenn es uns derzeit noch vergleichsweise gut geht, dürfen wir die Augen nicht davor verschließen, wie abhängig wir von anderen Ländern sind.

Die Pandemie hat den meisten Menschen zum ersten Mal begreiflich gemacht, was eine existenzielle Bedrohung ist. Das hat die Menschen verändert und wird auch ihr künftiges Verhalten prägen.

Zum ersten Mal seit der Finanzkrise ist wieder das Primat der Politik zum Tragen gekommen. Die neoliberale Vorstellung, wonach der Staat – ganz zu schweigen von einem starken Staat – im Grunde unnötig sei, hat sich in der Krise als falsch erwiesen.

Gerlind Wisskirchen

Lesen Sie auch, wie der Kölner Infektiologe Gerd Fätkenheuer, der Mediziner Walter Möbius, die Psychologin Damaris Sander, ihr Kollege Peter WehrGerhard Wiesmüller vom Kölner Gesundheitsamt, der Apotheken-Vorsitzende Thomas Preis und Jürgen Zastrow, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, auf das erste halbe Jahr im Ausnahmezustand zurückblicken.

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