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Kölner Darmexperte„Eine Veränderung des Mikrobioms könnte die Wirksamkeit einer Krebstherapie steigern“

8 min
Human Digestive System Anatomy 3D Illustration Concept of Human Digestive System Anatomy Copyright: xZoonar.com/magicminex 22683532

Ernährung, Stuhlgang, Parasiten - was dem Darm gut tut und was ihn gesund hält, erlärte der Kölner Experte Prof. Dormann in einer Veranstaltung des „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Welche Ernährung bekommt dem Darm am besten? Welche Stuhlganghäufigkeit ist normal? Wie gefährlich sind Parasiten? Kann die Psyche über den Darm heilen? Der Kölner Professor Arno Dormann beantwortet die wichtigsten Fragen.

Der Darm regelt nicht nur unsere Verdauung. Auch auf die Psyche wirkt er sich stärker aus, als landläufig bekannt ist. Wer den Darm fit hält, kann sogar sein Leben verlängern. Das sagt Professor Arno Dormann, Leiter der Gastroenterologie an den Kliniken der Stadt Köln und Direktor für interdisziplinäre Viszeralmedizin. Er war zu Gast in unserem ausverkauften Medizintalk im Kölner Domforum. Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen für alle, die nicht dabei sein konnten.

Wirkt sich vegetarische oder vegane Ernährung positiv auf den Darm aus?

Eine vegetarische Ernährung bezeichnet Professor Arno Dormann als gesunde Kostform. Um mögliche Mangelzustände zu vermeiden, rät er allerdings dazu, die pflanzliche Kost sehr gelegentlich mit Fisch oder Fleisch zu ergänzen. „Das ist die gesündeste Kostform der Welt und auch noch gut für die CO2-Bilanz. Menschen in Asien ernähren sich meist auf diese Weise und in deren Därmen finden wir häufig einen bestimmten Hauptkeim im Mikrobiom, der sich sehr günstig auswirkt, Darmkrebs und Übergewicht kommen seltener vor.“

Wichtig für das Mikrobiom im Darm sei zudem die Abwechslung. „Essen Sie nicht immer nur Brokkoli, sondern experimentieren sie. Auch mit Gewürzen. Die sind förderlich für die Fermentation im Dickdarm.“

Vegane Ernährung bringt die Darmgesundheit laut Dormann dagegen nicht nach vorne. „Sie müssen sich vorstellen, wir sind alle Mittelklasse-Autos, die mit normalem Sprit am besten fahren. Sowohl auf zu viel Fleisch als auch auf kompletten Verzicht auf tierische Produkte ist unser System evolutionär nicht ausgelegt.“ Wer aus ethischen Gründen dennoch vegan leben wolle, müsse Mangelerscheinungen vorbeugen durch Nahrungsergänzungsmittel oder den hohen Konsum von Hülsenfrüchten.

Prof. Dormann: „Es ist nie zu spät, mit dem gesunden Leben anzufangen“

Lässt mich ein gesunder Darm 100 Jahre alt werden?

Untersucht man das Mikrobiom von sehr alten Menschen, so verfügt es häufig über eine sehr hohe Diversität. Das lässt Dormann zu Folge den Schluss zu, dass ein vielfältiges Mikrobiom ein langes Leben begünstigt. Zusätzlich zu einer möglichst abwechslungsreichen Ernährung sei aber auch der Verzicht auf Giftstoffe wie Alkohol und Nikotin sowie ausreichende Bewegung wichtig für Menschen, die gesund alt werden wollten. Und: Nicht alles lasse sich über den Darm regeln. „Eine Studie aus Stockholm zeigt, dass soziale Kontakte eine ebenso große Rolle spielen. Wer alle Regeln ab 70 Jahren befolgt, lebt als Mann bis zu sieben, als Frau bis zu neun Jahre länger. Es ist nie zu spät, mit dem gesunden Leben anzufangen.“

Professor Arno Dormann ist in Arztkleidung in einem Behandlungszimmer zu sehen.

Arno Dormann sagt: „Viele Patienten sitzen bei mir in der Sprechsitzung und klagen: Ich kann nicht jeden Tag auf Toilette. Aber das muss man auch nicht. Ebenso ist es nicht schädlich, dreimal am Tag zu müssen. Nichts ist variabeler als der Stuhlgang.“

Ist Fasten oder Scheinfasten gut für den Darm?

Fasten schadet nicht, ist für einen gesunden Darm aber auch nicht notwendig. Gerade eine Sanierung oder Entgiftung des Mikrobioms kann man durch Fasten laut Dormann nicht erreichen. Das gelingt nur durch langfristige Nahrungsumstellung. „Eine Veränderung ist nur möglich, indem Sie dem Darm schrittweise immer mal wieder neue Nahrung zuführen. Ein kompletter Nahrungsverzicht führt nur dazu, dass die Darmzotten und auch das Mikrobiom komplett ausgehungert werden und sich anschließend wieder genauso bilden wie vorher.“

Besser geeignet sei deshalb das sogenannte Scheinfasten, bei dem man dem Körper einige Zeit nur 700 Kilokalorien täglich zumutet. Wer zur Gewichtsreduktion dennoch einige Tage komplett auf feste Nahrung verzichten möchte, muss darauf achten, den ausgehungerten Darm anschließend langsam wieder an Nahrung zu gewöhnen. „Also erstmal Salzlösung und leichte Speisen; das Hähnchen mit Pommes erzeugt nach dem Fasten Durchfall.“

Flohsamen sind eine Art Kaugummi für den Darm
Arno Dormann, Kliniken der Stadt Köln

Welche Häufigkeit beim Stuhlgang ist noch normal?

Alles zwischen zweimal täglich und zweimal in der Woche ist normal, sagt Dormann. „Viele Patienten sitzen bei mir in der Sprechstunde und klagen: Ich kann nicht jeden Tag auf Toilette. Aber das muss man auch nicht. Ebenso ist es nicht schädlich, dreimal am Tag zu müssen. Nichts ist variabler als der Stuhlgang.“ Handlungsbedarf bestehe lediglich bei Schmerzen oder anderen Beschwerden. „Oder wenn sich die Häufigkeit stark verändert.“

Und was, wenn es beim Stuhlgang hakt, obwohl man sich weitgehend gesund ernährt?

Das Krankheitsbild der chronischen Verstopfung tritt laut dem Experten mit zunehmendem Alter häufiger auf. Die gute Nachricht: Der Markt böte jede Menge Mittel, die den Stuhl weicher machten und die man lebenslang einnehmen könne. „Abführmittel sind fälschlicherweise in Verruf geraten. Empfehlenswert sind sogenannte salinische Mittel, die das Stuhlvolumen erhöhen.“ Kombinierbar seien sie beispielsweise mit indischen Flohsamen, „einer Art Kaugummi für den Darm“.

Wer unter extremer Verstopfung leide, das sei der Fall, wenn die Nahrung 72 oder sogar 120 Stunden im Dickdarm verharre, der könne auf Medikamente zurückgreifen, die direkt die Darmzellen aktivieren. „Dadurch werden Kontraktionswellen ausgelöst, die wie bei einem Dominoeffekt den ganzen Darm in Bewegung setzen.“

Kinder, die per Kaiserschnitt geboren wurden, sind Studien zu Folge anfälliger für Allergien und Unverträglichkeiten. Müssen sich Eltern Sorgen machen?

Schwangerschaft, Geburt sowie die ersten Monate als Säugling sind für die Entwicklung des Mikrobioms entscheidend. „Aber niemand muss jetzt fürchten, dass sein Frühchen auf der Intensivstation keine Prognose für eine gute Verdauung hat. Das ist Quatsch.“ Wichtig sei, dass Eltern sich klarmachten, dass der Darm natürlicherweise kontaminiert sei. „Das bedeutet: ‚Dreck‘ kann den Darm schützen und die Diversität des Mikrobioms erhöhen. Kinder, die auch mal Sand essen oder vielleicht sogar Würmer hatten, sind besser vor entzündlichen Darmerkrankungen und Allergien geschützt.“ In den angloamerikanischen Ländern beginnt man deshalb auch damit, Kaiserschnittkindern nach der Geburt die vaginale Flora der Mutter zu implantieren. „Bislang erfolgt das zum Teil über Tampons zum dran nuckeln, in rascher Zukunft kommen da aber sicher elegantere Übertragungswege, zum Beispiel Mikrobiomlösungen.“

In Köln können Sie die Angst vor Parasiten abhaken
Arno Dormann, Kliniken der Stadt Köln

Wie gefährlich sind Darmparasiten?

Würmer verbreiteten sich im Kindergarten relativ häufig beim gemeinsamen Spielen im Sand. Als Symptom plage Betroffene vor allem ein unangenehmer Juckreiz am Po. Mittels einer Wurmkur bekommt man den aber schnell und gut wieder in den Griff. Deshalb sei ein Wurmbefall kein Grund zur Sorge, so Dormann. Im Gegenteil schützen die Parasiten auch vor Asthma und Immunerkrankungen. „Bei Fernreisen können Sie sich auch mal etwas unangenehmeres einfangen, aber hier in Köln mit einer westlichen Ernährung, können Sie die Angst vor Parasiten abhaken.“

Was der Darm mit Krebs und Psyche zu tun hat

Welche wissenschaftlichen Durchbrüche zur Darmgesundheit sind kurzfristig zu erwarten?

Vor allem in der Onkologie tue sich derzeit viel. Durch die Analyse des Mikrobioms könnte vorhergesagt werden, wie gut der jeweilige Körper auf bestimmte Immuntherapien gegen den Krebs anspricht. „So sollte es möglich sein, dass durch eine gentechnische Veränderung des Mikrobioms die Wirksamkeit einer Krebstherapie gesteigert wird oder unerwünschte Nebenwirkungen reduziert werden.“ Zudem könnten modifizierte Darmbakterien eingesetzt werden, die das Immunsystem verändern und so den Krebs bekämpfen.

Auch bei psychischen Erkrankungen könnte die gastroenterologische Forschung zu Durchbrüchen verhelfen. Beispielsweise zeigen Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen auffällige Unterschiede im Mikrobiom. „Eine Behandlung mit Lacto- und Bifidobazillen ist vielversprechend. Heute setzt man auch auf Stuhltransplantationen. Aber in Zukunft kann man Autismus vielleicht einfach durch ein Probiotikum heilen.“ Auch bei Depressionen könnte eine zusätzliche Darmmedikation relativ zeitnah auf den Markt kommen.

Nimmt die Zahl derer, die von Nahrungsmittelunverträglichkeiten betroffen sind, zu?

Gefühlt nimmt das Thema mehr Raum ein, das sagt auch Professor Arno Dormann. Wirklich von einer Allergie betroffen sind aber gar nicht so viele Menschen. Am häufigsten sind Unverträglichkeiten also keine Allergien, etwa die Laktoseintoleranz, die bei etwa jedem Zwanzigsten auftritt. „Die Lösung ist laktosefreie Milch zu trinken oder – wenn Sie beim Italiener mal Lust auf die Sahnesoße haben – gleichzeitig ein Enzym einzunehmen, das den Milchzucker spaltet.“

Manche Menschen leiden auch unter einer Fruktoseintoleranz. „Jeder Mensch, der eine Menge Kirschen isst und Wasser dazu trinkt, kennt das: Der Darm reagiert mit Blähungen und Durchfall. Wer intolerant ist, dem passiert das schon nach einem Stück Apfel.“

Ein knappes Prozent der Bevölkerung plagt eine Glutenallergie – diese ist also sehr selten. „Aber wir beobachten eine Zunahme von Gluten-Sensitivität. Das liegt daran, dass der Weizen, den Bäckereien heute verwenden, sehr glutenhaltig gezüchtet wurde. Denn mit viel Gluten, also Weizenkleber, lässt sich der Teig besser kneten und formen.“ Wer einen glutensensitiven Darm hat, der reagiere auf eine glutenfreie Kost häufig mit Wohlbefinden und weniger Beschwerden.

Könnte man mit Stuhltransplantationen auch Antibiotika-Resistenzen bekämpfen?

Das ist tatsächlich realistisch. Resistente Keime haben einen Mechanismus entwickelt, Antibiotikum schneller abzubauen, so dass es nicht mehr wirken kann. Bakteriophagen könnten den Keimen diese Eigenschaft wieder wegnehmen. „Sie werden wie U-Boote eingeschleust, docken sich an die resistenten Keime an und machen sie unschädlich.“ Es gibt dazu vielversprechende Studien. Derzeit klappt das ganze aber nur durch eine nicht spezifische Stuhltransplantation, Dormann hofft, dass die nötigen Bakteriophagen bald auch oral als Trank eingenommen werden könnten.

Kann die Medizin den Darm so modifizieren, dass wir alle schlank bleiben?

Ursprünglich ist der menschliche Darm für das Überleben bei Nahrungsmangel konzipiert. Der Darm ist deshalb perfekt darin, aus wenig Nahrung viel Energie herauszuziehen. „In Krisenzeiten ist das super, wenn Sie heute über die Schildergasse gehen und es gibt überall Pommes, Burger, Gebäck und Eis – dann ist das eher ein Gesundheitsrisiko.“ Früher versuchte man bei extremem Übergewicht den Dünndarm operativ zu verkürzen – „man hat also die Aufnahmefläche verkleinert“, damit können allerdings auch Mangelerscheinungen auftreten. Dormann hält das heute nur noch in absoluten Extremfällen für zeitgemäß. Schließlich gebe es nun etwa antidiabetische Spritzen, die den Appetit zügeln, Magenentleerung hemmen und so den Stoffwechsel verändern. „Noch eleganter wäre, wenn wir das Mikrobiom so verändern könnten, dass täglich nur eine ganz bestimmte Anzahl an Kalorien aufgenommen würde – und der Rest ungenutzt ausgeschieden würde.“ Dormann hält das zeitnah für realistisch.