Kölner Kinderkardiologe über Covid-19„Eltern müssen jetzt nicht in Panik verfallen“

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Die meisten Kinder überstehen eine Corona-Infektion problemlos – doch es gibt Ausnahmen.

  • Kinder überstehen eine Coronavirus-Infektion meist problemlos. Doch inzwischen gibt es Berichte über eine mögliche schwere Komplikation.
  • Was dahintersteckt, erklärt der Kinder-Kardiologe von der Kölner Uniklinik Konrad Brockmeier. Außerdem spricht er über die Erkenntnisse neuester Studien zum Thema Kinder und Corona.
  • Köln sei nur mit Glück an einem „furchtbaren Szenario” vorbeigekommen, sagt er rückblickend mit Blick auf den Karneval. Lesen Sie hier das ganze Interview.

Köln – Herr Professor Brockmeier, es mehren sich Berichte darüber, dass Kinder im Zusammenhang mit dem Coronavirus an etwas erkranken können, das dem Kawasaki-Syndrom ähnelt. Ist das Virus für Kinder doch ein viel größeres Risiko als bisher gedacht?

Nein. Kinder haben ein generell sehr niedriges Risiko bezüglich Covid-19. Die allgemeine Einschätzung der Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen, ist nach wie vor die, dass eine Gefahr für Kinder, an dem Coronavirus schwer zu erkranken, äußerst gering ist. Die Häufigkeit bleibt nach wie vor im Bereich von unter einem Prozent. Die gemeldeten Zahlen sind wirklich sehr gering. Es wird von einer Erkrankungsrate von 0,7 Prozent bei Null- bis Vierjährigen gesprochen. Bei Kindern über vier Jahren geht man von 0,9 Prozent aus, wird sind unter einem Prozent, was die Erkrankung Covid-19 angeht. Eltern müssen jetzt wirklich nicht in Panik verfallen.

Was ist überhaupt der Unterschied zwischen Coronavirus-Infekt und Covid-19?

Es gibt einmal die PCR-Untersuchung mit dem Rachen- und Nasenabstrich, die auf Virussubstanz gehen. Die weist nach, dass der Organismus Kontakt mit dem neuartigen Virus hat, also mit Sars-Cov-2 hat. Diese Virus-Kontamination geht mit oder ohne Symptome einher. Bei Kindern verläuft das sehr häufig ohne Symptome, das heißt sie sind nicht Covid-19-erkrankt. Wir bezeichnen die Erkrankung Covid-19, wenn es z. B. schwerste Atemwegserkrankungen mit sich bringt. Es ist dann eine generalisierte Virusinfektion mit Symptomen, die auch einen tödlichen Ausgang haben kann. Das ist die eigentliche Diskussion mit den fünf Millionen Infizierten weltweit mit einem positiven Abstrich.

Es häufen sich Meldungen, vor allem aus dem Ausland, die nahelegen, dass Kinder, die an Covid-19 erkranken, gehäuft schwere Verläufe zeigen, die dem sogenannten Kawasaki-Syndrom ähneln: einem Syndrom, das zuvor kaum einem Laien ein Begriff war. Was ist das Kawasaki-Syndrom genau?

Diese Pims-TS, wie Briten das Kawasaki-ähnliche Syndrom nennen, ist eine ganz andere Geschichte. Die Kawasaki-Erkrankung ist eine seltene Erkrankung im Kindesalter in der Größenordnung von Patienten ab sechs Monaten bis zum sechsten Lebensjahr, die an bisher nicht ursächlich zu beschreibenden und erklärenden Erkrankung der kleinen Arterien im Sinne einer schweren Entzündung, einer sogenannten Inflammation leiden. Die Kinder haben v. a. hohes Fieber, entzündete Augen, oft einen Hautausschlag und geschwollene Lymphknoten. Beim Kawasaki-Syndrom ist das Fieber meist sehr hoch und hält lange an. In manchen Fällen erweitern sich die Herzkranzgefäße. Diese von dem japanischen Arzt Tomisaku Kawasaki beschriebene Erkrankung ist sehr selten. In der Größenordnung für das Kölner Universitätsklinikum von vielleicht fünf Fällen pro Jahr, mit einem ziemlich großen Einzugsbereich.

Nun gab es eine Studie aus Bergamo, die in der renommierten Fachzeitschrift „Lancet“ publiziert wurde. Dort ist es demnach nach dem Abklingen der Epidemie zu einer Häufung von entzündlichen Erkrankungen bei Kindern gekommen, die sich von dem klassischen Kawasaki-Syndrom unterschieden. Ähnliche Fälle sind zuletzt auch in England, Frankreich und den USA aufgetreten.

Diese Studie zeigt, dass Corona-Fälle bei Kindern jetzt in Bergamo häufiger gesehen worden sind. Für die Eltern, die ich als Kinder-Kardiologe berate, vor allem solche mit Kindern, die einen angeborenen Herzfehler haben, ist es daher sehr wichtig, dass das Risiko, jetzt gleichzeitig an Covid-19 und Pims-TS zu erkranken, extrem gering ist. Es besteht also kein Anlass für eine neue Panik. Es ändert nichts an der bisherigen Einschätzung, dass Kinder ein generell sehr niedriges Risiko bezüglich Covid-19 haben. Das gleiche gilt zudem für die Entzündungen, auf die sich die Studie des „Lancet“ bezieht. Das ist so auch vom „Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten“ festgehalten worden. Wir haben gute Gründe anzunehmen, dass diese gehäuften Fälle in Bergamo von den Entzündungen im Zusammenhang mit Fällen von einer Besiedlung des Rachenraums der Sars-Cov-2-Viren im Zusammenhang stehen. (Eine Kausalität ist damit aber nicht belegt). Das ist für Wissenschaftler ein ausgesprochen wichtiges Kapitel von neuen Erkenntnissen über Entzündungsreaktionen im Körper. In der Bevölkerung darf das aber auf keinen Fall dazu führen, dass nun alles auf den Kopf gestellt wird.

Sind wir also in einer Situation, in der wir gelernt haben, mit dem Virus umzugehen und es zu beherrschen?

Diese Sache ist sehr umstritten. Die Zahlen sprechen dafür, dass die Maßnahmen, so hart sie sind, in allen Ländern einen deutlichen Erfolg zeigen. Wir haben leerstehende Intensivstationen, die jetzt wieder neu befahren werden müssen. Ich kann wirklich nicht sagen, dass die Sache mit Covid-19 schon überstanden ist. Es ist nur so, dass wir eine immer niedrigere Anzahl von Infizierten hier in Köln, in Deutschland und auf der Welt haben. Das Virus ist noch da. Und wir können gegen das Virus nichts effizient ausrichten. Was wir an Möglichkeiten in der Medizin gegen die neuartige Erkrankung Covid-19 haben, hilft wirklich nur symptomatisch. Wenn kein Impfstoff da ist und keine wirkliche Prävention geleistet werden kann, ist die Sache noch nicht überstanden.

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Gibt es denn bekannte Risikofaktoren für die Erkrankung mit dem Kawasaki-Syndrom?

Die ganze Sache ist seit vielen Jahrzehnten in der Erforschung. Meine Kollegen in Osaka haben das größte Register, da es in Ostasien ein häufigeres Auftreten von Kawasaki-erkrankten Kindern gibt. Das deutet darauf hin, dass es da eine genetische Disposition geben muss, also ethnisch bedingt ist, und damit vergleichbar mit genetischen Voraussetzungen ist. Wir kennen diese genetischen Bedingungen aber nicht. Es ist nicht so, dass wir Daten nützen könnten, weil sie ein ganz bestimmtes Risikoprofil haben. Wir wissen, dass die Erkrankung sehr selten ist und die meisten Fälle können bei frühzeitiger Diagnose auch sehr gut behandelt werden. Wenn ein Kind mit Symptomen einer Kawasaki-Erkrankung in eine Klinik kommt, kann man sofort eine hochdosierte Immunglobulin-Therapie anbieten, die intravenös gegeben wird. Man gibt auch Aspirin bzw. Aspirin-ähnliche Wirkstoffe, die die Entzündung beeinflussen. In einigen schweren Fällen, solchen mit Multi-Organbefall, mit schockähnlichen Muster, wird auch ein hoch dosiertes Cortisonpräparat verabreicht. Man kann also etwas tun. Man muss nur eben rechtzeitig behandeln.

Wie viele Fälle mit dem Kawasaki-Syndrom gibt es in Deutschland pro Jahr?

Das werden rund um 100 Fälle pro Jahr sein. Die Schwierigkeit bei diesem Syndrom ist das Fehlen eines Parameters, nach dem man bemessen könnte, ob es nun die Krankheit ist oder nicht. Es gibt ein gewisses Muster von Auffälligkeiten, wie sehr hohes Fieber, Körperausschlag, ein Ausschlag, der auch die Schleimhäute erfasst, geschwollene Lymphknoten und Augenrötung. Das Muster ist auch nicht immer komplett. Wir Pädiater sind dazu übergegangen, auch wenn wir inkomplette Präsentationen, wenn die Symptome nicht alle da sind, mit der aufwendigen Therapie behandelt haben. Wir sind damit gut gefahren.

Zur Person

Prof. Dr. Konrad Brockmeier ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinderkardiologie. Er ist Mitglied des Vorstandes der International Society for Computerized Electrocardiology und des Vorstandes der Association for European Paediatric and Congenital Cardiology.

Wenn Kinder Fieber haben, Hautausschlag, geschwollene Lymphknoten ...

.. dann gehen sie in die Klinik und da wird ihr Kind sicher auch behandelt werden. Das Kind mit der Kawasaki-Erkrankung ist dann nicht nur ein bisschen krank. Wenn Kinder Entzündungen der kleinen Arterien haben und ein gesamtes System in Alarm gesetzt wird, sind sie sehr beeinträchtigt. Eltern werden das sofort erkennen. Aber wie gesagt: Man sollte nicht durch die Nachrichten in Panik verfallen in dem Sinne, dass man nun eine schwerste Erkrankung hätte, die ganz viele befallen würde. Es ist eine schwere Erkrankung, es gibt eine Lösung für die Erkrankung und bei der Kawasaki Erkrankung generell gute Heilerfolge. Es wäre völlig falsch, in der Bevölkerung zu sagen, wir haben die Erkrankung mit dem neuartigen Coronavirus und nun bei Kindern ein zusätzliches Problem, das damit assoziiert wird. Aber wir wissen nicht, ob es dadurch verursacht wird.

Die Entscheidung, Kitas und Schulen zu öffnen, sollte davon nicht beeinflusst werden?

Nein, definitiv nicht. Die Sachlage hat sich nicht wesentlich verändert. Für Wissenschaftler ändert sich eventuell etwas in der Einschätzung von Viruserkrankungen und Inflammationen. Es ist eine sehr spannende Zeit für Infektiologen. In der Bevölkerung sollte das interessiert verfolgt werden, aber es sollte nun nicht zu einer Umkehr der Sichtweise führen.

Dieses von den U.S. Centers for Disease Control and Prevention zur Verfügung gestellte Elektronenmikroskop aus dem Jahr 2020 zeigt die kugelförmigen Coronavirus-Partikel aus dem ersten US-Fall von COVID-19.

Dieses von den U.S. Centers for Disease Control and Prevention zur Verfügung gestellte Elektronenmikroskop aus dem Jahr 2020 zeigt die kugelförmigen Coronavirus-Partikel aus dem ersten US-Fall von COVID-19.

Kinder galten insofern als Risiko, da sie das Virus extrem verbreiten können.

Wir wissen, dass Kinder ohne Symptome Träger des Virus sind. Stichproben in der Uniklinik zeigen, dass Kinder mit dem für andere tödlichen Virus fertig werden, ohne beeinträchtigt zu werden. Wir haben das zum Anlass genommen, in der Bevölkerung darauf hinzuweisen, dass der Kontakt von Kindern zu Risikogruppen nach Möglichkeit unterbleibt, das hat ja auch zum Erfolg geführt.

Wie ist die Situation an der Uniklinik. Aus Italien, Spanien oder Frankreich gab es eine hohe Zahl an infizierten Ärzten und Pflegern. Wie ist das in Köln gelöst worden?

Es gibt keinen einzigen infizierten Pfleger oder Arzt. Hier sind rechtzeitig Maßnahmen ergriffen worden, um die Leute, die ärztlich, pflegerisch oder helfend mit den kranken Covid-19-Patienten in Kontakt kommen könnten, ausreichend zu schützen. Es gab regelmäßig Stichproben, es gab keinen einzigen Fall. Das ist ein starkes Zeichen für unsere Hygiene-Maßnahmen hier im Haus. Die zu behandelnden Fälle sind so weit zurückgegangen, so dass wir die Stationen jetzt in zunehmenden Maße wieder dem Normalbetrieb widmen. Wenn es zu einer neuen Welle kommen sollte, können wir es jedoch zurückdrehen und anpassen.

Noch einmal rückblickend. In Köln wurde Karneval gefeiert und dennoch gibt es vergleichsweise wenig Infizierte. Ist der liebe Gott also doch ein Jeck?

Wir haben Glück gehabt,dass das Virus hier später ankam. Wir haben die zehn, 14 Tage genutzt und Glück gehabt, dass es später ankam. Wenn Weiberfastnacht die Viruslast auf der Zülpicher Straße so hoch gewesen wäre wie in Ischgl, dann hätten wir hier in Köln ein fürchterliches Szenario haben können. Aber es ist eben so, dass aus dem benachbarten Heinsberg sehr schnell Lehren gezogen worden, die dazu geführt haben, dass wir hier doch sehr gut damit zurecht gekommen sind – und uns andererseits beim lieben Gott bedanken können, dass er so ein Herz für die Jecken hat.

Das Gespräch führte Michael Hesse

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