Tumor-VakzinierungWie mRNA-Impfstoffe in Zukunft auch Krebs heilen sollen

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Die Illustration einer Messenger RNA. 

  • In unserer Serie „Gesund durchs Jahr” widmen wir uns in jedem Monat einem anderen Themenbereich.
  • Im Monat August geht es um Krebserkrankungen.
  • In der letzten Folge blicken wir darauf, welche Hoffnungsträger es in der Krebstherapie gibt.

Köln – Feierliche Musik spielt, als der damalige US-Präsident Bill Clinton im Jahr 2000 im East Room des Weißen Hauses an das Rednerpult tritt: „Wir sind heute hier, um die erste vollständige Analyse des gesamten menschlichen Genoms zu feiern.“ Ein Meilenstein für die Wissenschaft, die Medizin und damit für die gesamte Menschheit. Die Dekodierung des menschlichen Erbguts werde „die Diagnostik, die Prävention und die Behandlung der meisten, wenn nicht aller, menschlichen Krankheiten revolutionieren“, prophezeite Clinton. Zum Beispiel beim Krebs.

21 Jahre später läuft die Revolution der Krebstherapie auf Hochtouren. Auch am Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) der Uniklinik Köln. Dort läuft seit 2006 die gebündelte Forschung und Behandlungsexpertise aller Kliniken und Institute der Uniklinik zum Thema Krebs zusammen.

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Prof. Dr. Jürgen Wolf, Ärzlicher Leiter Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) am Universitätsklinikum Köln

„Seit den 50er-Jahren konnten fortgeschrittene Krebserkrankungen ja im Prinzip nur durch Chemotherapie behandelt werden“, sagt Professor Jürgen Wolf, Ärztlicher Leiter des CIO. „Seit etwa zehn Jahren ändert sich das Feld vor allem bei den häufigen soliden Krebserkrankungen dramatisch und fast schon unerwartet.“

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Mittlerweile hätten die Innovationen im Bereich der Krebstherapie bereits zu einer Fülle an neuen Medikamenten geführt, so Wolf, „das ist schon im dreistelligen Bereich.“ Und stetig kämen neue hinzu, denn die Innovationszyklen von der ersten Testung neuer Medikament bis zur Zulassung würden immer kürzer.

Die große Hoffnung: mRNA-Impfstoffe

Bislang zwar noch nicht zugelassen, jedoch eine der großen Hoffnungen in der Krebstherapie sind mRNA-Impfstoffe. Seit der Corona-Pandemie kennt wohl fast jeder Unternehmen wie Biontech aus Mainz oder Curevac aus Tübingen. Die Biotech-Firmen forschen bereits seit Jahren an mRNA-basierten Impfstoffen, mit deren Hilfe 2020 im Rekordtempo ein Vakzin gegen das neuartige Coronavirus entwickelt werden konnte.

Der Grundstein für diese Technologie jedoch wurde im Bereich der Krebsforschung gelegt. Und nicht nur gegen Krebs: Auch Krankheiten wie Multiple Sklerose, Herzleiden, Stoffwechselerkrankungen, oder weitere Infektionskrankheiten wie etwa HIV oder Tuberkulose könnten zukünftig mit verschiedenen mRNA-Mitteln behandelt werden.

Das Prinzip dahinter funktioniert ähnlich wie bei den Impfstoffen gegen Sars-CoV-2: Genetische Informationen von tumorspezifischen Eiweißmolekülen werden in messenger-RNA (kurz: mRNA) überführt, um so individuelle Vakzine herzustellen, die sich spezifisch gegen die codierte Proteinstruktur richten. Der Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer etwa liefert die genetischen Informationen des Spike-Proteins des Virus – die stachelförmige Struktur an der Hülle von Sars-CoV-2, mit dessen Hilfe das Virus an menschlichen Zellen andocken kann.

Tumor-Vakzinierung verläuft ähnlich wie Virus-Impfung

Bei der Tumor-Vakzinierung hingegen, erläutert Onkologe Wolf, wird eine Gewebsprobe aus den Tumoren entnommen. Die genetische Information des Tumors wird anschließend analysiert, die tumorspezifischen Eigenschaften identifiziert und die entsprechende mRNA für den Impfstoff produziert. So soll das Immunsystem in die Lage versetzt werden, die Tumorzellen zu erkennen und zu bekämpfen.

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Mit unserer Serie „Gesund durchs Jahr“ legen wir den Schwerpunkt ganz auf Ihre Gesundheit. Jeden Monat gibt es dazu ein Schwerpunktthema, zu dem jede Woche ein neuer Artikel erscheint. Im  September dreht sich alles um das Thema Darm.

Die Idee der Tumor-Impfung ist nicht neu, bereits vor dem Aufkommen der mRNA-Technologie wurde an diesem Ansatz intensiv geforscht. Bislang jedoch nur mit bescheidenem Erfolg. „Tumore sind so aggressiv, ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Impfung, wie sie gegen Viren genutzt wird, bei Krebs genauso gut funktionieren wird“, äußert Wolf seine Bedenken.

Er sehe zwei hauptsächliche Probleme. Zum einen seien Krebszellen, anders als Viren, extrem heterogen. „Keine Tumorzelle ist wie die andere.“ Zudem sind Tumore oft genetisch instabil. „Das heißt“, erklärt der Onkologe, „das Eiweißmolekül, das man als Grundlage für die Vakzine nimmt, kann sich verändern oder verschwinden. Dann wirkt der Impfstoff nicht mehr.“ Das Problem ist wegen einer befürchteten Mutation des Corona-Virus bekannt: Verändert sich das Spike-Protein, wird der Impfstoff wirkungslos. „Das elegante an der mRNA-Technologie ist, dass man sehr schnell eine neue Vakzine herstellen kann“, sagt Wolf.

Das zweite große Problem beim Kampf gegen den Krebs ist die unglaubliche Fähigkeit von Tumorzellen, das Immunsystem außer Kraft zu setzen. Die Zellen können sich so geschickt tarnen, dass die körpereigene Abwehr sie nicht erkennt. Zudem verfügen sie über Mechanismen, um das Immunsystem auszuschalten oder zumindest zu schwächen. „Der Fachbegriff für diese Mechanismen lautet Immune-Escape“, erklärt Wolf.

Die Hoffnung, sagt der Lungenkrebs-Experte, sei jetzt, dass durch die Erfahrungen in der Corona-Pandemie die Technologie durch die mRNA-Vakzine besser werde. Auch in Köln läuft derzeit eine Vielzahl an Studien zur mRNA-Impfung von Tumorzellen, unter anderem mit der Firma Biontech. „Die Studien befinden sich allerdings noch in sehr frühen Stadien, sogenannte Phase-I-Studien“, sagt Wolf. „Dort schaut man: Was passiert im Körper? Wie verträgt der Körper es? Ob es hilft, können wir noch nicht sagen.“ Die Hoffnungen für die Tumorvakzinierung jedoch seien riesig. Zumindest ein mRNA-Mittel gegen Schwarzen Hautkrebs des Herstellers Biontech hat im Juni diesen Jahres die zweite Testphase erreicht.

Schon bewährt: Die personalisierte Krebstherapie

Bis die mRNA-Technologie im klinischen Alltag ankommt, also eine Zulassung erhält, dauert es noch. Vor allem zwei Therapieansätze werden in der Praxis hingegen bereits teils sehr erfolgreich eingesetzt. Zum einen ist das die personalisierte Krebstherapie. „Das war in der medikamentösen Krebstherapie auch der erste große Durchbruch und nahm seinen Anfang im Jahr 2000“, erzählt der Mediziner Wolf, der selbst in diesem Bereich forscht.

Nach der ersten Sequenzierung eines menschlichen Genoms sei es in relativ kurzer Zeit gelungen, Technologien zu entwickeln, um genomische Information von Krebszellen schnell und preiswert zu analysieren und dann systematisch mit normalen Zellen zu vergleichen. „So hat man festgestellt, dass Krebserkrankungen sich alle stark voneinander unterscheiden, also sehr heterogen sind. Das heißt: Lungenkrebs ist nicht gleich Lungenkrebs, sondern besteht aus einer Gruppe von verschiedenen Erkrankungen, die alle dadurch gekennzeichnet sind, dass sie verschiedene Mutationen tragen“, erklärt Wolf.

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Kennt man diese Mutation, so kann man sie spezifisch behandeln. Der Ansatz wird daher auch mutationsgerichtete Therapie genannt.  Krebszellen hätten zwar sehr viele Mutationen, erklärt der Onkologe, „aber man hat verstanden, dass es eine Schlüsselmutation gibt, wir nennen sie auch Treibermutation, die die Krebszelle erst zur solchen macht. Denn die Schlüsselmutation ist, vereinfacht ausgedrückt, dafür verantwortlich, dass die Krebszelle wächst. Sie ist somit die Achillesferse der Krebszelle.“

Bei diesem Ansatz der Krebstherapie stehe jedoch nicht die Heilung, sondern die Lebensverlängerung bei besserer Lebensqualität im Vordergrund, betont Wolf. „Man überführt, ähnlich wie bei Diabetes, die akut tödliche Erkrankung in eine chronische Erkrankung.“ Ein wichtiges Thema, das in der Debatte über Krebs zu oft hinten runter fallen würde, findet der Mediziner.

Die Immuntherapie weckt große Hoffnungen

Der zweite große Ansatz, der im klinischen Alltag seit knapp fünf Jahren angewendet wird, ist die Immuntherapie. Dabei wird das Immunsystem durch sogenannte Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICIs) aktiviert und die Immunreaktion so angeheizt. „Dieses Prinzip hat bei fast allen Tumoren Einzug gefunden“, so Wolf, „wobei man sagen muss, dass das Ausmaß der Patienten, die davon profitieren, bei den einzelnen Tumoren noch, ähnlich wie bei der personalisierten Therapie, recht unterschiedlich ist.“

Ich habe Fragen zum Thema Krebs – Wer hilft?

Treten Fragen auf, ist der erste Ansprechpartner der behandelnde Arzt. Ansonsten können sich Betroffene und Angehörige am besten an die Informations- und Beratungsdienste für Krebs oder das Infonetz Krebs der Deutschen Krebshilfe wenden. Im Internet gibt es viele Foren oder Internetseiten, die mit Horrorgeschichten rund um das Thema Krebs aufwarten – viele Betroffene verunsichert das zusätzlich. Deshalb am besten immer auf den Seiten der großen Informationsstellen informieren:

www.krebshilfe.de www.krebsinformationsdienst.de www.krebsgesellschaft.de

Es gebe aber Patienten, die auch nach vier, fünf Jahren noch tumorfrei seien. „Die allerkühnsten Optimisten sagen, dass das vielleicht sogar Patienten sind, die geheilt werden könnten“, sagt Wolf, betont jedoch: „Das kann man aber noch nicht sagen, einfach weil es noch nicht lang genug im Einsatz ist.“

In Zukunft, glaubt Wolf, werden individualisierte mRNA-Tumorimpfungen in Kombination mit den Immun-Checkpoint-Inhibitoren, „eine sehr attraktive Option“ sein. Erfolge, so glaubt er, werde man in den nächsten zwei bis vier Jahren sehen. „In diesem Bereich besteht auch die theoretisch berechtigte Überlegung, dass man wirklich heilen kann.“ Diese bezieht sich aber vor allem auf Krebs im frühen Stadium. Man könnte dann den Tumor operieren und anschließend das Immunsystem stärken und so den Patienten vor einem Rückfall schützen.

Wenn man die genetischen Wurzeln der Krankheiten gezielt angreifen könnte, dann könnten sie eines Tages geheilt werden, hatte Bill Clinton vor 21 Jahren gesagt. Vielleicht wird er am Ende Recht behalten.

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