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Krieg und Corona„Manche sagen, es sei jetzt schlimmer als beim Ausbruch der Pandemie“

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Pandemie, jetzt auch noch Krieg: Was macht das mit den Rheinländern?

Köln – Nach zwei zermürbenden Jahren Pandemie herrscht in Europa wieder Krieg. Es ist fast so, als stecke man mit einem Bein noch in der ersten Katastrophe fest, während das zweite Bein direkt in die nächste tritt. „Die Menschen sind in einem Zustand der abwartenden Fassungslosigkeit“, sagt Stephan Grünewald, Psychologe vom Kölner rheingold Institut. Am Donnerstag stellten die Wissenschaftler ihre Untersuchung zu den seelischen Folgen der Corona-Pandemie in Deutschland vor. „Melancovid“ nenne sie diesen Zustand, ein Long Covid der Melancholie. Angesichts des Angriffskriegs auf die Ukraine hat das Institut die Studie durch die Auswirkung des Krieges ergänzt.

„Während die Politik Entschlossenheit und Tatkraft zeigt, fühlen sich viele Bürger ohnmächtig und blicken wie gelähmt in den Kriegs-Abgrund“, fassen die Wissenschaftler zusammen. Viele Menschen seien das erste Mal mit einer so unmittelbaren Kriegssituation konfrontiert. Damit, so die Wissenschaftler, sei eine neue Dimension der „Dauerkrisenzeit“ erreicht. „Die Menschen sagen oft: Es ist, als wäre man in einem Albtraum oder einer schlechten Fernsehserie“, sagt Grünewald. Gerade die Sorge vor einem Atomkrieg sei groß. „Putins Unberechenbarkeit sorgt dafür, dass die Menschen sich in einer unglaublichen Ohnmachtssituation befinden. Manche sagen, jetzt sei es schlimmer als beim Ausbruch der Pandemie.“ Damals hätten sie schließlich Schutzmaßnahmen ergreifen können – man sei nicht ganz so hilflos gewesen.

Festklammern an Normalität

Grünewald spricht von sechs Bewältigungsstrategien, die die Psychologen feststellten. Die erste sei das permanente Updaten: Fast alle Befragten gucken seit Kriegsausbruch deutlich mehr Nachrichten. „Man hofft ständig auf die erlösende Botschaft“, sagt Grünewald. „Gleichzeitig ist da die Angst vor der nächsten Katastrophennachricht. Das hat einen Sogcharakter.“ Manche Befragten konnten sich als Folge deutlich schlechter auf ihre Arbeit konzentrieren.

Als zweite Strategie beschreibt Grünewald das Ablenkungsmanöver, die Normalitäts-Beschwörung: Die Leute klammern sich demnach an alles, was ihnen Stabilität gibt. „Manche gehen wandern und versuchen, die Welt dabei zu vergessen“, sagt er. „Andere feierten in Köln Karneval.“

Die Hilfsbereitschaft und Solidaritätsbekundungen bilden die dritte und vierte Strategie. Zudem hoffen viele Menschen auf einen höheren Beistand, auf Vermittlungen durch die Vereinten Nationen oder China. Einige Befragte sprachen von Fluchtgedanken: Was tun, wenn es zum Atomkrieg kommt? „Viele sagten: Gott sei Dank wohne ich nicht in einer Großstadt“, sagt Birgit Langebartels, ebenfalls vom rheingold-Institut. „Eine Person überlegte, den Katzenkorb vom Keller in die Wohnung zu räumen. Damit sie im schlimmsten aller Fälle die Katze nehmen und fliehen kann.“

Corona-Folgen gerade bei jungen Menschen stark ausgeprägt

Noch sind die Fluchtgedanken jedoch nicht stark ausgeprägt, sagt Grünewald. „Die Menschen sind weder in einem Flucht- noch Aufbruchsmodus, sondern in einem sehr resignierten Zustand.“ Dies sei eine Folge der Dauerkrisen – der Finanzkrise, der Klimakrise, der Coronakrise. „Die Leute haben das Gefühl: An den großen Problemen können wir nichts ändern. Das führt zu einer Egal-Haltung, zu einer melancholischen Genügsamkeit“, sagt Grünewald. „Viele sagen: Ich will jetzt keine Pläne machen. Am Ende werde ich eh nur enttäuscht.“

Bezogen auf die Pandemie sagten nur zehn Prozent der Befragten, sie würden alles Verpasste der vergangenen zwei Jahre sofort nachholen, wenn alle Maßnahmen fallen würden. „Viele Menschen haben sich in ihr Schneckenhaus verkrochen“, sagt Grünewald. Vorsicht und Zurückhaltung werde deshalb auch die Zeit nach Corona bestimmen.

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Besonders stark ausgeprägt seien die Corona-Folgen bei jungen Menschen, sagt auch Judith Behmer. 30,5 Prozent der Befragten verspürten eine gewisse Antriebslosigkeit. Bei den 18 bis 19-Jährigen waren es sogar 43 Prozent. Knapp ein Drittel der Befragten dieser Altersgruppe haben Angst, ihr altes Aktivitätslevel nicht wieder zu erreichen.

Medien und Unternehmen, so Grünewald, könnten „wie ein Defibrillator“ Impulse setzen, um die Menschen aus ihrem „Melancovid“-Zustand herauszuholen. Angesichts der Ukraine-Krise seien Solidaritätsbekundungen von Staaten und Institutionen wichtig. „Das steigert das Gefühl des Zusammenhaltes“, sagt Behmer. „Besonders viel Eindruck zeigen finanzielle Verluste, die Unternehmen in Kauf nehmen – so, wie es bei Schalke der Fall war.“

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