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„Wunderbaum“Vitamine, Antioxidantien, Mineralien – Moringa ist ein echtes Superfood

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Blätter des Moringa-Baumes. Der Pflanze werden als Superfood besonders gesunde Eigenschaften zugeschrieben.

  • Nahrungsmittel, Naturmedizin, Baustoff, Kosmetik: Moringa gilt als neue Super-Pflanze.
  • Der „Wunderbaum“ stammt aus der Himalaya-Region Nordindiens, hat sich aber weltweit verbreitet.
  • In Deutschland wird er als Superfood verkauft. Wir erklären, welche gesundheitsförderlichen Eigenschaften ihm zugeschrieben werden.

Köln/Uganda – Ob Anna Kole weiß, dass in dem kleinen Garten neben ihrer Hütte ein Baum wächst, dem in Europa fast übernatürlich wirkende Kräfte für die Gesundheit zugeschrieben werden? Na ja, lacht die 43-jährige Südsudanesin. Die Moringa-Pflanze kenne sie schon sehr gut und würde sie gerne für den Speiseplan der Familie nutzen. Sie habe viel darüber in ihrer Heimat gelernt. Das sei Alltag für sie geworden. Dann zählt die Afrikanerin auf, wozu Moringa gut ist. Aus den Blättern könne man Gemüse machen oder sie für Saucen nutzen. Die Wurzeln des Baumes – rasch gräbt sie eine aus und spült sie mit Wasser ab – enthielten ein Öl, das sie verwende, wenn ihre Kinder Husten hätten. Würzen könne man damit auch. Tatsächlich schmecken die Wurzeln nach Meerrettich und standen Pate für den Namen, den englische Kolonialherren dem Baum in seinem Ursprungsland Indien gaben: Meerrettichbaum eben.

Moringa punktet mit schnellem Wachstum

Die Samenkörner der Moringa-Früchte würden zudem Wasser entkeimen, fährt Anna Kole fort, und außerdem könne man die Gehölze für die Dachkonstruktionen von Hütten zum Beispiel nutzen. Moringa sei eben „tamam“, erklärt die freundliche Frau.

Das klingt fast wie ein Werbespruch, denn „tamam“, ein aus dem Arabischen entlehnter Begriff, heißt so viel wie „gut“, „in Ordnung“ oder „klasse“. Daher würden sie und ihr Mann auch Moringa-Setzlinge pflanzen, wo das möglich sei. In der Tat steht auf der anderen Seite der lehmfarbenen Landstraße eine mannshohe Moringa-Baumlandschaft. „Besonders das extrem schnelle Wachstum von Moringa hat mich beeindruckt“, sagt Roland Hansen, Leiter des Afrika-Programms von „Malteser International“ in Köln, mit dem wir in Uganda unterwegs sind. „Solche Nutzbäume werden nicht so schnell als Brennholz geschlagen.“

Seit vier Jahren lebt die achtfache Mutter in einem der größten und mit Sicherheit speziellsten Flüchtlingslager der Welt. Das „Rhino Camp“ liegt im Norden Ugandas, das hier gemeinsame Grenzen mit der Demokratischen Republik (DR) Kongo und dem Südsudan hat, aus dem die meisten Camp-Bewohner wegen des dort herrschenden Bürgerkriegs geflohen sind. Die Besonderheit ist, dass die Flüchtlinge pro Familie ein kleines Stück Land bekommen, dass sie von den monotonen Ernährungspaketen der Vereinten Nationen mit Getreide, Tee, Öl und Zucker unabhängig macht. So ist eine gewaltige Dorflandschaft entstanden. Im Rhino Camp etwa mit seinen verschiedenen Unterteilungen und Nachbarlagern leben circa 185.000 Menschen.

Anna Kole ist eine der freundlichen und aufgeschlossenen Frauen, auf die man trotz aller Unruhen in diesem instabilen Dreiländereck immer wieder trifft. Sie kommt aus Yei, einer Stadt in der Provinz Zentraläquatoria, die etwa 100 Kilometer vom Camp entfernt liegt und immer wieder Ziel von Kampfhandlungen war. Dass ein Geländewagen mit Weißen neben ihrer kleinen Farm hält, um sie nach Moringa auszufragen, wundert sie nicht weiter. Aber sie käme aus dem Staunen nicht heraus, wenn sie sähe, was Arne Rohlfs rund 10.000 Straßenkilometer weiter nördlich in Köln mit Moringa alles anstellt.

Moringa in Kosmetik und Energy-Drinks

Der Geschäftsführer des Start-ups „Estancia Verde“ hat vor sich auf dem Tisch eine eindrucksvolle Auswahl an Produkten stehen, die seine Firma in den vergangenen Jahren aus dem Wunderbaum entwickelt hat. Seine Firma vertreibt Rohstoffe wie ganze, geschnittene oder gemahlene Blätter sowie Öl, vor allem aber auch Endprodukte für Geschäftskunden und Konsumenten wie Moringa-Energy-Drinks, eine Kosmetik-Linie und Nahrungsergänzungsmittel wie Moringa-Pulver oder -Kapseln. Auch Gummibärchen, Nudeln und Gewürze mit Moringa gehören zu seinem Programm.

Rohlfs kann die Fakten zu der Pflanze referieren, als habe er eine Festplatte mit den Daten im Kopf. Wie viele, die auf das grüne Pulver schwören, hat er persönlich positive Erfahrungen damit gemacht. Nach einem schweren Motorrad-Unfall vor zehn Jahren sei er als dauerhaft arbeitsunfähig eingestuft worden. Die gemahlenen Blätter mit ihrer einzigartigen Kombination aus konzentrierten Nähr- und Vitalstoffen hätten ihn wiederhergestellt. Seine Firma sei beständig gewachsen und die aktuelle Produktpalette das Resultat von vielen, mitunter von Rückschlägen durchsetzten Jahren.

2013 sei der Moringa-Markt praktisch zusammengebrochen, erinnert sich Rohlfs. Aus dem Ursprungsland Indien sei keine konstant verlässliche Qualität zu bekommen gewesen. Oft seien nicht nur Blätter, sondern ganze Zweige und auch andere Pflanzen gemäht und gemahlen worden, andere Lieferungen seien von Keimen befallen gewesen und bereits die Farbe des Pulvers habe signalisiert, dass irgendetwas nicht stimmen könne. Mitunter sei das Pulver auch wärmebehandelt und damit für die Ernährung nutzlos geworden. Seine Firma setze daher auf Plantagen, die man persönlich und aus eigener Anschauung kenne.

Zur Zeit ist das afrikanischer Moringa aus Tansania, Kenia, Ghana und der DR Kongo. Man kontrolliere die geernteten Blätter doppelt mit Lieferungen aus dem Produktionsland und einer Abschlussprobe, wenn die Sendung eingetroffen sei. Moringa ist übrigens erst nach der Jahrtausendwende auf dem afrikanischen Kontinent vertreten und von Hilfswerken in erster Linie wegen seines vielfältigen Nutzens eingeführt worden.

Über den Moringa-Baum

Moringa stammt aus der Himalaya-Region Nordindiens, hat sich aber weltweit verbreitet, besonders in Ländern Afrikas, Arabiens und Südostasiens. Fast alle Teile des Baumes sind essbar oder anderweitig nutzbar. Die Blätter weisen hohe Nährstoffdichte auf. Moringa wird daher auch „Wunderbaum“ genannt.

„Baum der Unsterblichkeit“

In vielen Ländern ist die Pflanze nicht nur eine wichtige Nahrungsquelle, sondern wird auch zu medizinischen Zwecken genutzt. Laut indischem Volksglauben heilt Moringa mehr als 300 Krankheiten und wird auch „Baum der Unsterblichkeit“ genannt, denn er wächst unter widrigen Bedingungen und verträgt Trockenperioden.

Der Baum kann bis zu 30 cm im Monat wachsen und erreicht bereits im ersten Jahr eine Höhe von acht Metern. Verantwortlich dafür ist das Wachstumshormon und Antioxidans Zeatin, das in großer Menge im Moringa-Baum vorkommt.

Moringa als „Superfood"?

In hoher Dichte liefert Moringa Antioxidantien, sieben Vitamine, bis zu 40 Prozent pflanzliches Protein, alle essenziellen Aminosäuren sowie Omega-3 und Omega-6-Fettsäuren und 14 Mineralstoffe.

Zusammen mit Chia-Samen, Acai-Beeren und anderen Lebensmitteln wird Moringa als „Superfood“ bezeichnet. Dieser Marketing-Begriff wird für nährstoffreiche Lebensmittel verwendet, die als besonders förderlich für Gesundheit und Wohlbefinden erachtet werden. Nach der europäischen Health-Claims-Verordnung muss die Wirkung eines Superfoods nachgewiesen sein. Solche Belege fehlen allerdings für die Moringa.

Transparente Wertschöpfungskette

Rohlfs Firma wirbt vor allem um jüngere und kritische Konsumenten. Dies kommt auch in dem Bemühen zum Ausdruck, die gesamte Wertschöpfungskette transparent darzustellen. Ein QR-Code auf jedem Produkt gibt über die YoY-App detaillierte Informationen über Herkunftsort und Transport der Lieferung – wann die Blätter zum Beispiel über den Tanganjika-See verschifft, dann mit dem LKW in die ostafrikanische Hafenstadt Daressalam und von dort mit dem Containerschiff ins niederländische Rotterdam gebracht wurden, um schließlich wieder mit dem LKW in den deutschen Verarbeitungsort zu gelangen. Ferner will die Firma nur auf nachhaltige Produktion sowie faire Preise und Löhne setzen.

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Hat Anna Kole, die Flüchtlingsfrau, einen Platz in diesem Konzept? Arne Rohlfs träumt davon, Menschen wie sie – also Kleinbauern – in seine Produktionsketten zu integrieren. Dann würde einen, wenn man den QR-Code seines Moringa-Pulvers mit dem Handy einliest, womöglich die freundliche Südsudanesin anlachen. Sie steht übrigens für ein kleines Lehrstück, wie Roland Hansen anfügt. Die südsudanesischen Flüchtlinge zeigen den Menschen in Nord-Uganda, wie man Moringa nutzen kann, erläutert der Afrika-Experte. Der Wunderbaum ist dort bislang gar nicht bekannt gewesen. „Die Flüchtlinge helfen uns in unserer Arbeit und überzeugen ihre ugandischen Nachbarn.“

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