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Hubert Knicker wartete auf ein Herz„Bevor ich drankam, sind vier von ihnen gestorben“

Lesezeit 5 Minuten
Hubert Knicker hat ein Spenderherz bekommen und wirbt in einer Graphic Novel nun für Organspende

Hubert Knicker leidet an einer Herzschwäche seit er mit 37 Jahren von einer Mücke gestochen wurde. Vor 15 Jahren schenkte ihm ein Spenderherz ein neues Leben.

Ein Spenderherz schenkt Hubert Knicker ein neues Leben. Kurz vor der Operation habe er im Gebet angeboten, sich für Organspende stark zu machen, sollte er überleben. Nun löst er sein Versprechen ein.

Als Hubert Knicker an einem Nachmittag Ende Juli 2010 auf der Intensivstation die Augen aufschlägt, schwebt da das Gesicht seiner Frau über seinem Bett. Ihre Haare sind von einer Haube bedeckt, ihr Mund ist verborgen von einer Maske. Sie nimmt seine Hand und legt sie auf seinen Brustkorb. In seinem Körper pulsiert es. Als hätte das Leben seine Maschinen wieder angeworfen. „Das war für mich ein unbeschreiblicher Glücksmoment. Dieses Pochen.“ Lange musste Hubert Knicker ohne diesen Herzschlag leben. Zwei Jahre lang pumpte ein Kunstherz das Blut durch seinen Körper. Das funktioniert eher wie eine Schiffsschraube und beschleunigt das Blut kontinuierlich statt stoßweise. Einen fühlbaren Pulsschlag gibt es deshalb nicht.

Dass Hubert Knicker das Pochen zurückbekam, verdankt er einer Organspende. Seit 15 Jahren pumpt nun ein Spenderherz in seinem Brustkorb. Von wem es stammt, weiß er freilich nicht. „In meiner Vorstellung ist mein Spender ein Harley-Fahrer mit wehenden Haaren“, sagt Knicker. Was aber real von diesem Menschen bleibt: Hätte er ihm sein Organ nicht überlassen, wäre der heute 67 Jahre alte Mann aus Minden sehr wahrscheinlich schon lange tot.

Deutschland schneidet bei Organspende sehr schlecht ab

„Die meisten Spenderorgane gehen uns verloren, weil die Menschen sich zu Lebzeiten nicht damit auseinandergesetzt haben und die Nachkommen unsicher sind“, sagt Professor Karl Tobias Erich Beckurts vom Hildegardis Krankenhaus in Köln. Deutschland liege bei der Zahl der Organspender europaweit mit auf dem letzten Platz. Nicht einmal 900 Spenderorgane stehen nach Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation pro Jahr zur Verfügung. Damit kommen etwa zehn Organspender auf eine Million Einwohner. „In Spanien liegt der Wert beim Fünffachen“, sagt Beckurts.

Um das Bewusstsein zu schärfen, hat das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit und der Katholische Krankenhausverband Hubert Knickers Geschichte als Graphic Novel zeichnen lassen. „Ein neues Herz für Hubert K.“ heißt das Werk aus der Feder des Illustrators Jakob Hinrichs. Krankenhäuser und Institutionen sollen damit künftig ihre Patienten zum Thema informieren können.

Bei der Vorstellung der Graphic Novel zur Organspende sind Knicker, der Zeichner und eine Frau vor einem Plakat zu sehen.

Hubert Knickers Geschichte gezeichnet hat der Illustrator Jakob Hinrichs aus Berlin.

Auch ein Plakat sowie ein Video gibt es von „Herrn K.“. Die Geschichte beginnt in jeder Form mit einer hungrigen Mücke mit angriffslustig rotem Kopf. Denn Hubert Knicker beschäftigt sein Herzleiden seit einem Mückenstich vor 30 Jahren. In der Folge erkrankt er an einer Herzmuskelentzündung und entwickelt eine Herzschwäche. Wie schwer sie ihn einschränkt, illustriert noch heute ein Möbelstück: Ein Sessel auf dem Podest im Treppenhaus zu Hause in Minden. 13 Stufen müssen die Knickers bewältigen, um in den ersten Stock zu gelangen. Nach einigen Jahren habe man zur Nummer sieben einen Stuhl geschleppt. „Da musste mein Mann sich immer hinsetzen und erstmal Kraft sammeln für die restlichen sechs Stufen“, sagt Karin Knicker. Schwimmen mit dem Sohn, ins Fußballstadion oder in die Sauna – „irgendwann ging auch das alles nicht mehr“. Eine Operation hatte Knicker, selbst gelernter Krankenpfleger, aus Angst eigentlich immer ausgeschlossen. Dann wurde der Arzt in Bad Oeynhausen deutlich: „Sie haben nur zwei Chancen. Sterben oder ein Kunstherz.“

Zwei Jahre überlebt Hubert Knicker mit acht Akkus pro Tag

Zwei Jahre hat Knicker also acht Akkus im Rucksack, wenn er das Haus verlässt. Jeder versorgt sein Kunstherz mit vier Stunden Saft. Abends schließt er sich an den Strom an, „das ist schon ein beruhigenderes Gefühl – obwohl es natürlich auch einen Stromausfall geben kann“, sagt Knicker. Die Akkus begleiten ihn an die Nordsee und sogar auf einen Berg am Königssee in Bayern. „Auf den allerkleinsten“, sagt Karin Knicker. Er darf nicht duschen, baden schon gar nicht. „Trotzdem war das eine glückliche Zeit mit vielen neuen Freiheiten“, sagt Knicker. Dass das Glück mit dem Kunstherz ein Ablaufdatum haben würde, hatte man der Familie mitgeteilt. Und doch war Knicker dann überrascht, als am 8. Mai 2010 – er bereitete gerade ein Spargelessen für die Familie vor – der Alarmton losheulte. Technischer Defekt.

Es folgen zehn Wochen Warten. „High urgency“ steht bei Knicker in der Spalte Dringlichkeit. „Ich wartete mit sieben anderen Patienten auf ein neues Herz. Bevor ich drankam, sind vier von ihnen gestorben. Das sind Momente, in denen man sich für seine Tränen nicht mehr schämt“, sagt Knicker. Knicker, eigener Aussage zufolge nicht sonderlich gläubig, beginnt zu beten. Gott solle ihn nicht vergessen. „Ich habe im Gegenzug versprochen, nach meiner Genesung für die Organspende zu werben.“ Der Handel wurde eingehalten – von beiden Seiten.

Seit in seiner Brust wieder ein Herz pocht, tourt Knicker also durchs Land und erzählt seine Geschichte. Er klärt auf. Hauptsächlich aber stellt er sich vor Schulklassen oder in Kliniken als Beweis dafür, dass Organspende nicht zwingend ein Thema ist, das nur mit dem Tod in Verbindung steht. Sondern im Gegenteil mit dem Weiterleben.

Die Nebenwirkungen der Medikamente, die eine Abstoßungsreaktion des fremden Gewebes unterbinden sollen, seien derart harmlos, dass er darüber gar nicht groß reden wolle, sagt Knicker. „Ich fühle mich fit.“ Auch Karin Knicker scheint all die hadernden Gedanken, die so eine Krankengeschichte auch für die Angehörigen mit sich bringt, mittlerweile komplett aufgebraucht zu haben. Lieber freut sie sich auf Grönland. „Nächsten Monat brechen wir zu einer Schiffsreise über Island dorthin auf“, sagt Knicker. Große Pläne für ein „Irgendwann“ habe das Paar schon immer ausgeheckt: „Jetzt ist die Zeit, alles in die Tat umzusetzen.“