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Rätselhafte KrankheitenDer deutsche Dr. House hilft

Lesezeit 5 Minuten

Professor Jürgen Schäfer leitet das Zentrum für unerkannte Krankheiten an der Uniklinik Marburg.

Professor Schäfer, in der US-Serie „Dr. House“, die seit vergangener Woche wieder im deutschen TV läuft, löst der Titelheld in jeder Folge schwierige medizinische Fälle. Sie werden der deutsche Dr. House genannt. Gefällt Ihnen das?

Jürgen Schäfer Auf der persönlichen Ebene nicht allzu sehr. Dr. House ist zynisch und arrogant und wäre im wahren Leben schon in der Probezeit seinen Job losgeworden. Rein fachlich ist er aber brillant und beißt sich wie ein Bullterrier fest, bis er die Fälle gelöst hat. In dieser Hinsicht nehme ich es als Kompliment.

Als Patient wünscht man sich eigentlich keinen miesepetrigen Dr. House.

Schäfer Möchte man lieber einen Professor Brinkmann von der Schwarzwaldklinik auf der Bettkante sitzen haben, der einem die Hand hält, während man stirbt? Wenn man die Wahl hätte, würde man sich wohl eher für Dr. House entscheiden. Er ist zwar unfreundlich, kriegt einen aber gesund.

Sind Sie eigentlich Fan der Serie?

Schäfer Ich schaue die Sendung gerne. Die Drehbuchautoren haben verstanden, dass Medizin spannend wie ein Krimi sein kann. Es geht um Leben und Tod und darum, das richtige Indiz für die Lösung zu finden. Ich nutze sogar „Dr. House“-Folgen für meinen Studentenunterricht.

Nicht nur in Marburg, auch an der Uniklinik Bonn gibt es eine Anlaufstelle für Menschen mit unerklärlichen Beschwerden. Patienten können sich mit ihrem Hausarzt bei Dr. Christiane Stieber im Zentrum für Seltene Erkrankungen melden:

02 28/28 75 10 70 cstieber@uni-bonn.de

Stimmt es, dass Ihnen die Serie in einem Fall geholfen hat, auf die richtige Spur zu kommen?

Schäfer Das stimmt. Allerdings hätten wir den Fall auch so gelöst, aber vielleicht nicht so schnell. Der Patient war wenige Monate nach einer Hüftkopf-Operation blind und taub geworden, sein Herz arbeitete immer schwächer und man dachte bereits an eine Transplantation. Vor der Hüft-OP, bei der ihm eine Prothese aus Metall eingesetzt worden war, war er ein fitter und erfolgreicher Unternehmer. Wie der Zufall will, hatte ich kurz zuvor bei einem „Dr. House“-Seminar für unsere Studenten das Thema Metallvergiftung durch Hüftprothesen besprochen – das war die Lösung.

Auch anderen Patienten mit unklaren Symptomen haben Sie und Ihr Team helfen können. Was machen Sie anders?

Schäfer Auch wir kochen nur mit Wasser. Wichtig für unsere Diagnostik ist die Teamarbeit. Einmal in der Woche treffen wir uns mit erfahrenen Experten und jungen Kollegen aus ganz verschiedenen Fachrichtungen. Wir diskutieren jeden Fall. Das ist eine Art Brainstorming. Auf diese Art haben wir schon spannende Lösungen gefunden.

Zum Beispiel?

Schäfer Manchmal sind es lapidare Dinge. Ein Patient kam wegen unerklärlicher Rückenschmerzen. Er war beim Hausarzt, Orthopäden, Radiologen, Neurochirurgen und beim Physiotherapeuten gewesen. Wir fragten den Mann, wann die Schmerzen auftreten. Weil das nur nachts war, rieten wir ihm, seine durchgelegene Matratze auszutauschen. Damit war das Problem gelöst.

Sie stellen also die einfachen Fragen.

Schäfer Oft haben wir es aber auch mit seltenen Krankheiten zu tun, denen nicht so leicht beizukommen ist. Wir hatten zum Beispiel mal einen Patienten mit einem extrem hohen Blutdruck, der minderwüchsig ist und zudem sehr kurze Finger hat. Der Mann erzählte, dass auch sein Vater kurze Finger und Probleme mit hohem Blutdruck habe. Wir kamen darauf, dass er am sogenannten Brachydaktylie-Short Stature-Hypertension-Syndrom leidet. Im Nachhinein auch eine einfache Diagnose – wenngleich es eine sehr seltene genetische Erkrankung ist.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie es mit einem neuen Patienten zu tun haben?

Schäfer Wir versuchen, durch einen ausführlichen Fragebogen möglichst viel über die Vorgeschichte zu erfahren. Dann überlegen wir, welche Anregungen wir seinen Ärzten vor Ort geben können. Es geht uns um eine heimatnahe Versorgung der Patienten. Nur einen kleinen Teil bestellen wir zu uns nach Marburg ein.

Wie groß ist das Interesse?

Schäfer Wir werden regelrecht überrannt. Die Masse der Anfragen ist erschreckend. Uns wurden schon Tausende von Unterlagen aus ganz Deutschland unaufgefordert zugesandt. Dahinter stecken viele bewegende Geschichten, viele furchtbare Schicksale. Durch den Vergleich mit Dr. House wenden sich viele Patienten mit der Hoffnung an uns, dass wir die Lösung für ihre Probleme finden. Das gelingt uns manchmal, aber nicht immer. Und selbst wenn es klappt, heißt das noch lange nicht, dass es auch eine Behandlung gibt.

Warum tappen Ärzte denn so oft im Dunkeln?

Schäfer Das würde ich gar nicht so sagen. Ich bin überzeugt, dass der Großteil der Patienten richtig diagnostiziert wird. Aber wenn auch nur ein geringer Promille-Anteil der Krankheiten mit den üblichen Methoden nicht erkannt wird, kommt da schon eine große Zahl zusammen. Der Ansturm, den wir erleben, zeigt, dass viele Patienten mit diffusen Krankheitsbildern keine Anlaufstelle finden.

Wie ließe sich das ändern?

Schäfer Wir brauchen eine flächendeckende Struktur. An vielen Universitätskliniken gibt es bereits hervorragende Zentren für seltene Erkrankungen. Um flächendeckende Angebote für solche Patienten zu schaffen, müsste aber noch mehr getan werden. Letztlich würde ich mir wünschen, dass solche Zentren an allen Unikliniken eingerichtet werden.

Manchmal wird man wegen eines falschen Verdachts an einen Facharzt überwiesen, der dann das eigentliche Problem verkennt. Ist die Spezialisierung ein Problem?

Schäfer Ja, das mag manchmal so sein. Ein hochspezialisierter Facharzt wird kaum die gesamte Breite der Medizin abdecken. Wir haben heute aber auch ein großes Potenzial durch eine vernetzte EDV. Früher habe ich mich in der Bibliothek durch dicke Bücher quälen müssen, um einer seltenen Erkrankung auf die Spur zu kommen. Heute kann man die Symptome in eine Internet-Datenbank eingeben und bekommt sofort eine Liste mit den infrage kommenden Syndromen. Vor kurzem hatte ich meinen Studenten die Aufgabe gestellt, ein Syndrom zu den Stichworten „fehlendes Fettgewebe“ und „Diabetes“ zu finden. Sie brauchten 15 Minuten, um auf das Köbberling-Dunnigan-Syndrom zu kommen und erklärten mir freudestrahlend: Sie haben dazu ja auch schon publiziert! Ich hatte damals Wochen gebraucht, um diese Diagnose zu stellen.