„Smart Glasses“ im OPWie intelligente Brillen Herz-Operationen verbessern können

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Kardiologe Burghard Schumacher mit Smart Glasses im Operationssaal.

Köln – Warum sollte eine Technologie, die Kampfjet-Piloten schon in den 1970er Jahren hilfreich war, um wichtige Flugdaten abzulesen ohne auf den Instrumenten im Cockpit danach zu suchen, nicht auch in Operationssäle Einzug halten? Am Westpfalz-Klinikum in Kaiserslautern ist das der Fall. Dort schalten Ärzte über eine intelligente Brille, die sie während der OP tragen, Experten dazu. 

Federführend leitet der Kardiologe Prof. Dr. Burghard Schumacher dort ein Pilotprojekt mit Smart Glasses, entwickelt vom Fraunhofer Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) in Birlinghofen nahe Bonn. Vereinbart wurde das Pilotprojekt mit der Techniker Krankenkasse in Düsseldorf. Das Interesse der Krankenkassen kommt nicht von ungefähr, denn mit dem Einsatz von Smart Glasses im klinischen Alltag können Kosten gesenkt werden.

Zur Person

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Prof. Dr. Burghard Schumacher

Burghard Schumacher gebürtig aus Bonn, familiär verwurzelt in Köln, ist Chefarzt am Westpfalz-Klinikum in Kaiserslautern für Innere Medizin, Kardiologie, Pneumologie, Gefäßerkrankungen und Internistische Intensivmedizin. (Foto WKK)

Burghard Schumacher nutzt die „Smart-Glass-Brille“ bei Operationen und dokumentiert seine Erfahrungen. Die Sorge, dass immer mehr innovative technische Errungenschaften Einzug in den medizinischen Alltag in Krankenhäusern und Arztpraxen halten und die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt, teilt er nicht – solange man die Spreu vom Weizen trennt.

Was sind Smart Glasses?

Sie sehen aus wie eine Brille und man trägt sie wie eine Brille. In diese Datenbrille ist ein kleiner Computer mit Bildschirm eingebaut, auf dem in Echtzeit Informationen und Objekte direkt ins Sichtfeld eingeblendet werden können. Das nennt man „erweiterte Realität“ oder „Augmented Reality“, kurz AR genannt.

Wann werden Smart Glasses eingesetzt?

Burghard Schumacher erklärt das so: „Bei sehr komplexen Operationen benötigen wir die Hilfe von externen Experten bei neu entwickelten Materialien oder Instrumenten, mit denen wir arbeiten.“ Nachgefragt wird also bei Bio-Ingenieuren und Produktspezialisten. Das heißt, die müssen im Vorfeld in die Klinik kommen und Mediziner schulen und „bei vielen Operationen holen wir sogar einen Produktspezialisten dazu“. Das heißt, der Operationstermin muss mit dem Experten abgesprochen werden. Er muss anreisen. „Wenn er im Stau steht oder der Zug Verspätung hat, muss eventuell der Eingriff verschoben werden.“ Mit den Smart Glasses ist dieser Aufwand nicht mehr erforderlich. Schumacher: „Ich schalte den externen Experten virtuell zu. Er sieht mittels der Brille, was auch ich sehe. Er kann mir über das Head-up-Display Infos geben.“ Das heißt, die Informationen werden direkt in das Sichtfeld des operierenden Arztes projiziert. „Man kann sich das so vorstellen: Wir versuchen im schlagenden Herzen des Patienten die Stelle zu finden, wo die Herzrhythmusstörungen sind, um dort den Eingriff vorzunehmen. Der Einsatz eines Katheters ist je nach Befund individuell unterschiedlich. Der zugeschaltete Experte sieht, was ich als Arzt sehe, und empfiehlt das aus seiner Sicht optimale Vorgehen.“ Arzt und Experte beraten sich über das integrierte Mikro.

Welche Vorteile hat der Patient?

Schumacher: „Die permanente virtuelle Anwesenheit eines zusätzlichen Experten kommt dem Patienten zugute. Nehmen wir an, ein Patient braucht eine neue Herzklappe. Es gibt sehr viele unterschiedliche Arten von Herzklappen. Bisher konnte man nur mit sehr großer Erfahrung die richtige Entscheidung für den Patienten treffen. Jetzt können auch Kardiologen mit nicht so großer Erfahrung den Spezialisten virtuell dazu holen, der bei der Entscheidungsfindung hilft.“ Aber natürlich müsse man sich nach wie vor terminlich absprechen, damit alle am OP-Termin verfügbar sind.

Sind Smart Glasses geeignet für die Fortbildung?

„Ja“, so der Kardiologe Burghard Schumacher. „Wir bilden in der Klinik Ärzte in speziellen Operationsverfahren aus.“ Was bisher so gehandhabt wurde: Die Operateure kamen zu Schumacher und assistierten bei bis zu zehn Operationen, um die neuen Verfahren zu lernen. Danach fuhr Schumacher in deren Klinik, um bei rund zehn Operationen der Kollegen mit dabei zu sein und sie anzuleiten. „Mit Smart Glasses könnten die Kollegen zukünftig virtuell dabei sein, wenn ich operiere, und ich kann sie virtuell anleiten, wenn sie in ihrer Klinik die Eingriffe vornehmen. Das heißt, dass man nach der Einarbeitungszeit nicht mehr wie bisher am OP-Tisch sich selbst überlassen ist.“

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Stören zu viele technische Hilfsmittel den Arzt in seiner Konzentration?

Schumacher: „Nein. Wir richten auch jetzt während eines Eingriffs am Herzen die ganze Zeit unseren Blick auf den Monitor. So ein Head-up-Display in Smart Glasses spielt uns Infos direkt vor die Augen, ohne dass wir den Blick abwenden müssen oder unsere Konzentration beeinträchtigen. Wir besprechen die Vorgehensweise während des Eingriffs virtuell anstatt wie gehabt personell. Wir klären beispielsweise jetzt und in Zukunft genauso ab, ob wir mit diesem Katheter weiter kommen oder eher nicht. Wir haben die Hände frei zu agieren und haben den Patienten im Blick.“

Verändert sich durch immer mehr Technik das Patient-Arzt-Verhältnis?

Prof. Schumacher glaubt das nicht. Aufklärungsgespräche mit Patienten fänden unverändert statt, sowohl was die persönliche als auch die medizinische Betreuung betrifft. „Der Patient wird informiert, was wir an Technik einsetzen. Wir zeigen das Gerät und erklären, welche Möglichkeiten sich dadurch erschließen.“ Ablehnung oder Skepsis habe er bei seinen Patienten bis dato nicht erlebt. Dass sich Patienten jedoch beschweren, wenn Ärzte während der Besprechung ständig auf ihren PC starren, Informationen eintippen und den Patienten nicht einmal anschauen, ist auch ihm geläufig. „Die Gefahr besteht natürlich, dass man sich auf die Technik konzentriert, aber es geht auch anders. Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen.“ Was eklatant viel Zeit raube, sei die „Dokumentation unserer Arbeit, vor allem in der Klinik. Das hält uns von unserer guten Arzt-Patienten-Beziehung ab, für die wir dann zu wenig Zeit haben“. 

Ist innovative Technik in allen Kliniken machbar?

Nein, sondern vorrangig in Häusern, die überall in der Klinik einen guten Internet-Zugang haben. Viele bundesdeutsche Krankenhäuser können in der IT-Infrastruktur mit den europäischen Nachbarn nicht mithalten, weil ihnen das Geld für die nötigen Investitionen fehlt. Schumacher: „Es ist schon teuer, elektronische Patientenakten anzulegen und den Datentransfer mit den Niedergelassenen aufzubauen und zu halten. Aber die technischen Rahmenbedingungen müssen schon stimmen, um beim Fortschritt mitzumachen.“ Investitionen in Krankenhäusern sind vornehmlich Ländersache. „Auch wir haben uns lange Zeit schwer getan zu investieren, aber zusammen mit den lokalen Geldhäusern haben wir es in den vergangenen fünf Jahren geschafft, uns digital gut aufzustellen.“

Wo liegt die Schwachstelle technischer Innovationen?

„Der Nachteil ist“, so Burghard Schumacher, „dass alles nur dann funktioniert, wenn der Datentransfer reibungslos läuft. Darauf sind wir angewiesen. Wenn der aus welchem Grund auch immer ausfällt, wird es problematisch.“ Was Ende September mitzuerleben war beim Hackerangriff auf den Server der Uniklinik Düsseldorf. Der Kardiologe hofft nach der Pilotphase auf weitere Smart Glasses für seinen Bereich, „denn wir wollen die Sicherheit bei Eingriffen in der komplizierten Herzmedizin verbessern“. Medizintechnisch gebe es vor allem in der Kardiologie fast wöchentlich neue Entwicklungen, „und wir müssen lernen, mit diesen Weiterentwicklungen umzugehen“.

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