Stand-Up-Comedienne mit Depressionen„Für mich ist Humor eine Bewältigungsstrategie“

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Helene Bockhorst macht Stand-Up-Comedy und hat Depressionen. Wie passt das zusammen?

  • Was bringt einen Menschen mit Depressionen dazu, auf die Bühne zu gehen und ein Publikum zu unterhalten?
  • Helene Bockhorst ist Stand-Up-Comedienne und leidet an Depressionen. In ihren Shows macht sie genau darüber Witze.
  • Im Interview spricht sie über Humor als Bewältigungsstrategie und die Frage, ob gerade Entertainer besonders häufig depressiv sind.

Köln – Helene Bockhorst ist Stand-Up-Comedienne und Poetry Slammerin. Sie steht vor vielen Menschen auf der Bühne und bringt das Publikum zum Lachen – obwohl sie an Depressionen leidet. Ihre Krankheit wird zum Programm, sie macht Witze über dunkle Tage im Bett und Suizidgedanken. „Für mich ist Humor eine Art Bewältigungsstrategie“, sagt sie. Im Interview spricht Helene Bockhorst darüber, ob gerade lustige Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, besonders häufig unter Depressionen leiden und warum ihr die Auftritte helfen. Außerdem hat sie den Roman „Die beste Depression der Welt“ geschrieben und sagt: „Selbst bei Krankheiten gibt es noch einen Wettbewerb, wem es am schlechtesten geht.“

Frau Bockhorst, in Ihrem Buch „Die beste Depression der Welt“ geht es um Vera, die nach einem missglückten Suizidversuch mit ihrem Blog berühmt wird und nun einen Ratgeber zum Umgang mit Depressionen schreiben soll. Wie kamen Sie auf dieses doch eher ungewöhnliche Thema?

Helene Bockhorst: Wenn jemand zugibt, dass er Depressionen hat, wird häufig sowas gesagt wie: „Das hätte ich dem gar nicht zugetraut, der lacht ja immer so fröhlich.“ Ich kenne das auch aus eigener Erfahrung. Ich habe darüber nachgedacht, dass Menschen in allen möglichen unwahrscheinlichen Berufen alle möglichen Krankheiten haben können, eben auch Depression. Dann habe ich überlegt, was die konflikthafteste Situation wäre, in der jemand an Depressionen leiden könnte, und bin so auf das Thema gekommen, dass ein Depressiver einen Ratgeber über Depressionen schreiben muss.

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Sie sind mit Ihrem Beruf als Comedienne selbst in einer ähnlichen Situation. Von außen erscheint es unmöglich, mit einer Depression auf der Bühne zu stehen und lustig zu sein. Wie schaffen Sie das? Helene Bockhorst: Jeder muss für sich das finden, was funktioniert. Bei mir funktioniert das mit der Bühne meistens ganz gut. Ein guter Auftritt ist für mich so ähnlich wie für andere Leute Meditation. Man kommt in einen Zustand, in dem man nicht mehr grübelt und total im Moment lebt. Ich habe auf der Bühne das Gefühl, den ganzen Raum zu spüren und zu jedem Zuschauer eine Verbindung zu haben. Das tut in dem Moment gut und ist hilfreich.

Geht das von Anfang an oder müssen Sie sich überwinden, auf die Bühne zu gehen? Helene Bockhorst: Das kostet mich Überwindung, mir geht es auch manchmal vor den Auftritten sehr schlecht. Aber das Gute an diesem Beruf ist auch, dass man sich nicht so richtig davor drücken kann, weil alle Auftritte so lange im Voraus geplant werden. Dann ist klar, dass man auf die Bühne muss, egal ob man Lust hat. Mir hilft diese Struktur und der Druck von außen. Ich habe außerdem ein paar Tricks, wenn ich auf Tour bin. Wenn ich in der neuen Stadt ankomme, checke ich vor der Show auf keinen Fall im Hotel ein. Ich weiß ganz genau, wenn ich im Hotel einchecke oder – noch schlimmer – mich da sogar hinlege, dann stehe ich nicht wieder auf. Wenn ich direkt zum Theater fahre, auch wenn ich dann zu früh bin, habe ich eine Sollbruchstelle im Tag vermieden.

In der Corona-Zeit gibt es keine Shows, Ihnen fehlt also die Bewältigungsstrategie. Wie kommen Sie derzeit zurecht? Helene Bockhorst: Für mich ist es schon schwierig, am Anfang ging es mir sehr schlecht. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass alle Kollegen in kürzester Zeit irgendwelche Live-Streams oder Online-Projekte aus dem Boden gestampft haben. So schnell hatte ich noch nicht mal realisiert, dass sich gerade mein Leben ändert. Ein Livestream ist für mich kein Ersatz. Da fehlt alles, was einen Auftritt für mich ausmacht. Alles, was die Bühne zu etwas besonderem macht, ist weg und die Sache wird entzaubert.

Sie sagen, dass Humor für Sie ein Weg ist, um besser mit Ihrer Depression umzugehen. Wie und wann haben Sie das entdeckt? Helene Bockhorst: Schon ziemlich früh. Wenn in meiner Kindheit etwas Schlimmes passiert ist, hat es mich auch mitgenommen, aber ich habe auch schon früh gelernt, Scherze darüber zu machen. Manche Situationen habe ich auch mit meinen Stofftieren auf eine lustige Weise nachgespielt. Das war meine Art, damit fertig zu werden.

Glauben Sie, dass gerade Menschen, die beruflich lustig sind, in der Öffentlichkeit stehen oder Menschen, die immer sehr positiv und souverän erscheinen, in Wirklichkeit besonders häufig unter Depressionen leiden? Helene Bockhorst: Ich könnte mir das schon vorstellen. Es gibt ja auch viele Beispiele von Komikern oder anderen Menschen, die mit lustigen Berufen oder als Künstler in der Öffentlichkeit stehen. Ein Aspekt ist bestimmt auch die Suche nach Anerkennung. Das Publikum soll einem etwas geben, was man sich selber manchmal nicht geben kann. Wenn das überhand nimmt und man es nur dafür macht, ist das natürlich auf Dauer auch ein bisschen ungesund.

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Wie kommt es beim Publikum an, dass Sie über so ernste Themen wie Depressionen und Suizidgedanken Witze machen? Trauen sich die Leute überhaupt zu lachen? Helene Bockhorst: Bei den Zuschauern kommt es größtenteils sehr gut an. Ich war mit meinem Soloprogramm „Die fabelhafte Welt der Therapie“ bis jetzt über ein Jahr lang auf Tour. Da waren die Reaktionen immer sehr positiv und manchmal sogar überraschend ausgelassen. Die Menschen, die beim Thema Depressionen und Suizidgedanken besonders lange lachten, kamen hinterher oft zu mir und sagten: „Ich habe mich ertappt gefühlt. Das habe ich auch schon gedacht.“ Wenn die Leute zu meinem Soloprogramm kommen, wissen sie auch, was sie erwartet. Wenn ich in einer gemischten Show bin, wo mehrere Künstler auftreten, würde ich so etwas Hartes wie Depressionen und Suizid auch nicht unbedingt ansprechen. Ich fände es unfair, Leute, die sich einfach nur eine Karte für eine lustige Show gekauft haben, mit sowas zu überfordern. 

Lösen Ihre Witze manchmal im Publikum einen Konflikt aus? Helene Bockhorst: Bei den Live-Auftritten kamen meine Witze immer gut an. Aber als ich die Geschichte über Depressionen einmal im Fernsehen gemacht habe, habe ich an den Zuschriften der Zuschauer gemerkt, dass das sehr verhalten angekommen ist. Die Leute fanden das entweder großartig und fühlten sich wiedergefunden oder sie fanden die Show respektlos.

Den Depressiven gegenüber respektlos? Helene Bockhorst: Ja, genau. Wenn sich jemand beschwert, sind es so gut wie nie Betroffenen, sondern Menschen, die sich stellvertretend zum Anwalt eines imaginären Betroffenen machen und sagen: „Wie soll der sich denn fühlen, wenn Sie das sagen!“

Das heißt, die Kritiker nehmen Ihnen nicht ab, dass sie selbst betroffen sind? Helene Bockhorst: Solche Leute stellen das gerne in Frage und sagen, wenn ich wirklich Depressionen hätte, würde ich ja die ganze Zeit zuhause liegen und weinen und mich nicht auf die Bühne stellen. Sie glauben, dass das eine Art von Marketing ist und die Leute vor keinem Thema mehr zurückschrecken.

Ihr Roman „Die beste Depression der Welt“ ist aus der Beobachtung entstanden, dass selbst Depressionen und psychische Krankheiten noch bewertet und miteinander verglichen werden. Wem geht es am schlechtesten, wer hat die schlimmste und damit beste Depression. Können Sie das genauer erklären? 

Helene Bockhorst: Wenn man sagt, dass man Depressionen hat, kriegt man oft Geschichten von einem entfernten Verwandten erzählt, der ja viel schlimmere Depressionen habe und trotzdem jeden Dienstag auf den Wochenmarkt gehe. Das sollte man doch bitte auch machen. Man kriegt immer Beispiele und es wird immer verglichen. Von der Person, die eigentlich gerade gesagt hat, dass es ihr nicht gut geht, wird das Gespräch weg gelenkt, weil Leute Angst haben, hinzugucken. Ich finde, die Menschen sollten lernen, dass man menschliches Leid nicht auf einer Skala abbilden kann und nicht sagen kann: „Du hast nur mittelgradige Depressionen, stell‘ dich mal nicht so an. Andere Menschen haben hochgradige Depressionen und kümmern sich trotzdem rechtzeitig um alles.“ Die Menschen wollen immer alles einordnen und erwarten trotzdem weiter, dass die Betroffenen funktionieren. Das finde ich verheerend.

Sie haben eben gesagt, die Menschen wollen nicht genau hingucken. Woran liegt das? Helene Bockhorst: Ich glaube, dass Menschen ein Problem damit haben, wenn sich jemand eine Krankheit eingesteht, die ihn daran hindert, immer so zu funktionieren wie man möchte. Das macht Leuten Angst. Fast jeder hat etwas in sich, wo man vielleicht mal hinschauen müsste und was in vielen Fällen auch eine Therapie wert wäre. Aber Leute verdrängen das gerne. Wenn sie bei jemand anderem hinschauen und erkennen, dass diese Person ein Problem hat, dann müssten sie das ja auch über sich selber sagen, und das wollen die meisten nicht.

Wissen wir zu wenig über Depressionen? Helene Bockhorst: Es ist noch viel zu tun, was die Forschung und das Wissen in der Öffentlichkeit angeht. Aber schlimmer finde ich, dass wir aus dem, was wir wissen, nicht die Konsequenzen ziehen. Es ist immer noch wirklich schwierig für Betroffene, einen Therapieplatz zu bekommen. In einer Phase, wo es diesen Menschen nicht gut geht, wird ihnen eine enorme Eigeninitiative abverlangt, um in eine Behandlung hineinzukommen. Dazu sind die Wartezeiten sehr lang. Da müsste wirklich was passieren, dass es einfacher wird. Für depressive Menschen ist es außerdem wichtig, dass man ihnen auf einfühlsame Art zuhört. Das passiert aber sehr häufig nicht. Wenn jemand sagt, er hat irgendwas, wird ganz schnell gesagt: „Du hast doch eigentlich ein so gutes Leben und viel erreicht, reiß‘ dich mal ein bisschen zusammen.“

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