Wer sich schlecht fühlt, kann sich gleich nach dem Einkaufen in der Telemedizin-Praxis bei Kaufland krankschreiben lassen. Bislang gibt es das Angebot nur in Baden-Württemberg. Kommt es auch nach NRW?
TelemedizinBlutdruckmessen zwischen Obstregal und Wursttheke – auch ein Modell für NRW?

So sieht der Behandlungsraum aus, der dem Supermarkt in Mosbach, Baden-Württemberg angeschlossen ist.
Copyright: Marijan Murat/dpa
Zwischen Bäcker und Wursttheke schnell den Blutdruck messen und sich im Zweifel vielleicht auch krankschreiben lassen? Im Neckar-Odenwald-Kreis ist das nun in einer Kaufland-Filiale möglich. An einem Automaten in einer schallgeschützten Kabine können die Patienten sich mit einem Allgemeinmediziner per Video verbinden lassen und ein Beratungsangebot wahrnehmen. Mit dem in Deutschland bislang einmaligem Konzept soll die medizinische Versorgung auch in ländlichen Regionen verbessert werden, vermelden der Krankenhausbetreiber Sana sowie die Neckarsulmer Schwarz-Gruppe, die das Projekt an den Start gebracht haben. Wir haben die wichtigsten Antworten.
Wie funktioniert das Angebot?
In einer blick- und schallgeschützten Kabine nahe der Supermarktkasse können Patienten mit einem Arzt oder Ärztin des Medical Center der Sana MVZ sprechen. Diese sind per Video-Screen zugeschaltet. „Patienten können über diesen Weg beispielsweise bei Erkältungssymptomen wie Husten, Schnupfen und Heiserkeit behandelt werden“, berichtet eine Sprecherin der Sana Kliniken auf Anfrage. Auch eine Nachkontrolle bekannter Patienten inklusive Blutdruckmessung oder Besprechung der Werte im Falle kardiologischer Behandlungen sei möglich. Unterstützt würden die Patienten durch medizinische Fachangestellte vor Ort, den Arzt könnten sie selbst auswählen. Angeboten werden laut Angaben des Unternehmens auch Präventionsleistungen. Man kann zum Beispiel seine Lungenfunktion testen oder den Fettanteil des Körpers bestimmen und sich dazu medizinisch beraten lassen.
Alles zum Thema Einzelhandel Köln und Region
- Betrug im Rhein-Sieg-Kreis Polizei warnt vor falschen Heizöl-Angeboten im Internet
- Olympia in Köln So reagiert die Wirtschaft auf die Pläne
- Ifo-Umfrage Firmen wollen wegen Mindestlohnerhöhung Jobs abbauen
- Umfrage Viele wollen zum Nikolaustag weniger Geld ausgeben
- Hitradio Mathildenhof Der Sender im Steinbücheler Wohnzimmer
Der Check-in-Prozess läuft in der Regel über das Smartphone. „Besitzt der Patient kein Smartphone, kann er den Check-in auf einem Leihtablet durchlaufen“, sagt die Sprecherin. In der Startphase rechnet das Unternehmen mit einer „niedrigen zweistelligen Patientenzahl pro Tag“.
Wann kann man das Angebot in NRW nutzen?
Derzeit sei man noch dabei zu testen, wie gut das Pilotangebot von den Kundinnen und Kunden angenommen wird. Grundsätzlich sei man bereit, weitere Standorte mit telemedizinischen Kabinen auszustatten. Ob und wann man auch in Nordrhein-Westfalen ein solches Angebot im Supermarkt nutzen kann, sei bislang unklar. In Nordrhein-Westfalen wird unter der Leitung des NRW-Gesundheitsministeriums laut AOK Rheinland-Hamburg mit den gesetzlichen Krankenversicherungen und den Kassenärztlichen Vereinigungen derzeit eine gerätegestützte telemedizinische Versorgung für das Land NRW erarbeitet. Diese leiste „einen weiteren Beitrag die bestehenden Versorgungslücken zu schließen“, wie eine Sprecherin der AOK auf Anfrage schreibt.
Wo liegen die Vorteile eines flächendeckenden Angebots?
Gerade die Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten könnte durch solche Telemedizin-Kabinen verbessert werden, schreibt Sana: „Gleichzeitig könnten damit Hausärzte in ihren Sprechstunden entlastet werden.“ Die AOK Rheinland-Hamburg weist auf Anfrage darauf hin, man stehe gerade wegen des Fachkräftemangels „allen Modellen, die einen leichteren Zugang zu medizinischen Angeboten ermöglichen, grundsätzlich offen gegenüber“. Auch die Techniker-Krankenkasse hält das auf Anfrage für eine „interessante Entwicklung“. Aus Sicht der Versicherer böten eine gute Erreichbarkeit und flexible Öffnungszeiten ein Plus.
Wie wird abgerechnet?
Da es sich beim Betreiber um ein zugelassenes Medizinisches Versorgungszentrum handelt, genüge zur Identifikation die Gesundheitskarte, abgerechnet werde mit den gesetzlichen und privaten Krankenkassen. „Die Zusatzleistungen aus dem Bereich der Prävention für Selbstzahler werden privat in Rechnung gestellt“, schreibt Sana.
Gibt es auch Vorbehalte?
Bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein steht man dem telemedizinischen Angebot wie ihn Sana anbietet, kritisch gegenüber. Ärztliche Leistungen, so sagt der Vorsitzende Dr. Frank Bergmann auf Anfrage, sei keine Regalware, die man „mal eben“ beim Einkaufen als „Convenience-Produkt“ mitnimmt. Und gerade bei Videosprechstunden müsse aus Sicht der KVNO „zwingend eine gegebenenfalls nötige reale Anschlussbehandlung in der Nähe gewährleistet sein“. Zudem müsse der Betreiber sicherstellen, dass der Patient sich den Arzt aussuche und nicht umgekehrt, schließlich könnten so alte und in der Behandlung aufwändigere Patienten im Nachteil sein. Derzeit laufe eine Klage gegen die Teleclinik GmbH, welche die Qualitätsstandards aus Sicht der KVNO missachtete. Seien alle Bedingungen erfüllt, sehe man aber auch bei der KVNO in der Telemedizin einen wichtigen Versorgungsbeitrag. Man betreibe in Nordrhein-Westfalen selbst eine Videosprechstunde im Kinder- und Allgemeinen Notdienst. Auch Kontrolltermine bei bekannten Patienten könnten zur Entlastung des Systems beitragen.
Die AOK Rheinland-Hamburg warnt auf Anfrage davor, kommerzielle Interessen in den Mittelpunkt zu stellen. Als Motiv für derlei Angebote müsse immer „der medizinische Versorgungsaspekt“ den Hauptausschlag geben.

