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Angst in Glück verwandelnMit dem finnischen „Sisu“-Mindset zu mehr Verbindung und Lebensqualität

4 min
Glücklich ist, wer sich verbunden fühlt - nicht nur mit seinen Liebsten, sondern mit seinen Mitmenschen insgesamt. . RND

Glücklich ist, wer sich verbunden fühlt - nicht nur mit seinen Liebsten, sondern mit seinen Mitmenschen insgesamt. . RND

Der neue Glücksatlas zeigt, dass die Deutschen mehr Glücksgefühle erleben, aber auch mehr Angst und Ärger. Das klingt wie ein Widerspruch. Ist es aber nicht. 

Intensive Glücksgefühle, wie das Gefühl, frisch verliebt zu sein, oder die Euphorie, wenn unser Lieblingssong im Radio läuft, all das sind süße Momente. Intensiver Ärger, wenn wir uns – mal wieder – an den Marotten unseres Partners stören und in dieses Gefühl so richtig hineinsteigern, gehören aber auch zur Glasur auf unserem Stimmungskuchen.

Viel wichtiger als die Glasur, die wir notfalls abkratzen können, ist der Kuchen an sich. Hier gilt es, eine stabile Basis für ein glückliches Leben zu backen, damit sie die Gefühlsschwankungen, Ängste und Ärgernisse, aber auch die Glücksgefühle tragen kann. Dabei haben alle Gefühle ihre Berechtigung und sollten nicht klein geredet werden.

Ärger etwa ist ein Signalgefühl, ein Zeichen von Leidenschaft und der Ausdruck eines „Hey, mir sind die Dinge eben nicht egal!“. Er kann somit ein Motor für Veränderung sein und für Klarheit sorgen.

Auch die Glücklichsten der Welt kennen Angst

Dass wir in Deutschland sowohl mehr Glücksgefühle als auch mehr Ängste und Ärger erleben, ist also kein Widerspruch. Menschen können Angst empfinden, ohne unglücklich zu sein. Schaut man sich die glücklichsten Länder der Welt im Norden an, so ist dort die Sorge um mögliche Übergriffe des russischen Nachbarn wesentlich präsenter als bei uns. Das zeigt sich auch darin, dass Läden in Schweden bereits Reklame für Bereitschaftsutensilien machen, sollte es tatsächlich zum Ernstfall kommen. Trotzdem sind die Schweden im jüngsten Weltglücksreport von Platz 7 auf Platz 4 geklettert.

Das Geheimnis der einstigen Wikinger lautet: Lass dich nicht von deiner Angst und deinem Ärger überwältigen, sondern nutze sie. Die Finnen, die als die glücklichsten Menschen der Welt gelten, haben hierfür sogar ein eigenes Wort: „Sisu”. Es beschreibt die finnische Volksseele und bedeutet, mit positiver Beharrlichkeit einfach immer weiterzumachen. „Sisu” ist die finnische Form von innerer Entschlossenheit – eine Mischung aus Mut, Widerstandskraft und stiller Würde.

Sorgen und Ärger in Handlung transformieren

Studien deuten darauf hin, dass Kontrolle und der Begriff der „Agency” der zentrale Puffer zwischen Angst und Glück sind. „Agency” bedeutet hierbei: Ich treffe bewusst Entscheidungen, handle zielgerichtet, bewirke etwas und übernehme die Verantwortung für die Folgen.

Es geht also nicht darum, die Augen vor der Realität zu verschließen oder die Angst herunterzuspielen. Vielmehr geht es darum, die Handlungsfähigkeit zu erhöhen. Das bedeutet, vom Sofa aufzustehen, den Instagram-Strom zu durchbrechen, die Nachrichten abzuschalten und stattdessen die Großeltern zu besuchen, die schon so oft gesagt haben: „Komm doch mal wieder vorbei.“

Wie können wir Angst in Glück verwandeln?

Angst entsteht oft durch das Gefühl der Ohnmacht. Wir können weder die Klimaschäden zurückdrehen, noch den amerikanischen Präsidenten beeinflussen. Die Folge ist, dass wir uns hilflos fühlen und in einer Art Schockstarre verharren. Die Auswirkungen sehen wir von den Familien bis in die Wirtschaft und die Politik hinein. Wir halten an vermeintlich Bewährtem fest und trauen uns nicht, beherzt neue Wege einzuschlagen.

Das ist eine normale Reaktion auf Krisen und eine prähistorische Grundeinstellung unseres Gehirns. Das Gute daran ist, dass wir sie durchbrechen und das Gefühl der Kontrolle zurückerobern können.

Wie? Indem wir etwas tun. Wenn Sie also das Gefühl der inneren Starre erleben, dann

  1. Erstellen Sie Mini-Pläne mit kleinen, selbst gewählten Schritten und evaluieren Sie Ihr Wirken am Ende des Tages. Das zeigt Ihnen, dass Sie Kontrolle über Ihr alltägliches Leben haben.

Indem wir das Gefühl der täglichen und allgemeinen Kontrolle stärken, steigern wir unser emotionales Wohlbefinden. Das Gefühl, „Ich kann hier etwas beeinflussen“, ist nicht nur eine Wohltat fürs Selbstwertgefühl, sondern auch eine der wichtigsten Zutaten für ein glückliches Leben. Deshalb:

  1. Werden oder bleiben Sie handlungsfähig! Im Kleinen, wenn es im Großen gerade nicht geht. Anstatt neidisch auf Instagram zu verfolgen, wie andere ins 5-Sterne-Restaurant gehen, könnten Sie Ihre Freunde oder Ihre Familie spontan zu einem Picknick im Park um die Ecke einladen – oder zu einem gemütlichen Dinner-Abend bei sich zu Hause.
  2. Konzentrieren Sie sich auf das Positive: Was läuft gut und warum? Wie können Sie eine Lösung für das finden, was gerade nicht so gut läuft? Ist das überhaupt wichtig? Anstatt sich in Bedenken zu verlieren, überlegen Sie sich lieber: „Was spricht dafür, dass es klappen kann?“
  3. Achten Sie auf Ihre Gedanken. Viele Dinge, die wir denken, denken wir jeden Tag wieder. Wir wiederkäuen – wie eine Kuh - unsere Sorgen, Ängste und Ärgernisse. Achten Sie mehr auf Ihre Gedanken und …
  4. … durchbrechen Sie negative Gedankenströme. Reframen Sie diese Gedanken: Der Flieger ist verspätet. Dann habe ich noch ausreichend Zeit, um mir einen neuen Anschlusszug zu suchen. Negative Gedanken können Sie wie ein Staubsauger einsaugen und mit einer positiven Wendung erneut in die Welt entlassen.

Lasst uns Arschbomben machen wie die Skandinavier

„Sich trauen“ kommt von Zutrauen, und darin sind die nordischen Länder Weltmeister. Während wir uns in Deutschland oft in Bedenken verheddern, sind sie bereits ganz selbstverständlich mit einer Arschbombe neben uns durchs Eis gekracht. Skandinavische Länder fordern ihre Bewohner, binden sie ein, trauen ihnen etwas zu und lassen sie Verantwortung übernehmen. Sie sind offen in der Kommunikation, verschweigen keine Gefahren und versuchen nicht, Menschen übermäßig zu schützen. Das verhindert Abhängigkeit und stärkt die Selbstwirksamkeit.

In dänischen Schulen liegt der Fokus weniger auf Leistung, sondern auf Life-Skills und Coping-Strategien – Kinder sollen lernen, mit Herausforderungen umzugehen, Verantwortung zu übernehmen und selbst Lösungen zu finden. Niemand hilft skandinavischen Kindern vom Baum oder fährt sie bei Regen bis vor die Schultür. Schwedische Kinder verdienen sich das Geld für ihre Klassenreise selbst, und auch schwedische Bürgerinnen und Bürger sind gefragt. Erst kürzlich erhielten alle schwedischen Haushalte Broschüren, die erklären, was man im Krisen- oder Kriegsfall selbst tun kann – und soll.

Die Basis hierfür ist die zentrale Redewendung des Nordens: „Frihet under ansvar“. Du bist frei, dein Leben zu gestalten, aber nur, wenn du bereit bist, Verantwortung für dich und andere zu übernehmen.

Gute Beziehungen machen mutig

Dieses „für andere“ ist dabei essenziell für die Resilienz der Glücksländer. Kooperation ist der Kern nordischer Gesellschaften. Gute Beziehungen und Gemeinsinn machen nicht nur glücklich und halten gesund, sondern auch mutig.

Deshalb lautet der letzte Tipp:

  1. Suchen Sie Gemeinschaft. Reden, teilhaben, im Büro arbeiten. Wenn wir uns verbunden, unterstützt oder sicher eingebettet fühlen, reagiert unser Körper messbar ruhiger auf Belastungen. Das gilt vom Neugeborenen bis zur Führungskraft. Bereits das Händchenhalten mit dem Partner oder der Partnerin in einer drohenden Situation senkt die neuronale Bedrohungsreaktion und steigert die Zuversicht.

Sie sind gefragt!

Kümmern Sie sich um Ihren Stimmungskuchen. Um eine positive Entwicklung in Deutschland wieder in Gang zu setzen, reicht es schon, wenn Sie den ersten Schritt wagen.

Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Glücksforscherin Maike van den Boom.