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„Hacking Age“Arzt Felix Bertram im Interview über Lebensveränderungen und Longevity

9 min
isr Arzt, Unternehmer und nun auch Autor.

Felix Bertram is Arzt, Unternehmer und nun auch Autor.

Felix Bertram ist Arzt, „Höhle der Löwen“-Investor in der Schweiz und nun auch Autor. Auslöser für sein aktuelles Buch „Hacking Age“ war ein Test, der ein biologisches Alter von 74 Jahren attestierte. 

Mit 19 Jahren verlor Felix Bertram bei einem Motorradunfall ein Bein. Er lebt seitdem mit einer Prothese, und statt eines geplanten Studiums an einer Musicalschule verbrachte er viel Zeit in Krankenhäusern – und wurde am Ende selbst Arzt. Heute ist Bertram nicht nur Dermatologe, Schönheitschirurg und Inhaber mehrerer Kliniken sowie eines Sternerestaurants in der Schweiz, sondern auch Investor in der Schweizer Version der TV-Show „Die Höhle der Löwen“. In seinem Buch „Hacking Age“, das am 21. Oktober erscheint, beschreibt er, wie er mit 49 Jahren einen Test machte, der sein biologisches Alter auf 74 Jahre einschätzte, und daraufhin sein Leben umstellte.

Herr Bertram, Sie sind Arzt, haben ein Sternerestaurant, sind Investor bei der Schweizer „Höhle der Löwen“ und jetzt haben Sie auch noch ein Buch geschrieben: Woher nehmen Sie den Antrieb?

Das werde ich häufiger gefragt, dabei ist mein Leben eigentlich total entspannt. Das war es nicht immer, deshalb bin ich auch biologisch so viel älter. Ich habe natürlich erst mal die Kliniken aufgebaut. Wenn man dann irgendwann eine gewisse Größe hat und profitabel ist, kann man auch ein Restaurant eröffnen. Und ich habe früh delegieren können und anderen Leuten im Job vertraut. Dazu kommt, dass ich vieles – bis auf eine stressige Phase von fünf Jahren – mit sehr viel Passion mache. Arbeit und Leben sind für mich nicht so abgegrenzt voneinander.

Das kann auch zum Stressfaktor werden, wenn es keine Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gibt.

Ja, das stimmt. Stress ist ein spannendes Thema. Der Hauptgrund für das hohe biologische Alter bei dem Test ist sicherlich auch Stress gewesen. Ich habe das Glück, dass ich mich weitestgehend mit Projekten beschäftigen durfte, die mir Spaß machen und bei denen ich den Stress nicht gespürt habe. Negativer Stress wurde es, als meine Kliniken in finanzielle Schieflage kamen, die Banken Druck machten, Leute kündigten und eine Abschiedsparty unter dem Motto „Wir verlassen das sinkende Schiff“ feierten. Das war wirklich schlimmer Stress. Ansonsten habe ich es nie als Stress empfunden.

Sie haben dennoch im Buch geschrieben, dass Sie Alkohol und Schlaftabletten konsumierten.

Ja, das war während dieser schweren Phase. Da habe ich abends mal ein Bier getrunken – und aus dem einen Bier wurden fünf. Weil ich nicht gut einschlafen konnte, habe ich außerdem Schlaftabletten genommen. Da bin ich so reingerutscht – und damit kein Einzelfall. Viele Unternehmer haben ähnliche Probleme.

Sie haben es wieder herausgeschafft aus der Spirale. Welche Rolle spielte für Ihr heutiges Mindset, dass Sie mit 19 bei einem Motorradunfall Ihr Bein verloren haben und Ihren bis dato aufgestellten Lebensplan aufgeben mussten?

Dass ich das geschafft habe, ist für mich mehr Zufall als Verdienst. So bin ich einfach veranlagt, dass ich Herausforderungen annehme. Die Leute glauben, dass ich wahnsinnig gelitten habe unter dem Unfall, und natürlich war das nicht schön. Aber ich hatte schnell einen neuen Fokus und habe die Angewohnheit, Dinge zu „reframen“. Es hätte viel schlimmer sein können, ich hätte tot sein können. So sehe ich das auch mit dem Alterstest: Ich habe danach meiner Geschäftsführerin gesagt, dass ich als CEO meiner Kliniken zurücktrete. Heute habe ich keine aktive Rolle mehr in der Firma und mein neues Leben tut mir wahnsinnig gut.

Was haben Sie konkret verändert an Ihrem Leben?

Ich habe mich anfangs auf die vier Bereiche konzentriert, die bei Longevity wichtig sind: Schlaf, Stress, Ernährung und Sport. Im Verlauf habe ich gemerkt, dass das nicht alles ist, und habe mein eigenes Konzept entwickelt mit den Oberbereichen Gesundheit, Beziehungen und persönliche Entwicklung. Ich musste vor allem bei der Gesundheit ansetzen, aber auch in den anderen Bereichen etwas machen.

Was haben Sie für Ihre Gesundheit getan?

Ich habe mich auf die vier Säulen Schlaf, Stress, Sport und Ernährung konzentriert. Bei der Ernährung mache ich Abstriche: Ich esse wahnsinnig gerne, und dann muss ich eben früher sterben (lacht). Ich will auch mal ein Essen in meinem Zwei-Sterne-Restaurant genießen. Dass man sich gesund ernähren soll, steht nicht zur Debatte: wenig Zucker, wenig Weißmehl, wenig prozessierte Lebensmittel. Aber das Thema Ernährung wird oft gehypt, es gibt jedoch leider wenige wirklich belastbare Studien. Das Gleiche gilt für Supplements. Das Wichtigste sind Schlaf und Sport. Sport gehört mittlerweile zu meinem Alltag und hat auch den Schlaf, meine Stresswerte, meine Blutwerte und mein Gewicht verbessert.

Wie haben Sie den Bereich Beziehungen optimiert?

Für mich war es wichtig, auch mal Nein zu sagen. Ich habe zu oft Ja gesagt. Als „Höhle der Löwen“-Investor wollen mich Tausende Leute zum Kaffee treffen, und da muss ich mich nett abgrenzen. Ich bin auch meine Freundschaften durchgegangen und habe überlegt: Wen treffe ich wirklich gerne und wen aus Pflichtgefühl? Das befreit mein Leben sehr. Die Reverse Bucket List ist eine der wichtigsten Erkenntnisse. Man muss Dinge weglassen.

Wie schaffen Sie es, nicht in alte Muster zurückzufallen?

Ich habe den Luxus, dass ich mir den Tag frei einteilen kann. Morgens mache ich Sport oder gehe in die Sauna. Dann widme ich vier Stunden meiner persönlichen Entwicklung, also meiner Arbeit oder einem Projekt, das mich gerade beschäftigt. Das halte ich für viel produktiver als die acht Stunden, die ich früher müde und gestresst gearbeitet habe. Meine sozialen Beziehungen pflege ich am Abend. Was mir geholfen hat, ist, alles step by step anzugehen. Menschen gehen Veränderungen oft zu ambitioniert an. Ich habe erst mal versucht, Gewohnheiten zu etablieren. Ich bin am Anfang dreimal die Woche ins Fitnessstudio, aber nur für fünf Minuten. Außerdem habe ich das Fitnessstudio mit etwas Positivem verknüpft, indem ich mir meine Lieblingspodcasts nur noch im Gym erlaubt habe. Und ich habe die Regel: Ich kann alles einmal ausfallen lassen, aber nie zwei Tage hintereinander.

Haben Sie seit den Veränderungen noch einen Alterstest gemacht?

Ja, nach einem halben Jahr und nach einem Jahr. Beide lagen leider noch bei 70 Jahren. Laut Labor sind die Stresswerte immer noch hoch. Alle anderen Werte haben sich aber drastisch verbessert: meine Kraft, mein Schlaf, meine Blutwerte. Dieser biologische Alterstest eignet sich natürlich super für ein Buch (lacht), aber wenn man mit Longevity-Koryphäen wie Peter Attia spricht, würden die das Ergebnis nicht überbewerten. Wenn alle anderen Werte sich stark verbessert haben, ist das ein weitaus wichtigerer Indikator.

Macht denn Ihr „gehacktes Leben“ noch genauso viel Spaß?

Mein Leben macht deutlich mehr Spaß als vorher, weil ich körperlich fit, wach und präsent bin und bessere Ideen habe. Aber ich bin nicht dogmatisch. Ich habe letztens in der Sansibar auf Sylt auch einen schönen Champagner getrunken. Ich verbiete mir Alkohol nicht komplett, aber ich trinke nicht mehr jeden Abend, sondern viermal im Jahr. Und Sport gehört für mich heute zum Alltag, ich empfinde es nicht als Zwang, sondern als Genuss. Es hat mich sogar angespornt, neue Aufgaben anzugehen.

Welche denn?

Für nächstes Jahr habe ich die Idee, mit dem Rad von Alaska nach Argentinien zu fahren, über die Panamericana. Das sind 25.000 Kilometer. Ich merke auch, dass ich Leute inspiriere, weil ich beinamputiert bin und trotzdem viel mache. Es gab viele Anfragen für Keynotes in der Ukraine. Und zu der Panamericana-Route ist die Idee entstanden, das mit Kameras zu begleiten und Geld zu sammeln, zum Beispiel für das Superhuman Center, das in der Ukraine Prothesen herstellt. 60.000 Menschen warten da auf eine Prothese.

Kommen wir auf den Buchtitel „Hacking Age“: Sie schreiben, dass es darin eigentlich um „Hacking Life“ geht – warum haben Sie es nicht so genannt?

Wir sind mit dem Titel „Hacking Age“ auf die Agentin zugegangen, als ich noch am Anfang des Prozesses war. Während des Schreibens habe ich mir die Frage gestellt: Worum geht es hier eigentlich? Darum noch mal fünf Jahre länger zu leben und bis zum letzten Lebenstag gesund zu sein? Das kann ich niemandem garantieren. Es geht mir viel mehr darum, im Hier und Jetzt zu leben. Ich habe wahrscheinlich noch 10, 15 gute Jahre, in denen ich komplett frei und selbstbestimmt bin. Das muss man sich bewusst machen und das Leben genießen.

Es gibt im Longevity-Bereich Menschen, deren Ziel es ist, möglichst lange zu leben - der Genuss scheint dabei in den Hintergrund zu rücken.

Ja, bei manchen wird Longevity zum Selbstzweck. Das extremste Beispiel ist Brian Johnson. Der hat ja angeblich eine ganz straffe Tagesroutine, weil er nicht sterben will – was unrealistisch ist. Bisher kann nichts das Sterben verhindern, und vielleicht ist das auch gut so. Mich stört an dieser Longevity-Diskussion dieses „Ich mache jetzt auch Infrarotsauna und Cold Plunge“. Zu den meisten Sachen davon gibt es wenig Studien. Du musst das Fundament aufbauen auf Fitness, Körpergewicht, Ernährung und Schlaf. Es gibt kein Supplement, das die Basics ersetzt.

War es Ihnen als Arzt ein Anliegen, sich von diesen nicht erwiesenen Methoden zu distanzieren?

Ja, es will sich ja heute jeder Longevity-Experte nennen. Ich bin ein Freund von Studien und seriöser Wissenschaft. Menschen machen oft den Fehler, dass sie etwas für sich entdecken und es als allgemeingültig ableiten. Ich habe auch schon Hautkrankheiten mit Wasser geheilt, aber die Frage ist: Wäre die Krankheit nicht ohnehin weggegangen? Man muss immer schauen, ob der Effekt auch bei 2000 Menschen messbar ist. Menschen suchen immer nach einfachen Mitteln – zwei Pillen nehmen und dann lebe ich noch mal drei Jahre länger. Das gibt’s nicht.

Sie „hacken“ Ihr Alter und Ihr Leben und sind Schönheitschirurg. „Hacken“ Sie auch Ihr eigenes Aussehen?

Für mich ist das kein Hacking. Ich habe mir die Haare schon transplantieren, ein bisschen Fett absaugen und die Oberlider operieren lassen. Ich habe aber nicht vor, mich nochmal operieren zu lassen. Ich bin meiner Branche gegenüber sehr kritisch. Es wird zu viel gemacht. Schönheitsoperationen können mal eine Maßnahme sein, aber man sollte das sehr punktuell und dezent wahrnehmen. Da muss man als Arzt die Leute auch mal stoppen. Wenn man nur die schnelle Mark verdienen will, kommen zum Beispiel diese überdimensionierten Lippen zustande, die man immer häufiger sieht.