StilkolumnePraktisch jede Weinsorte hat ihr eigenes Glas – muss das sein?

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Ein Wein, ein Glas – soll das so oder ist das übertrieben?

  • Aber bitte mit Stil! In unserer Kolumne „Wie geht’s?“ dreht sich alles um das richtige Verhalten. Ob bei offiziellen Anlässen, beim Essen, im Gespräch oder vor dem Kleiderschrank.
  • Protokollchefin i.R. Ingeborg Arians, Modeexpertin Eva Reik, Restaurant-Chef Vincent Moissonnier sowie Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch schreiben abwechselnd über das richtige und stilvolle Auftreten.
  • Diesmal erklärt Vincent Moissonnier, warum es für fast jede Weinsorte ein eigenes Glas gibt. Und ob man die auch alle zu Hause haben sollte.

Köln – Die Gläser, Herr Moissonnier, die Gläser! Was meinen Sie, wie oft ich diesen Ausruf höre. Mal klingt es neugierig, mal skeptisch, mal gespielt verzweifelt. Es ist aber auch wirklich kompliziert: Wenn Sie auf der Suche nach Weingläsern in eine der handelsüblichen Kollektionen schauen, dann finden Sie zu praktisch jeder Weinsorte ein eigenes Glas: je eines für Riesling, für Chardonnay oder Sauvignon blanc, ein Rioja-Glas, ein Chianti-Glas, eines für Burgunder und eines für Bordeaux, dann natürlich noch spezielle Gläser für Sekt, Champagner oder Süßwein. Wer soll da noch durchblicken?

Die gute Nachricht zuerst: Sie können ganz beruhigt sein! Hinter einer solchen Fülle von Variationen verbirgt sich vor allem ein gutes Marketing. Aber ganz ohne Grund kommen die Hersteller nicht auf den Gedanken, Ihnen gleich eine ganze Glasorgel verkaufen zu wollen. Ich mache es mal so einfach wie möglich und so differenziert wie nötig:

Jedes Weinglas sollte einen Stiel haben, und nur dort fassen Sie es an. Das Weißweinglas ist relativ klein. Es darf schlank, aber auch etwas ausladend sein. Gelegentlich ist von „Universalgläsern“ die Rede. Das trifft es ganz gut, weil eigentlich jedes Weißweinglas zu jeder Weinsorte passt.

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Vincent Moissonnier 

Gläser für Rotwein sind generell größer als Weißweingläser, damit viel Luft an den Wein kommt und sich das Bouquet optimal entfalten kann. Hier hat es nun tatsächlich Sinn, über zwei verschiedene Formen nachzudenken. Ohne Sie nervös machen zu wollen: Mit dem falschen Glas kann man einen Wein kaputt kriegen.

Das Bordeaux-Glas ist ausgesprochen hoch. Es geht vom Stiel her zunächst etwas in die Breite, ohne besonders bauchig zu werden, um sich dann zum Rand hin zu verjüngen. Das führt dazu, dass die Flüssigkeit beim Trinken wie in einem Kanal enggeführt wird. Der Wein gelangt so am leichtesten nach hinten in die Mundhöhle, was die Aromen und den leicht süßlichen Nachgeschmack der Rebsorten Merlot und Cabernet Sauvignon optimal zur Geltung bringt. Auch für Chianti, Rioja und alle Cabernet-Sorten aus Übersee ist diese Glasform gut geeignet. Wichtig ist, Bordeaux und vergleichbare Weine zu dekantieren, weil im Glas selbst dann nur noch wenig Luft an den Wein kommt.

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Im Gegensatz zum Bordeaux-Glas ist das Burgunder-Glas wesentlich bauchiger und nicht so hoch. Der Pinot noir ist ein Wein, der im Glas möglichst viel Luft abbekommen sollte. Das Glas passt auch für den deutschen Spätburgunder, aber auch für Barolo oder Blaufränkisch.

Schaumwein sollten Sie immer aus einer französischen „Flûte“ trinken, also einem schlanken, hohen Glas. Vergessen Sie Omas Sektschalen! In denen werden Sekt oder Champagner schal und flach.

Für den Gesamteindruck empfehle ich Kristallgläser, aber bitte ohne Schnickschnack wie Gravuren . Bei einer Karaffe oder einem Dekanter kann das durchaus schön aussehen. Beim Weinglas dagegen zählt Schlichtheit. Das Glas dient allein dem Wein. So einfach ist das.

„Wie geht’s?“

In unserer Kolumne beantworten vier Experten abwechselnd in der Zeitung Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Ingeborg Arians, Protokollchefin der Stadt Köln a.D., weiß, wie man sich bei offiziellen Anlässen richtig verhält. Journalistin Eva Reik kennt sich bestens aus mit Mode und der passenden Kleidung zu jeder Gelegenheit. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren. (jf)

Senden Sie uns Ihre Fragen bitte per Mail an: Stilkolumne@dumont.de

Kleiner Tipp für unfallfreie Pflege: Fassen Sie Ihre Weingläser nicht am Fuß an, sondern in der Mitte am Bauchansatz – wie einen Kelch. Dann gehen Sie mit dem Spüllappen unter sanfter Drehung ins Innere. Am Schluss kommt die Außenseite dran. Zum Trocknen verwenden Sie am besten ein Mikrofasertuch. Stofftücher hinterlassen winzige Faserpartikel, die zu starkem Schäumen bei Sekt oder Champagner führen. Die prickelnde Kohlensäure soll möglichst nicht im Glas bleiben, sondern bei Ihnen im Mund landen. Auch fürs Trocknen und Polieren gilt: Agieren Sie ganz sanft – ohne Druck. Am besten auch ohne Zeitdruck. Die meisten Gläser zerbrechen nämlich aus Hektik.

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