Diese Grafiken sollten Sie kennenSo steht es Ende 2022 um die Klimakrise

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Niedrigwasser von 75 cm am Kölner Rheinufer
zwischen Hohenzollernbrücke und Zoobrücke.

Wegen anhaltender Trockenheit liegt der Rheinpegel Mitte August nur noch bei 75 Zentimetern.

Die Klimakrise zeigte sich 2022 bereits deutlich: Das Jahr war so warm wie nie zuvor. Wie heiß wird die Welt noch? Der Ist-Zustand und die Prognosen in sechs interaktiven Grafiken.

Energiekrise, neue LNG-Terminals und reaktivierte Kohlekraftwerke auf der einen Seite, eindringliche Warnungen, Wetterextreme und die beginnende Kehrtwende hin zu Erneuerbaren Energien auf der anderen: Das Klimajahr 2022 war geprägt von widersprüchlichen Entwicklungen. „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal.“ So beschrieb UN-Generalsekretär António Guterres den Stand der Klimakrise im Jahr 2022 auf der diesjährigen Weltklimakonferenz in Ägypten. Eine Übertreibung ist das nicht.

So wie Guterres bewerten zahlreiche Expertinnen und Experten die Lage. Unter anderem auch im Frühjahr der Weltklimarat (IPCC) in seinem 6. Sachstandsbericht. „Die Auswirkungen, die wir heute sehen, treten viel schneller auf und sind zerstörerischer und weitreichender als vor 20 Jahren erwartet“, berichtete die Arbeitsgruppe. Was bedeutet das konkret? Wie zeigte sich der Klimawandel 2022? Und wie sehen die Prognosen aus? Ein Überblick.

1. So warm wie nie

Noch nie seit 1881 war der Zeitraum Januar bis November in Deutschland so warm wie 2022, teilte der Deutsche Wetterdienst (DWD) kürzlich mit. Nach den Klima-Nachrichten, die uns in diesem Jahr erreichten, eigentlich keine große Überraschung: „Damit reiht sich der Zeitraum März bis Mai 2022 in die Serie deutlich zu warmer Frühjahre ein“, hieß es im Frühling.

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Im Sommer dann: „Hitzerekorde im Norden Deutschlands bis an die Küste, historische Trockenheit im Westen, Niedrigwasser und ausgetrocknete Flussläufe, Blaualgenplagen, zahlreiche Rekordwaldbrände, Trinkwassernotstände – oft Seite an Seite mit regionalen Starkregenfällen und Überflutungen.“ DWD-Pressesprecher Uwe Kirsche sagte dazu: „Wir dürften damit in Zeiten des Klimawandels einen bald typischen Sommer erlebt haben.“ Und im Herbst: „Der diesjährige Herbst war außergewöhnlich warm, der Oktober ging als wärmster in Deutschland in die Geschichte ein.“ Auch zum Jahreswechsel erwartet der DWD „vielerorts das wärmste Silvester seit den Aufzeichnungen“.

Wie warm das Jahr 2022 war, zeigt folgende Grafik. In jedem einzelnen Monat überstieg die Durchschnittstemperatur die der Referenzperiode von 1961 bis 1990, mal mehr, mal weniger deutlich. Die Durchschnittstemperatur im wärmsten Monat, dem August, lag bei 20,3 Grad – und damit fast vier Grad über der Referenzperiode.

2. Zu wenig Handlung

Wie gut (oder schlecht) die großen Industrienationen dem Klimawandel begegnen, lässt sich seit 2005 dem jährlich erscheinenden Climate Change Performance Index (CCPI) entnehmen. Ziel des von der deutschen Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch e. V. entwickelten Instruments ist es, mehr Transparenz in die internationale Klimapolitik zu bringen. Anhand einheitlicher Kriterien vergleicht und bewertet der CCPI die Klimaschutzbemühungen von 59 Staaten und der EU, die zusammen für 92 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Die Ergebnisse berechnen sich aus vier Teilkategorien – Treibhausgasausstoß, erneuerbare Energien, Energieverbrauch, Klimapolitik.

Im diesjährigen CCPI-Ranking schneidet kein einziges Land weltweit in allen Indexkategorien gut genug ab, um eine sehr hohe Gesamtwertung zu erreichen. Die ersten drei Plätze sind deshalb nicht vergeben worden. Selbst wenn alle Länder in ihren Klimaschutzbemühungen so engagiert wären wie die Spitzenreiter im Ranking, würden die Maßnahmen nicht ausreichen, um einen gefährlichen Klimawandel zu verhindern.

Deutschland rutscht in diesem Jahr von Platz 13 auf Platz 16. Die Gründe dafür liegen in der jüngsten Energiekrise, in der die Ampelregierung beschlossen hat, in fossile Brennstoffquellen sowie neue LNG-Infrastrukturen zu investieren, um den Mangel an russischem Gas auszugleichen.

3. Ressourcen von drei Erden

Am 28. Juli, einem Donnerstag, war es in diesem Jahr so weit: Die Menschheit hatte alle nachwachsenden Ressourcen verbraucht, die unser Planet innerhalb eines Jahres produzieren kann. Seit Jahren verschiebt sich dieser Tag, der sogenannte Erdüberlastungstag, immer weiter nach vorne. Aus einer ökonomischen Sichtweise befinden wir uns seit diesem Tag in einem Defizit, müssen uns also sinnbildlich Ressourcen von der Erde leihen, wie Geld bei einer Bank – oder bräuchten einen weiteren Planeten, der uns Ressourcen zur Verfügung stellt. Denn unsere momentane Lebensweise erfordert das Äquivalent von 1,7 Erden. Dies ist jedoch nur der globale Wert, die nationalen Unterschiede sind groß. So fiel der deutsche Erdüberlastungstag in diesem Jahr auf den 4. Mai, unsere Lebensweise beansprucht also nahezu drei Planeten.

4. Steigende Emissionen

Große nationale Unterschiede gibt es auch beim Pro-Kopf-Ausstoß von Kohlenstoffdioxid (CO₂): Dieser steigt weltweit stetig an, auf mittlerweile 4,7 Tonnen im Jahr. Deutschland liegt weit über diesem globalen Mittelwert. Denn durchschnittlich produziert jeder Mensch hierzulande 10,8 Tonnen CO₂ pro Jahr. „31 Prozent, also 2,2 Tonnen, sind auf den sonstigen Konsum zurückzuführen. 2,2 Tonnen beziehen sich auf das Wohnen, 5 Prozent auf Strom und 20 Prozent auf Mobilität. Zusätzlich ergeben sich 1,7 Tonnen pro Kopf aufgrund der Ernährung und 0,8 Tonnen durch die öffentliche Infrastruktur im Allgemeinen“, schreibt das Bundesumweltministerium. Von unserem Klimaziel sind wir damit weit entfernt – das legt einen Fußabdruck von unter einer Tonne CO₂e pro Kopf fest.

5. Wie heiß wird die Welt?

1,5 Grad – Das ist die Grenzmarke, auf die die Erderhitzung begrenzt werden soll. So wurde es 2015 auf der UN-Klimakonferenz in Paris beschlossen, um die Risiken der Klimakrise möglichst zu begrenzen. Doch laut der UN-Organisation für Meteorologie (WMO) lag der globale Durchschnittswert 2021 bereits 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Wie es weitergehen könnte, projizieren Klimamodelle, bei denen zwischen verschiedenen Emissionsszenarien unterschieden wird. Eine Prognose etwa liefert der Climate Action Tracker (CAT), der auf Basis der CO2-Reduktionsmaßnahmen der Staaten berechnet, wie sich das Klima voraussichtlich bis 2100 verändern wird.

Wenn die Zusagen aller Staaten zum Klimaschutz für das Jahr 2030 umgesetzt werden, steigt die Erderwärmung demnach bis zum Ende des Jahrhunderts auf etwa 2,4 Grad. Betrachtet man nur, was die Staaten aktuell tun, und lässt weitere Ankündigungen außen vor, klettert der Wert bis 2100 sogar auf 2,7 Grad.

Werden zusätzlich zu den bis 2030 gesetzten Klimaschutzzielen auch die bisher zugesagten langfristigen Maßnahmen konsequent umgesetzt, könnte die Erderwärmung den Berechnungen nach auf 2 Grad bis Ende des Jahrhunderts begrenzt werden. Das Ernüchternde: Selbst das optimistischste Szenario der CAT-Forschenden geht von einer Begrenzung auf lediglich 1,8 Grad Celsius bis 2100 aus.

Damit das 1,5 Grad-Ziel in Reichweite bleibe, sind laut Wissenschaftlern auch negative Emissionen notwendig. Auch laut dem IPCC gilt es als wahrscheinlich, dass die überschüssige Menge an Treibhausgasen durch den Einsatz von Technologien aus der Luft entfernt werden muss.

Hinzu kommt: durch die Energiekrise sei das Ziel noch weiter in Bedrängnis geraten, warnten die CAT-Forschenden erst kürzlich. Die Forschungsinitiative hat die CO₂-Emissionen errechnet, die durch alle im Bau befindlichen, genehmigten und vorgeschlagenen Projekte zur Förderung von verflüssigtem Erdgas (LNG) entstehen würden. Das Ergebnis: Allein diese Projekte könnten sich bis 2050 auf rund zehn Prozent des noch verbleibenden globalen CO₂-Budgets für die 1,5-Grad-Erwärmung summieren.

6. Die Klima-Uhr tickt

Was fest steht: Die Zeit wird immer knapper. Wie knapp, das zeigt zum Beispiel die Klima-Uhr des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). Sie veranschaulicht, wie viel CO₂ noch in die Atmosphäre abgegeben werden darf, um das 1,5 Grad-Ziel einhalten zu können. Bei den derzeitigen Emissionen von rund 1337 Tonnen pro Sekunde ist die Zeit demnach bereits in etwa 6 Jahren und 6 Monaten abgelaufen.

Bis zur 2-Grad-Grenze verbleiben noch etwa 24 Jahre. Der Unterschied, ob sich die Erde um 1,5 oder um 2 Grad erhitzt, ist jedoch gravierend. Denn tatsächlich zählt jedes Zehntelgrad weniger, um die Risiken der Klimakrise zu begrenzen. Darin sind sich die Expertinnen und Experten einig.

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