Auch im WaldNRW räumt zusätzliche Flächen für Wind- und Solarkraft frei

Lesezeit 5 Minuten
Ein Windrad steht im Wald Peterberg bei Vossenack.

Die NRW-Landesregierung macht den Weg frei für Windräder im Wald.

Anlagen für Erneuerbare Energien sollen in NRW künftig auf bestimmten Waldflächen und an Bundesstraßen errichtet werden dürfen. Für den Erlass der Landesregierung gibt es viel Lob, aber auch Kritik von Naturschützern.

Die schwarz-grüne Landesregierung räumt zusätzliche Flächen für den Ausbau Erneuerbarer Energien frei. Künftig können Windkraftanlagen demnach auch auf bestimmten Waldflächen errichtet werden. Solaranlagen sollen unter anderem entlang von Bundesfernstraßen und überregionalen Schienenwegen stärker zum Einsatz kommen. Das Wirtschafts- und Energieministerium setzte am Mittwoch einen entsprechenden Erlass in Kraft.

„Mit dem Erlass schaffen wir sofort Freiräume für den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Nordrhein-Westfalen und kommen auf dem Weg in die klimaneutrale Zukunft voran“, teilte Klimaschutz - und Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) mit. Denn kaum ein Thema ist in NRW derzeit so umstritten wie der Ausbau der Windenergie. Mit dem Erlass will die Landesregierung den Ausbau nun forcieren.

Was hat die NRW-Landesregierung konkret beschlossen? Was soll das bringen? Und was spricht dafür, was dagegen? Ein Überblick.

Alles zum Thema Klimawandel

Was hat die NRW-Landesregierung genau beschlossen?

Windkraftanlagen dürfen künftig auch auf geschädigten Waldflächen und in anderen Nadelholzwäldern errichtet werden. Konkret sind damit Flächen gemeint, die durch Sturm, Dürre oder Krankheiten zerstört worden sind. Sie werden auch als Kalamitätsflächen bezeichnet. Der Erlass gilt allerdings nicht in waldarmen Gemeinden, auf Naturschutzflächen sowie in Laub- und Laubmischwäldern.

„Deutlich vergrößert“ werden nach Angaben des Ministeriums auch die planerisch möglichen Flächen für Solarenergie-Anlagen entlang von Bundesfernstraßen und überregionalen Schienenwegen. Auch in „Bereichen für industrielle Nutzungen“ sind künftig ergänzend zu den Wirtschaftsgebäuden Freiflächen-Solarenergieanlagen möglich. 

Zudem wird die gleichzeitige Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für die Energieerzeugung erleichtert. Bei Biogasanlagen werden außerdem „angemessene räumliche Erweiterungen vorhandener Betriebsstandorte“ ermöglicht.

Warum sind zusätzliche Flächen nötig?

In NRW entfallen laut Erlass bisher nur rund fünf Prozent der installierten Photovoltaik-Leistung auf Freiflächenanlagen (Stand Ende 2021). Auch der Bau neuer Windräder geht nur langsam voran. Denn Hürden gibt es zahlreiche. Abstandsregeln, lange Genehmigungsverfahren und weitere Gründe hatten jahrelang für Verzögerung gesorgt.

Nach Schätzung des Landesverbands Erneuerbare Energien (LEE NRW) werden aktuell etwa 0,7 Prozent der Fläche von NRW für Windkraft genutzt. Bis 2027 muss das Land allerdings bereits 1,1 Prozent der Landesfläche und bis Ende 2032 1,8 Prozent für die Nutzung von Windenergie ausweisen. Dazu ist NRW laut Bundesgesetz verpflichtet. Der jetzige Erlass ist ein erster Schritt, um das Zwei-Prozent-Flächenziel des Bundes zu erfüllen.

Wie ist der aktuelle Stand beim Ausbau der Windenergie?

Laut schwarz-grünem Koalitionsvertrag sollen in den kommenden fünf Jahren in NRW mindestens 1000 zusätzliche Windkraftanlagen errichtet werden. In den ersten neun Monaten des Jahres 2022 sind nach einer vorläufigen Auswertung der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) landesweit 67 neue Windenergieanlagen mit zusammen 275 Megawatt Leistung erstmals ans Netz gegangen (Stand: 05.10.2022).

Für das gesamte Jahr 2022 rechnet der Lobbyverband LEE NRW mit 90 neuen Anlagen. Hinzu kommt: In Nordrhein-Westfalen werden 2022 nur insgesamt 400 Megawatt (MW) Leistung durch Windenergie erreicht. Das sind zwar 70 MW mehr als im vergangenen Jahr, vom Ziel der schwarz-grünen Landesregierung, die jedes Jahr 1000 MW schaffen will, ist man allerdings weit entfernt.

Was plant die Landesregierung noch?

Daher arbeite die Landesregierung parallel „mit Hochdruck“ an der Änderung des Landesentwicklungsplans (LEP), um das Flächenziel des Bundes schnellstmöglich umzusetzen. Der neue Landesentwicklungsplan mit Flächenvorgaben für sechs Regionen soll im Frühjahr 2024 fertig sein. Der jetzige, für die Behörden verbindliche Erlass soll laut Ministerium „als Handlungsleitfaden in der Übergangszeit dienen“.

Die Landesregierung hat zudem im Herbst eine Taskforce zum beschleunigten Ausbau der Windenergie eingerichtet. Die ressortübergreifende Arbeitsgruppe soll Hemmnisse identifizieren und Empfehlungen vorlegen. Dazu zählt auch die umstrittene Abstandsregel: Der Mindestabstand zwischen Windanlagen und Wohngebieten ist ein jahrelanges Streitthema und behindert nach Ansicht von Umweltverbänden den Ausbau der Windenergie.

Kurz vor Weihnachten hat die schwarz-grüne Regierungskoalition einen Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht, der die Abschaffung der pauschalen 1000-Meter-Abstandsregel zwischen vollständig erneuerten sogenannten Repowering-Anlagen und Wohngebäuden vorsieht. Auch damit soll der Ausbau der Windkraft vorangetrieben werden. 

Was spricht für die Nutzung von Waldflächen?

Der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) bewertet die Erleichterungen beim Ausbau von Wind- und Solarenergie als durchweg positiv. Geschädigte Waldflächen für den Ausbau der Windkraft zur Verfügung zu stellen sei ein Punkt, den der Verband bereits seit Jahren gefordert habe, sagte Sprecher Ralf Köpke dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

„Dass die Kalamitätsflächen für die Windkraft freigegeben wurden, ist zwar nicht der entscheidende Schlüssel, aber es ist ein Baustein.“ Denn Nordrhein-Westfalen brauche diese Flächen, um die vom Bund gesetzten Ziele zu erreichen. „Und diese zerstörten Flächen stehen ja zur Verfügung. Auch die Waldbauern sagen: bis dort ein neuer Wald entsteht, dauert es mehrere Jahrzehnte. Warum sollte man sie also nicht für Windkraft nutzen?“ 

Der Lobbyverband fordere zudem, dass auch die Nutzforste für die Windenergie geöffnet werden. „Es gibt ja diverse Punkte, die die Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hat, zum Beispiel die Nutzung von Industrie- und Gewerbeflächen. Das sind alles Mosaiksteine, die dazu beitragen, das Flächenziel Stück für Stück abzuarbeiten“, so Köpke. Insgesamt beobachte er, dass durch mehrere im vergangenen Jahr beschlossene Gesetze langsam eine Dynamik beim Ausbau der Erneuerbaren aufkomme, diese müsse jedoch noch wesentlich mehr an Fahrt gewinnen. „Bis diese Gesetze allerdings wirken, wie zum Beispiel neue Flächenausweisung oder schnellere Genehmigungsverfahren, wird es dauern. Was nun entscheidend ist, ist, dass all die Ankündigungen und Gesetze, die auf den Weg gebracht wurden, jetzt Wirkung zeigen.“

Was spricht dagegen?

Kritik an der Nutzung von Waldflächen für die Windenergie kommt hingegen von Naturschutzverbänden. Die Öffnung von Kalamitätsflächen stelle den Wert des Waldes als Helfer beim Klimaschutz und seine Bedeutung als wertvoller Lebensraum infrage, kritisierte der Naturschutzbund (Nabu) NRW schon Anfang des Jahres entsprechende Planungen der Landesregierung. „Aus ökologischer Sicht ist dies eine fatale Fehlentwicklung“, sagte NABU-Landesvorsitzende Heide Naderer. Der bereits geschädigte Wald verdiene den höchsten Schutz statt die höchste Priorität als mögliche Gewerbefläche.

Denn auch durch Dürre, Sturm oder Borkenkäfer zerstörte Waldflächen lieferten einen wichtigen Beitrag im Ökosystem und ließen sich zudem zukünftig durch Wiederbewaldung und Naturverjüngung zu wertvollen Mischwaldbeständen entwickeln. „Bevor Wald in Gewerbegebiete umgewandelt wird, müssen zunächst die bestehenden Potenziale ökologisch weniger bedeutsamer Flächen in NRW ausgeschöpft werden“, mahnte Naderer an. Dazu zählten die gewerblich und industriell genutzten Flächen. (mit dpa)

KStA abonnieren