RechtskolumneWann Beweise vor Gericht unbrauchbar sind

Auch im deutschen Strafrecht darf die Wahrheit nicht um jeden Preis erforscht werden.
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- In unserer Serie „Recht und Ordnung“ befassen wir uns mit juristischen Themen aller Art – und verschaffen Ihnen mehr Durchblick im Paragrafen-Dschungel.
- Eine Staatsanwältin, ein Rechtsanwalt und zwei Rechtsanwältinnen erläutern regelmäßig aktuelle Rechtsfragen.
- Diesmal erklärt Staatsanwältin Laura Hollmann, in welchen Fällen Beweise in Gerichtsverfahren nicht verwertet werden dürfen.
Köln/Düsseldorf – Kommt es in den USA bei Ermittlungen nach einer Straftat zu einem Verstoß gegen Verfahrensvorschriften, dürfen sämtliche Beweise, die in der Folge gefunden wurden, im Prozess nicht verwertet werden. Dieser Grundsatz ist unter Juristen als „Fruit of the Poisonous Tree Doctrine“ (Frucht des vergifteten Baumes) bekannt.
Der Name erschließt sich sofort: Wird etwa ein Geständnis unter Androhung von Folter erwirkt, ist nur diese Aussage des Beschuldigten für die Hauptverhandlung unbrauchbar, sondern auch sämtliche Beweismittel, die beispielsweise bei einer darauffolgenden Durchsuchung erlangt wurden. Dieser Grundsatz wurde in den USA bereits 1939 durch ein Urteil des Obersten Gerichts entwickelt und dient dort in erster Linie der Disziplinierung der Strafverfolgungsbehörden.
Wahrheit nicht um jeden Preis erforschen
In Deutschland wurde die Doktrin nicht übernommen. Damit besteht bei uns die „Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten“ – so die abstrakte Formulierung - nicht grundsätzlich. Doch auch im deutschen Strafrecht darf die Wahrheit nicht um jeden Preis erforscht werden. Zwar gilt – anders als im Zivilrecht oder in US-Strafprozessen – im Strafprozess der sogenannte Untersuchungsgrundsatz, wonach das Gericht den wahren Sachverhalt ermitteln und nicht nur die Vorträge der Anklage und der Verteidigung bewerten soll.
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Laura Hollmann
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Laura Hollmann ist als Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf tätig und dort für erwachsene Intensivtäter und Umfangsverfahren zuständig. Sie ist sie stellvertretende Pressesprecherin der Behörde.
Allerdings hat der Gesetzgeber dieser Aufklärungspflicht Grenzen gesetzt, insbesondere um die Rechte von Beschuldigten zu wahren und die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens zu gewährleisten. Werden demnach während der Ermittlungen Verfahrensvorschriften verletzt, zum Beispiel ein Beschuldigter ohne hinreichende Belehrung vernommen oder eine Wohnung ohne Gerichtsbeschluss durchsucht, dann kann dies zu einer Unverwertbarkeit der unmittelbar gewonnenen Beweismittel führen. In den genannten Beispiel wären das etwa ein Geständnis oder die in der Wohnung aufgefundene Tatwaffe.
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Geständnis eines Mordes ohne Belehrung
Zu der Frage, in welchen Fällen eine Verwertbarkeit tatsächlich ausgeschlossen ist, haben Rechtsprechung und Literatur eine Vielzahl unterschiedlicher Regeln und Theorien entwickelt. Einigkeit besteht grundsätzlich darüber, dass mittelbar gewonnene Beweismittel in der Regel verwertbar sind. Während also – wieder im Beispiel – das Geständnis eines Mordes ohne vorherige Belehrung im Prozess außen vor bleiben müsste, dürften die Spuren an der Leiche, die auf Basis des Geständnisses gefunden wurden, verwertet werden.
Dies wird insbesondere damit begründet, dass Polizei und Staatsanwaltschaft in Deutschland verpflichtet sind, sowohl die den Beschuldigten belastenden als auch die entlastenden Umstände zu ermitteln, und dass eine disziplinierende Wirkung nicht Sinn und Zweck von Beweisverwertungsverboten ist.
Misshandlung, Quälerei und Hypnose
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Eine Ausnahme hat die Rechtsprechung bisher etwa im Zusammenhang mit unzulässigen nachrichtendienstlichen Tätigkeiten gemacht. Erörtert wurde die Annahme einer Fernwirkung zudem bei verbotenen Vernehmungsmethoden wie Misshandlung, Quälerei oder Hypnose. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu aber entschieden, dass zwischen der Schwere der begangenen Rechtsverletzung und der Bedeutung des Tatvorwurfs abzuwägen ist, und eine grundsätzliche Fernwirkung abgelehnt. Auch wenn es im Ermittlungsverfahren zu einem Verstoß gegen Verfahrensvorschriften gekommen ist, kann ein Angeklagter daher in Deutschland nach Würdigung aller verwertbaren Beweise wegen einer begangenen Tat verurteilt werden.
Auch die US-amerikanische Rechtsprechung hat eine Lösung entwickelt, um Beweise doch verwerten zu können: Über die Theorie des „Hypothetical Clean Path“ (hypothetisch sauberer Weg) können Beweismittel gegebenenfalls eingeführt werden, wenn dargelegt wird, dass sie auch auf rechtmäßigem Weg gefunden worden wären.