RechtsfrageWie weit darf ein Familienrichter gehen, um das Kindeswohl zu schützen?

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Eine Schülerin sitzt mit ihrer Maske neben ihrem Etui, das auf ihrem Tisch in der Klasse liegt.

Maske, Abstand, Hygienemaßnahmen – so sah der Unterricht zur Corona-Hochzeit aus.

Ein Weimarer Richter kippte Corona-Schutzmaßnahmen, um Kinder zu schützen. Dafür kam er selbst vor Gericht. Zurecht?, fragt Frauke Rostalski.

Ein Weimarer Familienrichter hält auf dem Höhepunkt der Pandemie Corona-Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht und Abstandsgebote an Schulen für eine Gefährdung des Kindeswohls. Er sucht aktiv nach Eltern, die sich gegen die Maßnahmen wehren wollen, hilft ihnen bei den Anträgen und benennt Sachverständige, die sich bereits kritisch zum Thema geäußert haben. Mit seiner Entscheidung kippt er an mehreren Schulen die Corona-Schutzmaßnahmen. Die Anordnung wird schnell kassiert, dennoch beschäftigt sie bis heute die Justiz.

Frauke Rostalski

Frauke Rostalski

Professorin für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität zu Köln.

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Das Landgericht Erfurt hat den Familienrichter kürzlich wegen Rechtsbeugung schuldig gesprochen und ihn zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Für den Angeklagten heißt das: keine Haft, doch aber Verlust seiner Arbeitsstelle und all seiner Pensionsansprüche. Weil er kurz vor der Rente steht, handelt es sich dabei um eine gravierende Folge. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Als nächstes hat der Bundesgerichtshof zu entscheiden.

Schon deshalb lohnt ein Nachdenken darüber, ob die Verurteilung zu Recht ergangen ist. Dabei geht es nicht etwa darum, ob man das Verhalten des Richters persönlich moralisch missbilligt – zum Beispiel weil man sich im Kulturkampf um die richtige Coronaschutzpolitik eher im „Team Vorsicht“ einordnet. Für die Richtigkeit des Urteilsspruchs kommt es allein darauf an, ob die Voraussetzungen des Straftatbestandes der Rechtsbeugung erfüllt sind.

Rechtsbeugung ist deshalb strafbar, weil sie das Vertrauen in die Rechtsordnung stark erschüttert.

Das Landgericht Erfurt bejaht das. Aber nicht etwa, weil die Entscheidung, die Coronaschutzmaßnahmen an Schulen zu kippen, falsch gewesen sei, nein: dies sei „vertretbar“ gewesen. Anstoß nimmt das Gericht vielmehr daran, wie der Angeklagte sein Verfahren betrieben hat und bewertet dies als Befangenheit. Wer von Anfang an vorhat, eine Entscheidung in einer bestimmten Weise zu fällen und sich nicht offen zeigt gegenüber möglicher Kritik, ist voreingenommen.

Unabhängig davon, ob dies auf den Weimarer Familienrichter im konkreten Fall tatsächlich zutrifft, ist aus strafrechtlicher Sicht zu fragen: Reicht das für eine Rechtsbeugung? Die Frage stellen, heißt, sie verneinen.

Rechtsbeugung ist deshalb strafbar, weil sie das Vertrauen in die Rechtsordnung stark erschüttert. Um die richterliche Unabhängigkeit aber nicht von vornherein durch Drohung mit dem Strafrecht zu erheblich einzuschränken, bedarf es für die Strafbarkeit eines elementaren Rechtsverstoßes. Ein solcher kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auch dann vorliegen, wenn ein befangener Richter aus sachfremden Erwägungen eine rechtlich vertretbare Entscheidung trifft. Das kann der Fall sein, wenn der Richter durch die Entscheidung einem Freund einen Gefallen tun will. Der Weimarer Familienrichter müsste also mit seiner Entscheidung sachfremde Motive verfolgt haben. Gerade dies ist aber nicht der Fall.

Familienrichter müssen von Amts wegen den Schutz von Kindern verfolgen und Gefahren von ihnen abwenden – auch durch eigene Ermittlungen.

Sein Interesse war es allein, Kindeswohlgefährdungen abzuwenden. Genau dies gibt das Gesetz selbst Familienrichtern auf. Sie müssen von Amts wegen den Schutz von Kindern verfolgen und Gefahren von ihnen abwenden – auch durch eigene Ermittlungen. So kommt es in solchen Verfahren beispielsweise gar nicht auf die Anträge von Eltern an.

Auch wenn man das Vorgehen des Weimarer Richters kritisch beurteilt: Seine Motivation folgte dem gesetzlichen Leitbild des für das Kindeswohl zuständigen Richters. Ein Familienrichter, der nach seiner Vorstellung vom Schutz des Kindeswohls eine rechtlich vertretbare Entscheidung trifft, begeht keine Rechtsbeugung. Der Angeklagte hätte freigesprochen werden müssen.

Dieser Text ist eine Folge unserer Rechtskolumne „Recht & Ordnung“. In dieser Serie schreiben Staatsanwältin Laura Neumann (Düsseldorf) sowie die Rechtsanwälte Pia Lorenz („Beck aktuell“), Martin W. Huff (ehem. Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln), Christian Solmecke (Partner der Kölner Medienrechtskanzlei WBS.Legal) und Thomas Bradler (Verbraucherzentrale NRW, Leiter Markt und Recht). In ihren Kolumnen geben sie Auskunft zu oft kniffligen Fragen des Rechts, können aber keine Rechtsberatung bieten oder in konkreten Fällen den Gang zu einem Anwalt ersetzen. Haben Sie eine Frage an unsere Experten? Dann schreiben Sie uns eine Mail an: recht-und-ordnung@kstamedien.de

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