Abschied vom Kölner HitzesommerNoch ein letztes Mal Strand-Gefühl am Escher See

Der Escher See
Copyright: Martina Goyert
Köln – Hinsetzen, Leute beobachten, Geschichten entdecken. Fotografin Martina Goyert und Autor Uli Kreikebaum hören außerdem zu und fragen nach, schreiben auf. 90 Minuten, irgendwo in Köln. Aus einem anonymen Stadtbild werden Geschichten. Das ist die Idee hinter der Serie „Momentaufnahme“. Diese Folge: ein Nachmittag am Escher See.
17 Uhr

Über 4000 Menschen sind an einigen heißen Juli-Tagen zum Escher See gepilgert.
Copyright: Martina Goyert
Wie Staub hat sich die Nachmittagswärme über den Strand gelegt, die Wetterapp zeigt 29 Grad, die Sonne glitzert auf dem Wasser, es riecht nach Sonnencreme und flüchtigem Sommerglück, im Wasser knutscht ein Paar, doch zwischen Palmen, Handtüchern und mietbaren Himmelsbetten ist viel weißer Sand. 500 oder 600 Menschen verteilen sich am vielleicht letzten Hochsommertag über den Sundown Beach in Esch. Die Sonne hat Wirkung gezeigt in diesem Hitzesommer, auf der Haut wie im Badeverhalten. „Die Leute sind verwöhnt von den Wochen mit über 30 Grad, an Tagen wie heute gehen sie lieber Käffchen trinken“, sagt Beach-Club-Betreiber Denis Delic. Kaum ist es ein paar Wochen richtig heiß, ist ein normaler Hochsommertag für viele kein Badetag mehr. „Für uns wäre ein Sommer mit konstant 25 Grad eigentlich besser“, sagt Delic, „aber ich will nicht klagen. Wir hatten knapp 70 000 Gäste, und das, obwohl ich erst am 15. Juni aufgemacht habe.“
17.15 Uhr

Vladi bei der Badeaufsicht
Copyright: Martina Goyert
Über 4000 Menschen sind an einigen heißen Juli-Tagen zum Escher See gepilgert, hier und da hat ein Gast zu viel Sonne oder Tequila-Bier abbekommen, eine Mülltonne hat gebrannt, ein paar Hundert Badegäste sind von den dieses Jahr besonders zahlreichen Wespen gestochen worden, „sonst ist eigentlich wenig passiert“, sagt Delic. Einmal musste der Rettungswagen kommen, vergangene Woche war Rettungsschwimmer Vladi im Einsatz – ein Mann hatte einen Oberschenkelkrampf und rief panisch um Hilfe – „allerdings nicht auf Deutsch“, sagt Vladi, der zehn Jahre Leistungsschwimmer war und wie alle anderen Mitarbeiter des Clubs auch in der Serie „Die Rettungsschwimmer von Malibu“ mitspielen könnte – wenn es nur nach Muskelpaketen und coolen Blicken ginge. „Der Mann hatte einen Schock und schon angefangen, Wasser zu schlucken, aber wir waren nach wenigen Sekunden bei ihm“, erzählt Vladi. „Ein Badender war mit seiner Luftmatratze in der Nähe, da haben wir ihn draufgelegt, das war leichter, als den Mann ans Ufer abzuschleppen, aber das wäre sonst natürlich auch kein Thema gewesen.“
17.23 Uhr

Wespen mit Nektarinenkern
Copyright: Martina Goyert
„Krass, ist das kalt!“, kreischt eine junge Frau, die ihrem Sohn in den See folgen will. Krass kalt heißt heute 24 Grad Wassertemperatur, die Frau entscheidet sich vernünftiger Weise, nur bis zu den Kniekehlen reinzugehen. In dem Moment, in dem sie wieder rauskommt, versucht eine junge Sonnenanbeterin mit bronzefarbener Haut und hellblonden Unterarmhärchen, einen Nektarinenkern im Mülleimer unterzubringen und zielt daneben. Der Kern bleibt im Sand liegen und wird Sekunden später von Wespen belagert, eine Freundin der Werferin schleudert ihre Bananenschale in den Sand, ohne auf den Mülleimer zu zielen. Die Mädels lachen meckernd, strecken sich in Fotopose auf ihren Handtüchern aus und präsentieren Bikinistreifen, Nabelpiercings und Tätowierungen.
17.37 Uhr
Jarad, ein hagerer Mann mit melancholischen Augen, harkt Zigarettenkippen aus dem Sand. Es ist sein erster Tag als Hilfsarbeiter am Strand – und vielleicht schon sein letzter. Am Freitag soll der Hochsommer Vergangenheit sein, Denis Delic wird den Club für dieses Jahr schließen, „es sei denn, im September kommt die Hitze nochmal zurück“. Der Müll sei ein Problem, sagt Delic, alle vier oder fünf Tage habe er an den heißen Tagen 50 Mülltonnen abholen lassen. „Und je voller es ist, desto mehr schmeißen die Leute einfach in den Sand.“ „Beim Kippen einsammeln kommt man sich vor, als wolle man den Kopf einer Medusa abschlagen“, sekundiert Lebensretter Vladi. „Es tauchen ständig Neue auf, die irgendwie immer mehr werden.“
17.52 Uhr

Familie in Urlaubsstimmung
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„Ich finde es ein bisschen entwürdigend und grotesk, dass hier Mitarbeiter den Müll der Leute aufsammeln müssen“, sagt Britta, die mit ihrem Mann Martin und Tochter Lina den „vielleicht ja letzten richtigen Sommertag“ genießt. „Warum kann nicht jeder selbst sein Zeug wegschmeißen?“ Martin hat eben versucht, die Plastikbarriere des Freibadbereichs zu überwinden. „So, wie er da mit der Körperbalance gekämpft hat, hätte er es in Ups – die Pannenshow schaffen können“, sagt seine Frau lachend. Die Familie aus Lohmar war im Urlaub auf der griechischen Insel Skiathos, wo Martin vor 20 Jahren um Brittas Hand angehalten hat. „Da gibt es auch überall karibische Buchten“, sagt Britta. Das „auch“ hätte Denis Delic sicher gern gehört. Mit Palmen und weißem Sand, Lounge-Musik, Sesseln, einem Beachvolleyballplatz, Bars mit Aperol Spritz, Hugo und Vodka Red Bull, jungen Gästen und smarten Mitarbeitern hat Denis Delic einen eher unscheinbaren in einen angesagten Ort verwandelt, dem Banalen Bedeutung gegeben.
18.02 Uhr

Aimen und Daniel beim Chillen
Copyright: Martina Goyert
„Es ist echt fast wie auf Ibiza hier, da war ich vor zwei Wochen“, sagt Aimen (33), der mit seinem Kumpel Daniel (34) aus Düren angereist ist. „Die Leute sind top drauf, jung, gechillt, ich bin tierisch begeistert.“ Die Jungs sind im Schnitt ähnlich muskulös wie Aimen und Daniel, die Mädels schlank und langhaarig wie Maike (23) und Isa (29), die „nur mit den Füßen ins Wasser gehen, weil wir sonst nicht mehr trocken werden“. Nach Esch komme sie, „weil ich Chlorwasser nicht mag“, sagt Isa, dass man außer Wasser keine eigenen Getränke mitbringen dürfe, findet sie nicht so toll. „Man wird hier sehr schnell ziemlich viel Geld los.“ Der Strand ist, was sein Name Sundown Beach Club schon sagt: nicht Badeanstalt für Schwimmer, sondern Beachclub für Heimaturlauber; und gleichzeitig Laufsteg für Sonnen- und Selbstanbeter, der allerdings auch Familien und Leuten über 40 gefällt.
18.22 Uhr

Gaby sucht Zerstreuung.
Copyright: Martina Goyert
Gaby telefoniert mit einer Freundin und raucht. Die 51-Jährige interessiert das Getöse am Strand nicht. Sie sitzt direkt am Wasser und sieht nicht die Jugend, die um sie herum das Leben und sich selbst genießt. Die 51-Jährige aus Bickendorf hat vor einer Woche Agachen verloren, ihre nicht mal fünfjährige französische Bulldogge. „Vor einem Jahr ist mein Verlobter gestorben, an einer Lungenembolie, er lag im Bett neben mir.“ Am Wasser könne sie ein bisschen zur Ruhe kommen, sagt Gaby. „Ich will hier gar nicht richtig am Leben teilnehmen. Aber die Gastronomie hier dieses Jahr ist ein Quantensprung. Letztes Jahr stand nur irgendwo ein Grill rum. Jetzt ist das toll.“
18.22 Uhr
„Man kann nicht so gut schnorcheln wie in Griechenland hier, aber ich habe einen Spaten im Wasser gefunden“, sagt Ben (7), der mit Bruder Max (5), Papa Markus und Mama Katharina seinen Griechenlandurlaub in Esch verlängert. Nicht so gut schnorcheln, aber einen Spaten gefunden, das gleicht sich demnach ungefähr aus. Markus hat den Spaten allerdings eben im Mülleimer entsorgt. Rettungsschwimmer Vladi wird wenig später von einer Wespe gestochen – sein Bein schwillt dickt an.
18.30 Uhr
Die Sonne ist schon weit über den See gezogen, langsam wendet sich die Erde von ihr ab. In zwei Stunden wird sie rotorange am Escher See untergehen, für die Badegäste vielleicht zum letzten Mal in diesem Jahr. Wenn die Menschen weg sind, sammeln Denis Delic, Vladi und die anderen Mitarbeiter wie jeden Abend den Müll der Jungs und Mädels auf, für die „Sundown Beach Club“ auch bedeutet, nicht die paar Meter zum nächsten Plastikeimer zu gehen.