„Ein Kreuz brauch' ich nicht“Mit der Mutter auf der Suche nach einer Grabstätte

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„Ein Kreuz brauche ich nicht”, sagt Else Wagner.

  • Friedwald statt Friedhof: Unser Redakteur Karlheinz Wagner begleitet seine Mutter Else auf der Suche nach einer Grabstätte im Wald.
  • „Seebestattung kommt nicht in Frage, überhaupt nichts mit Wasser – ich kann nämlich nicht schwimmen,“sagt Else Wagner

Seit mein Vater tot ist, besuche ich meine Mutter wieder öfter. Diesmal ist sogar ein Ausflug geplant. Sie will sich eine Grabstelle aussuchen. Na gut, das ist mal was anderes.

Als ich Else abhole, stellt sie zunächst - wie es ihre Art ist - das Offensichtliche fest, damit das mal gesagt ist: „Da haben wir ja Glück mit dem Wetter.” In der Tat, nach all den trüben und kalten und regnerischen Tagen zuletzt lugt heute ab und zu die Sonne durch die Wolken.

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Else Wagner und Karheinz Wagner

„Ich war ja ewig nicht in Bad Münstereifel”, sagt sie auf der Fahrt dorthin und ich erzähle ein bisschen von den Outlet-Läden im Ort und dem Streit, den es darüber gegeben hatte, von den Cafés und dem Apfelkuchen an der Erft und den Nutrias, die sich zum Ärger der Stadtverwaltung am Fluss tummeln.

„Aber der Friedwald liegt ein bisschen vor der Stadt", sage ich, „nicht dass Du Dich wunderst.” „Weiß ich”, sagt sie.

Am Ende hat sich der schmale Buschhöhlenweg bis zum Iversheimer Forst hochgeschlängelt. Rechter Hand taucht die kleine St.-Antonius-Kapelle auf, ein paar Blumen, ein paar Andenken sind in dem winzigen weißen Bau verstaut, davor eine Sitzbank. Dahinter liegt der Parkplatz. Als wir da sind, sagt Else: „Wir sind da.”

Das mit dem Friedwald, das war ihre Idee, aber jetzt ist es doch etwas komisch.

Wir sind verabredet mit Ralf Heinrichs, er ist bei der Stadt Bad Münstereifel der zuständige Förster für den Friedwald - er wird uns erklären, was man über den Wald, die Bäume und die Baumbestattungen wissen muss. Also los.

Der Andachtsplatz liegt gleich an der ersten Wegkreuzung des Friedwalds und ist von entschlossener Schlichtheit. Der Jakobsweg geht hier entlang. Ein paar massive Holzbänke sind in loser Formation ausgerichtet auf ein Holzpult - dort werden Trauerreden gehalten oder Lieder gesungen. Oder es wird geschwiegen. „Jeder, wie er will und wie der Verstorbene es sich gewünscht hätte”, sagt Heinrichs und zeigt jetzt auf die dunkelgrün schimmernde Wasserfläche, die hinter dem Buschwerk und den Bäumen kaum zu sehen ist.

„Eines der beiden Maare ist inzwischen ausgetrocknet”, sagt er, „früher sind die Iversheimer zum Schlittschuhlaufen gekommen. Jetzt suchen sich die Leute aus der Gegend hier bevorzugt ihre Grabstellen aus.” Das sieht doch schon mal schön aus. Man hat von hier oben einen guten Blick über Mechernich, Zülpich und die Voreifel, aber Else ist nicht interessiert. Erstens ist sie nicht aus der Gegend und zweitens: „Seebestattung kommt nicht in Frage, überhaupt nichts mit Wasser - ich kann nämlich nicht schwimmen.”

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Hier finden die Zeremonien im Friedwald statt.

Den Scherz hatte sie zu Hause schon ein paar Mal probiert, mit mäßigem Erfolg, muss man sagen. Förster Heinrichs muss dennoch ein bisschen lachen und lobt: „Sie sind ja gut drauf.” Das stimmt. Else ist unlängst 80 Jahre alt geworden, aber das ist nicht das Problem. Das Problem war, dass ihr Mann, ein stolzer Kerl mit dem stolzen Namen Richard Wagner, sich bis zuletzt geweigert hatte, irgendwelche Vorkehrungen für den Fall seines Todes zu treffen: „Lass mich bloß in Ruhe damit.”

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Als dann das langsame Sterben begonnen hatte, war es zu spät. Und als es vollbracht war, reagierte Else so kurzentschlossen und pragmatisch, wie man es in der Zeit nach dem Krieg gelernt hat.

Dass sie Richard ins Grab ihrer Eltern dazu hat legen lassen, macht Else nicht gerade stolz - „wenn der Richard das gewusst hätte!” Aber er hatte ja nichts gesagt und sie hatte gute Gründe. Zum Beispiel finanzielle. Das Familien-Grab gab es ja bereits und eine Verlängerung der Nutzung ist deutlich preiswerter als ein neues Grab - „aber es war auch so teuer genug”, sagt sie, „das glaubt man gar nicht.” Wenn alle zusammenliegen, ist natürlich auch die Grabpflege einfacher. Zumindest fürs Erste. „Wie ich mich kenne”, sagt Else, „leb' ich bestimmt noch zehn Jahre.” Solange will sie sich kümmern und das Grab schön machen an all den Geburts-, Namens- und Feiertagen, an denen sie auf den Friedhof geht.

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Förster Ralf Heinrichs zeigt Else eine Urne.

Das ist sie ihren Lieben schuldig, findet sie. Es war daher etwas überraschend, als sie nach dem Ende der Begräbniszeremonien für Richard irgendwann mit großer Klarheit mitteilte: „Für mich will ich das so nicht.”

Katalog mit Wünschen und Vorschlägen für die Bestattung

Und sie hatte einen Katalog vorbereitet mit Wünschen und Vorschlägen für wenn es so weit ist: Keine große Beerdigung, schon gar nicht auf dem Friedhof im heimischen Eschweiler-Dürwiß; kein Sarg, kein Grabstein, kein Grabschmuck, kein Kreuz ... „Kein Kreuz?”, hatte ich daraufhin gefragt, „Du bist doch die Fromme in der Familie!”

„Das hast du immer falsch verstanden", klärte sie mich auf, „ich bin nicht fromm, sondern gläubig." Das war überraschend, da hatte ich was zum Nachdenken. „Ein Kreuz brauche ich nicht”, sagte Else weiter, „da steht ja auch nur mein Name drauf.” Und der Name könne genauso gut an einem Baum hängen.

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Namensschild an einem Baum

Vor ein paar Jahren ist der Ehemann einer Freundin von mir sehr plötzlich gestorben, und diese Freundin hatte sich daraufhin intensiv um eine alternative Beisetzung bemüht. Ich hatte Else davon erzählt und sie fand das damals schon interessant und hatte sich fast alles gemerkt.

Ohnehin, so erzählt sie, ist das Thema Friedwald im Kreise ihrer Freundinnen sehr populär - beinahe jede der Damen denkt darüber nach. Manche aus einem Mangel an Glauben, manche aus Lust an ein bisschen später Rebellion, aber fast alle, weil sie nicht wissen, wer aus den weltweit verstreuten Familien mit den meist unfrommen Kindern die Gräber eigentlich pflegen soll, wenn es mal so weit ist.

Das Friedwald-Wesen floriert

Ralf Heinrichs kennt diese Gedanken. „Hier übernimmt die Natur die Grabpflege”, sagt er und weil das genau so stimmt, klingt es gar nicht wie ein Werbespruch, obwohl es einer ist. Das Friedwald-Wesen floriert. Seit im März 2006 der Friedwald Bad Münstereifel eröffnet wurde, sind hier 6000 Menschen beigesetzt worden.

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„Ein Kreuz brauche ich nicht”, sagt Else Wagner.

„Angefangen hatten wir mit 150 Beisetzungen im Jahr”, erzählt Heinrichs, „in Spitzenzeiten waren es 750 im Jahr.” Die Nachfrage reguliert sich aber - im Juni 2011 wurde für Interessenten im Rechtsrheinischen ein weiterer Friedwald in Lohmar eröffnet. Zudem bieten auch kommunale und kirchliche Friedhöfe zunehmend alternative Formen der Bestattung an.

Ein paar Kilometer von hier gibt es im Bad Münstereifeler Stadtteil Nöthen einen Gotteswald - „aber nur für die Katholiken”, sagt Heinrichs. Im Friedwald ist Grabschmuck nicht gestattet, kein Kreuz, keine Steinplatte, kein Grabstein, Namensschilder auf Wunsch, aber auch anonyme Chiffren sind möglich. „Wir sind weltanschaulich neutral”, sagt Heinrichs. Bei der Beisetzung ist alles gestattet - Kränze, Blumen, Kreuze, Steinhaufen.

Aber all diese Beigaben verschwinden nach der Zeremonie wieder und können zum Beispiel in der kleinen Kapelle am Eingang abgelegt werden. „Hier am Baum mit der Nummer 1740”, erzählte Heinrichs, „hat einer eine Dixieland-Band spielen lassen. Zuerst gab es Bedenken, aber das war ein Fest von bemerkenswerter Fröhlichkeit.”

Der Eindruck täuscht nicht, Heinrichs kennt auf den 60 Hektar Wald jeden Baum, und das ist in diesem Fall keine Metapher. „Hier, Block 7, Baum 916, Eiche, 400 Jahre alt - unser Bestsellerbaum”, erklärt er. Es ist der mächtigste Stamm im Angebot, was sich am BHD (Brusthöhendurchmesser = Durchmesser in durchschnittlicher Brusthöhe) bemisst.

Und weil der Baum - „je älter, je größer” - wirklich etwas hermacht, haben die zehn Grabstellen zusammen 14.000 Euro gekostet. Das ist viel - „normale” Familien- oder Freundschaftsbäume kosten zwischen 3350 und 6350 Euro - im Abstand von zwei Metern um den Stamm herum werden zehn Urnenplätze bereitgehalten. Je kleiner der Baum, desto preiswerter. Wer keine zehn Grabflächen braucht, kann auch einen Einzelplatz auswählen.

„So was ist doch kein Baum”, sagt Else beim Anblick eines kleinen Stämmchens der unteren Preiskategorie, „so was will ich nicht haben.” Das habe ich verstanden. Zum Abschluss des Ausflugs sind wir dann noch ins Städtchen gefahren. Es gab Reibekuchen. „Es ist schön in Bad Münstereifel”, hat Else dann gesagt.

Über den Friedwald: Konzept und Infos

Die Friedwald GmbH ist ein Unternehmen mit Sitz in Griesheim. Das Konzept, Baumbestattungen in Zusammenarbeit mit Ländern, Kommunen, Kirchen und Forstverwaltungen anzubieten , stammt aus der Schweiz und kam im Jahr 2000 nach Deutschland. Inzwischen gibt es mehr als 60 Friedwald-Standorte in Deutschland.

Der Friedwald ist weltanschaulich neutral. Die Bestattung in der Nähe eines Baumes mag naturreligiös ausgelegt werden, das Unternehmen stützt diese Interpretation aber nicht. Die Bestattungswälder sind kartografiert, sodass Angehörige Grabstellen auch ohne Namensschild finden können.

Der Gotteswald in Nöthen ist eine kirchliche Einrichtung. „Wir dürfen nicht anonym bestatten”, sagt Helmut Müller vom Vorstand der Kirchengemeinde.

Vorgeschrieben sind 40 x 40 cm große Stein- oder Baumplatten mit den Daten der Verstorbenen. Ein Kreuz ist Pflicht. Die Grabstellen liegen an den Wegen, nicht an den Bäumen. Der Eindruck einer naturreligiösen Ausrichtung soll so vermieden werden. (khw)

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