Polizei knackt KryptohandysWie die Unterwelt entschlüsselt wurde

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Handschellen (1)

Hände in Handschellen (Symbolfoto)

Köln/Düsseldorf – Die Dealer redeten offen über ihre Geschäfte. Sali A., mutmaßlicher Boss einer Drogenbande in Recklinghausen, orderte im vergangenen Jahr über sein Kryptohandy mit der Verschlüsselungssoftware Encrochat bei seinen niederländischen Lieferanten Stoff. Mal bestellte er bei einem Geschäftspartner, der unter dem Synonym „landmelon“ firmierte, ein Kilogramm Kokain zum Preis von 32500 Euro; mal bot er einem Interessenten, der unter Legende „uniqueshore“ auftrat, 3,5 Kilogramm Amphetaminöl für 4500 Euro an. Die Drogentransfers erfolgten per Kurier bis zur Haustür.

Als die Zugänge aus den Niederlanden wegen der Corona-Pandemie schwierig wurden, mietete Sali A. einen Jeep mit deutschem Kennzeichen. Mit dem Wagen konnten die Rauschgiftboten problemlos die Ware über die Grenze nach Deutschland bringen, ohne kontrolliert zu werden. Der kosovarische Großdealer wähnte sich unangreifbar, zumal der niederländische Enrcochat-Anbieter stets garantiert hatte, dass seine Verschlüsselungskommunikation abhörsicher sei. Weit gefehlt. Mitte Mai verhafteten Drogenfahnder den 27-jährigen mutmaßlichen Bandenchef, seinen Bruder nebst anderen Komplizen. Insgesamt 21 Fälle von Rauschgifthandel listet die Staatsanwaltschaft Bochum auf.

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Symbolbild.

Es ist einer von bundesweit 2250 Encrochat-Fällen, die laut Bundeskriminalamt (BKA) und der federführenden Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main derzeit laufen. Seit es französischen und niederländischen IT-Spezialisten der Sicherheitsbehörden gelang, den codierten Chatverkehr zu knacken, füllen sich bundesweit die Strafakten. Im Frühjahr 2020 infiltrierten die Behörden einen Encrochat-Server. Monatelang konnten die Beamten des internationalen Ermittlerteams den geheimen Chatverkehr Zehntausender Krimineller mitlesen.

700 Verfahren allein in NRW

Bei Krypto-Handys wird die Kommunikation durch eine Verschlüsselung geschützt. Die Geräte wirken wie normale Mobiltelefone. Die abgeschirmten Smartphones beschränken sich meist auf den codierten Nachrichten- und Bilderaustausch. Die Kommunikation gelingt einzig zwischen identisch ausgerüsteten Handys – oft von der Marke Blackberry. Ein halbjähriges Abo plus Verschlüsselungssoftware kostet im Schnitt etwa 1500 Euro.

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Die beschlagnahmte Marihuana-Plantage in Köln.

Die Unterwelt in ganz Europa und Übersee scheint in Aufruhr, da die entschlüsselte Whatsapp-Nachrichten tiefe Einblicke in das organisierte Drogengeschäft gewähren. Wer in der Unterwelt über illegale Geschäfte konferierte, nutzte bis dato Krypto-Smartphones. Das ist nun vorbei.

Allein in Nordrhein-Westfalen laufen laut einem Sprecher des Landeskriminalamts (LKA) in Düsseldorf 700 Encrochat-Verfahren, davon befinden sich bereits 60 im offenen Bereich. Inzwischen wurden acht Kilogramm Kokain, anderthalb Kilogramm Heroin, nebst 670 Kilogramm Marihuana sowie 23 Pistolen und Gewehre beschlagnahmt.

Die Ermittler konfiszierten 23 Nobelfahrzeuge, darunter einen Lamborghini, und erwirkten Vermögensarreste in Höhe von 14 Millionen Euro. 140 Beschuldigte wanderten bereits in Untersuchungshaft. So etwa Bosse des kurdisch-libanesischen Miri-Clans in Dortmund. 40.000 ausgelesene Chatdateien dokumentieren das ganze Ausmaß der Machenschaften.

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Die Sippe um den immer noch flüchtigen Bandenchef Esmat E., alias Sammy Miri, fühlte sich so unangreifbar, dass sie Fotos von Koksblöcken via Kryptohandy postete. Die Großfamilie hatte den Drogenhandel gut organisiert. Einer der inhaftierten Brüder dirigierte die Kokainköche, die den Stoff für den Straßenverkauf streckten. Ferner fand die Kripo Hinweise, dass der Dortmunder Clan hunderte Kilogramm Stoff aus Brasilien über den Seeweg nach Sevilla, Hamburg oder Antwerpen anlandete und nach NRW geschleust haben soll.

750 Haftbefehle vollstreckt

Bundesweit wurden laut BKA und Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main rund 750 Haftbefehle vollstreckt. Knapp 3,2 Tonnen Cannabis, etwa 320 Kilogramm synthetische Drogen, über 125500 Ecstasy-Tabletten, fast 400 Kilogramm Kokain und 10 Kilogramm Heroin wurden sichergestellt sowie 168 Millionen Euro beschlagnahmt. BKA-Ermittlungsleiter Christian Hoppe zufolge lieferte die ausgewerteten Chats ein komplettes Bild über den Drogenmarkt. „Von den Rauschgiftlieferanten über die Logistiker der Einfuhr und der Verteilung in Deutschland bis hin zu deren Abnehmern konnten wir mit einem Schlag alle Tatbeteiligten ausmachen.“

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Die Räuber betrieben auch eine große Cannabis-Plantage in Köln.

Längst bedient sich auch die italienische Mafia kryptierter Mobiltelefone, um wichtige Angelegenheiten zu besprechen. Bei einer Razzia im Dezember 2018 gegen einen Drogenring der kalabrischen ’Ndrangheta, der an Rhein und Ruhr eine halbe Tonne Kokain verschoben haben soll, wurden 108 Mobiltelefone beschlagnahmt, ein Großteil mit Verschlüsselungssoftware.

Unklare Rechtslage

Zum ersten Mal konnten IT-Forensiker im BKA nach gut einem Jahr einen Teil der codierten Chatnachrichten wieder lesbar machen. Etwa Gespräche des mutmaßlichen ’Ndrangheta-Bosses Guiseppe M.. Der Kalabrese berichtete von einem verheißungsvollen Kontakt in Rotterdam: Da sei ein Marokkaner, der ihm neben Kokain auch Crack für 18000 Euro pro Kilo angeboten habe. Seine Partner jubelten, schließlich herrschte gerade etwa Knappheit auf dem Drogenmarkt. Es sei der pure Wahnsinn, dass er den Marokkaner aufgetan habe, antwortete ein Mafioso via Chat – „dann werden wir reich“. Inzwischen dienen die Gesprächsverläufe als Beweismittel im Prozess gegen die Mafia-Bande um Guiseppe M. vor dem Duisburger Landgericht.

Encrochat-Verfahren sorgen in den Gerichtssälen für enormen Auftrieb. Dabei streiten die Prozessbeteiligten häufig über die Frage, ob die ausgewerteten Chatprotokolle verwertbar sind. In Berlin schmetterte eine Strafkammer eine Encrochat-Anklage ab. Die Richter ließen den verdächtigen Drogenhändler frei. Und zwar mit der Begründung, die kompromittierenden Daten seien ohne konkreten Tatverdacht abgeschöpft worden. Ein Novum in der Rechtsprechung. „Sollte dieser Richterspruch Schule machen, können wir im Kampf gegen die großen Drogenbanden einpacken“, fürchtet Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter in NRW.

Bundesgerichte entscheiden

So schlimm ist es dann doch nicht: Mehrere deutsche Oberlandesgerichte haben die entschlüsselten Chat-Beweise für rechtmäßig erklärt. Das letzte Wort in dieser Angelegenheit dürften am Ende die Bundesgerichte beziehungsweise der Europäische Gerichtshof sprechen. Strafverteidiger Burkhard Benecken, der einige Encrochat-Dealer vertritt, fürchtet indes, „dass die deutsche Justiz am Ende erneut nach dem Motto verfahren wird: Der Zweck heiligt die Mittel.“

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