Werwolf-Anklagen waren eine spezielle Form der Hexenverfolgung. Eine Historikerin gibt spannende Einblicke in die menschlichen Abgründe.
HexenprozesseSechs Schmidtheimer wurden in der Frühen Neuzeit als Werwölfe hingerichtet

Werwölfe töten und fressen Menschen auf der rechten Seite der Illustration. Links wird ein Übeltäter gefoltert, der diese Taten in Wolfsgestalt begangen haben soll. Die Aufnahme stammt aus der Wickiana, 1579, einer Sammlung von Flugblättern und Illustrationen aus dem 16. Jh..
Copyright: Repro/Erika Münster-Schröer
Es klopft. Nachdem die Tür zu einem der Häuser im 300-Seelen-Dorf Schmidtheim aufgestoßen wurde, tritt der Gerichtsbüttel ein. Im 17. Jahrhundert nennt man so einen Gerichtsdiener. Und dieser Mann trägt in etwa folgende Anklage vor: Der Familienvater stehe im Verdacht, ein Werwolf zu sein. Mehrere Menschen aus dem Ort hätten das bezeugt. Der Angeklagte solle jetzt unverzüglich mitkommen.
Er wird von seiner Familie getrennt und muss die Nacht in einem Turm oder Kellerverlies verbringen. Häufig schon am nächsten Tag wird er bei derartigen Beschuldigungen einem Gericht vorgestellt, das seinen Fall beurteilt.
Ab diesem Zeitpunkt gibt es zwei Optionen. A: Der Angeklagte räumt ein, sich in einen Werwolf verwandelt zu haben. Oder B: Der Angeklagte räumt nach Folter ein, ein Werwolf zu sein. Das Resultat ist dasselbe: eine grausame Hinrichtung vor den Augen der gesamten Dorfgemeinschaft, inklusive seiner Familie.
Erika Münster-Schröer hat Dokumente aus Schmidtheim untersucht
Was hier geschildert wird, ist der beispielhafte Ablauf einer der sechs Werwolf-Verurteilungen in der Herrschaft Schmidtheim im 17. Jahrhundert. Dreimal traf es Männer, dreimal wurden Frauen im Rahmen dieser speziellen Form der Hexenverfolgung verurteilt. Im Zeitraum von 1630 bis 1635 wurden alleine in Schmidtheim insgesamt 44 Menschen als Hexen oder Hexer hingerichtet.
Das Wissen um derartige Gräueltaten geht aus Dokumenten der Herrschaft Schmidtheim hervor, mit denen sich die Historikerin Erika Münster-Schröer auseinandergesetzt hat. Die Autorin von „Hexenverfolgung und Kriminalität“ lehrt am Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit der Universität Duisburg-Essen und pflegt Beziehungen zum Geschichtsverein des Kreises Euskirchen.
„Die Faszination an Werwölfen ist bis heute noch da“, ist die 70-Jährige sicher: „In Harry Potter oder ähnlichen Fantasy-Geschichten ist das Motiv ‚Werwolf‘ geläufig. In der Realität wurden Menschen mit echten juristischen Folgen verurteilt“, erläutert sie weiter. Doch die Anfänge, Menschen zu unterstellen, sie könnten ihre Gestalt verändern, liegen noch weit vor den Verurteilungen in der Frühen Neuzeit.
Ursprünge des Gestaltwandelns
Bereits der antike römische Dichter Ovid beschreibt in seinen Metamorphosen, wie der griechische Gott Zeus den König Lykaon in einen Wolf verwandelt haben soll. Derartige Tierverwandlungen wurden laut Münster-Schröer im 16. Jahrhundert in Form von Kupferstichen dargestellt. „Die Vorstellung des Anthropomorphismus wurde im 16. Jahrhundert ganz augenfällig“, erklärt die Historikerin: „Flugschriften verbreiteten diese Informationen. Jeder hatte davon gehört.“
Im Eifeler Raum der damaligen Zeit war nach Münster-Schröers Einschätzung zudem eine Angst vor Wölfen weit verbreitet: „Die Tiere stellten eine große Bedrohung dar.“ Abgeleitet von dem Schaden, den sie am Vieh angerichtet hätten, sei auch die Furcht vor Werwölfen gespeist worden.
Die Anklage als Werwolf war besonders schrecklich
Bei der Anklage als Werwolf handelte es sich gemäß Münster-Schröer um eine spezifische Form der Hexenverfolgung, die im 16. Jahrhundert einsetzte. „Die Tierverwandlung ist eine Vorstellung des kumulativen Hexendelikts. Dazu gehört, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen, den Hexensabbat zu besuchen oder Schadenszauber auszuüben“.
Obwohl die Tierverwandlung nur vage beschrieben wurde, stellte sie der Expertin zufolge unter den Theoretikern der Hexenverfolgung, den Dämonologen, einen besonders schrecklichen Bestandteil des Hexenprozesses dar.
Sechs Fälle in Schmidtheim mit absurden Geständnissen
Bei den sechs bekannten Fällen in der Herrschaft Schmidtheim in Dahlem mussten die als Werwolf Angeklagten vor Gericht ihre Verwandlungen beschreiben. Eine völlig absurde Aufgabe, zumal weder sie noch die anwesenden Juristen eine Ahnung von den vermeintlichen Vorgängen haben konnten, da sie nicht existiert haben. Die Erklärungsversuche der Angeklagten führt Münster-Schröer auf deren Wissenslage zurück: „Sie haben ihre Alltagserfahrungen beim Töten von Tieren eingebracht, um den Vorgang der Verwandlung vor Gericht zu beschreiben“, vermutet die Expertin.
Die Todgeweihten behaupteten etwa, der Teufel hätte sie mittels Haken und Eisen in Werwölfe verwandelt. Manche gestanden die erdichteten Taten auch ohne Folter. Einer der Beschuldigten, berichtete, der Teufel habe ihm ein Fell mit Pfoten, Eisen und Klauen übergeben. Zu einem Werwolf habe er sich aber nicht verwandelt. „Es kann sein, dass der Familienvater damit seine Kinder schützen wollte“, nimmt Münster-Schröer an.
Die Verfolgung von Werwölfen bediente verschiedene Interessen
In den Hexenprozessen von Schmidtheim soll Hexenkommissar Johannes Moeden den Vorwurf einer Tierverwandlung eingebracht haben. Weitere Beschuldigungen, dass es Tierverwandlungen gegeben habe, folgten. Den adeligen Herrschern und Juristen der Zeit war daran gelegen, so viele Menschen wie möglich zu verurteilen. Einerseits aus einem verblendeten Glauben und der Teufelsfurcht heraus, andererseits aus machtpolitischen und finanziellen Interessen. Die Mächtigen konnten mit den abschreckenden Hinrichtungen ihre Vorherrschaft untermauern.
Die Juristen und weiteren Prozessbeteiligten wurden für ihre Dienste reichlich entlohnt. „Man kannte noch keine Gefängnisstrafen oder Indizienprozesse“, sagt Münster-Schröer. Die Angeklagten seien in Gebäude gesperrt und schon am nächsten Tag vor Gericht befragt worden. Dem Geständnis sei zeitnah die Hinrichtung gefolgt.
Bei Widerspruch habe es verschiedene Grade der Folter gegeben. „Die Gerichte konnten nach Gutdünken verfahren. Von Daumenschrauben bis hin zum Peinstuhl, mit Stacheln auf der Sitzfläche und Rückenlehne.“ Eine der Angeklagten soll 20 Stunden auf dem Stuhl ausgehalten haben, dann brach ihr Wille. „Es ging darum, die Leute zu verurteilen“, stellt Münster-Schröer klar: „Eigentlich waren das alles Schauprozesse. Die Hinrichtungen waren besondere Zurschaustellungen dessen, was passiert, wenn man sich nicht nach dem Willen der Obrigkeit verhält.“
Ihren Vortrag „Werwolf-Anklagen und Hexenprozesse im Jülicher Land“ hält Erika Münster-Schröer am Dienstag, 25. November, ab 18 Uhr im Casino in Euskirchen. Anmeldungen sind über den Geschichtsverein des Kreises Euskirchen möglich.

