„Was ich anhatte“Opfer von sexualisierter Gewalt zeigen ihre Kleidung in Euskirchen

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Eröffneten die Ausstellung „Was ich anhatte“ im Kreishaus: Sacha Reichelt (v.l.), Marie Wilmes, Barbara Brieden, Christine Bär und Astrid Günther. 

Euskirchen – Ein Nachthemd, eine gewöhnliche Jeans mit einem schlichten Oberteil, ein Sommerkleid, eine schlabbrige Jogginghose. Die Installation, die derzeit im Foyer des Kreishauses zu sehen ist, rüttelt durch die Belanglosigkeit der Kleidungsstücke auf, denn diese wurden von Frauen in jener Situation getragen, in der sie Opfer sexualisierter Gewalt wurden.

„Was ich anhatte“ lautet der Titel der Wanderausstellung und nimmt damit Bezug auf ein noch immer vorherrschendes Bild von durch aufreizende Kleidung provozierten sexualisierten Übergriffen. „Dass Frauen nach ihrem Äußeren beurteilt werden, ist bedauerlicherweise tief in unserer Gesellschaft verwurzelt“, sagte Astrid Günther, Gleichstellungsbeauftragte des Kreises Euskirchen bei der Eröffnung am Montagnachmittag.

Strategie des „Victim Blamings“ entlastet die Täter

Dem Opfer an der Tat eine Mitschuld zu geben, sei jedoch besonders perfide und würde heutzutage als „Victim Blaming“ betitelt. Strafverteidiger würden sich genau diese Strategie häufig zunutze machen, um die Täter in ihrer Verantwortung zu entlasten. Astrid Günther betonte: „Frauen dürfen sich unauffällig kleiden, wenn sie das möchten, aber sie sollten es nicht müssen, um geschützt zu sein.“

Zur Eröffnung der Ausstellung trugen auch die stellvertretende Landrätin Christine Bär und Euskirchens Bürgermeister Sacha Reichelt kurze Grußworte bei. Reichelt betonte, dass vor Gericht oder in den Medien immer noch zu oft darüber beraten und spekuliert werde, ob „Opfer sich ausreichend zur Wehr oder nicht vielmehr durch Kleidung, Gesten oder Bewegungen Zustimmung signalisiert hätten“. Betroffene könne diese Haltung von einer Anzeige abhalten: „Mit fatalen Folgen für uns alle.“

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Neben den Kleidungsstücken der Opfer hängen Texttafeln. Über  QR-Codes kann  man die Schilderungen in voller Länge lesen.

Die Exponate der Ausstellung und die dazugehörenden Schilderungen stammen von Frauen aller Altersklassen und unterschiedlichster Herkunft. Das jüngste Opfer war zum Tatzeitpunkt sechs Jahre alt, die älteste Betroffene über 80. „Sie alle wollen nicht mehr schweigen und Opfer sein, sondern anderen Frauen Mut machen, sich zu öffnen“, so Marie Wilmes, die das Konzept der Installation gemeinsam mit ihrer Mutter Beatrix 2020 ersonnen hatte.

Es geht dabei nie um Sex, nur um Macht und Gewalt

In ihrer Begrüßungsansprache sagte Wilmes, dass Opfern noch immer häufig von Polizisten, Müttern, Vätern und Menschen aus dem Freundeskreis die Frage gestellt werde: Was hattest du an? Das aber sei eine klassische Täter-Opfer-Umkehr: „Die falsche Kleidung hat zur Folge, dass der Täter nicht widerstehen kann, dass er zum willenlosen, triebgesteuerten Opfer wird und somit aus der Verantwortung entlassen wird.“ Dabei gehe es bei einer Vergewaltigung nie um Sex, sondern nur um Macht und Gewalt.

Kaum ein Verbrechen werde in Deutschland seltener bestraft als die Vergewaltigung. Wilmes: „85 Prozent der Opfer bringen die Tat aus Angst und Scham nicht zur Anzeige.“ Auch verwies die junge Frau auf die Tatsache, dass mit 76 Prozent die meisten sexualisierten Straftaten in der eigenen Wohnung stattfinden.

Texttafeln und über QR-Codes

Konzept von Mutter und Tochter

Das Konzept zu der Wanderausstellung „Was  ich anhatte“ stammt von Beatrix Wilmes, Autorin und Dokumentarfilmerin, und ihrer Tochter Marie. Über soziale Medien hatten sie nach  Frauen gesucht, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden waren und nicht nur ihre Geschichte erzählen, sondern auch die damals getragene Kleidung zur Verfügung stellen wollten. 

Fast 40 Einsendungen

Aus fast 40 Einsendungen wählten die Ausstellungsmacherinnen zwölf aus und stellten sie zu einer  Installation zusammen. Zu jedem im Raum hängenden Outfit gibt es auf Tafeln oder QR-Codes die Geschichte der betreffenden Frau.  „Sie wollen nicht mehr schweigen und Opfer sein.  Alle haben ein Trauma überlebt und sind stärker geworden. Das wollen wir mit dieser Ausstellung zeigen und dadurch auch anderen Frauen Mut machen“, erklären die Ausstellungsmacherinnen.

Infos über Hilfsangebote

Im Kreishaus erhält man über den Zeitraum der Ausstellung Broschüren und Flyer  über  Hilfsangebote, Beratungsstellen und Notfalltelefone – im K reis Euskirchen und überregional. 

Bis zum 20. Mai im Kreishaus

Zu sehen ist die Ausstellung „Was ich anhatte“ noch bis zum 20. Mai. Öffnungszeiten des Kreishauses, Jülicher Ring 32: montags bis donnerstags von 8.30 bis 15.30 Uhr, freitags von 8.30 bis 12.30 Uhr sowie samstags von 8.30 bis 11 Uhr.

Zu Wort kam auch Kriminalhauptkommissarin Yvonne Dederichs: „Auch wir erleben, dass die betroffenen Frauen oftmals mit Schuldzuweisungen konfrontiert werden. Doch kein Mensch hat das Recht, gegen den Willen einer Person sexuelle Handlungen durchzuführen.“

Dederichs berichtete, dass 2021 im Kreis Euskirchen 31 Vergewaltigungen und 23 sexuelle Nötigungen angezeigt wurden. „Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiß keiner“, so die Kripo-Frau, die in diesem Zusammenhang auf die Anonyme Spurensicherung (ASS) hinwies: Wer noch nicht bereit ist, Anzeige zu erstatten, kann im Marien-Hospital Euskirchen und im Kreiskrankenhaus Mechernich anonym Tatspuren sichern lassen. „Eine Bestrafung des Täters ist nur mit einer Anzeige und einem anschließenden Ermittlungsverfahren möglich“, so Dederichs.

Besondere Regelungen zur Verjährungsfrist

Yvonne Dederichs erinnerte am Montag im Kreishaus auch daran, dass es besondere Regelungen zur Verjährungsfrist von Taten sexualisierter Gewalt gibt. „Diese beginnt erst, wenn das Opfer das 30. Lebensjahr vollendet hat“, so die Kriminalhauptkommissarin.

Die Ausstellung „Was ich anhatte“ ist ein gelungener Weg, ohne voyeuristische Attitüde einen Blick auf die erlebten Taten zu werfen und gleichzeitig entschlossenen, sehr mutigen Frauen zu begegnen, die andere Betroffene inspirieren können.

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Keine Frau wird vergewaltigt, weil sie einen kurzen Rock oder sonst ein Kleidungsstück trägt. Mutter und Tochter Wilmes geht es mit der schlichten, aber sehr aufrüttelnden Ausstellung darum, das Thema sexualisierte Gewalt aus der Tabuzone zu holen und eigene Denkmuster kritisch zu hinterfragen. „Sexualisierte Gewalt ist kein Frauenproblem, sondern ein strukturelles, gesellschaftliches“, betonte Marie Wilmes im Kreishaus. Schweigen und Wegsehen nutze alleine den Tätern, nicht den Opfern.

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