Geflüchtete mitgenommenEuskirchener waren von Flut betroffen und helfen nun Ukrainern

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In ihrem Haus in Roitzheim können Gabriele und Udo Jansen seit der Flut nicht mehr wohnen.

In ihrem Haus in Roitzheim können Gabriele und Udo Jansen seit der Flut nicht mehr wohnen.

Euskirchen-Roitzheim – „Nur die Tat zählt.“ Unter diesem Motto hat Udo Jansen einen Aufruf bei Facebook gestartet. Das Ziel: Spenden für die Ukraine zu sammeln, die er selbst an die Grenze bringen wollte. Mit den Reaktionen hat er wahrscheinlich selbst nicht gerechnet. „Es hat direkt eine Eigendynamik entwickelt“, berichtet Udo Jansen. Angefangen bei seinen Freunden, über deren Freunde und Bekannte, über E-Mails lief der Aufruf. „Leute standen einfach vor der Tür und brachten etwas vorbei“, sagt der Roitzheimer.

Schon zwei Tage, nachdem er den Aufruf in den Sozialen Netzwerken eingestellt hatte, startete die Tour. Pick-Up und Anhänger waren bis oben hin voll beladen. Womit? „Wir haben unglaublich viele Medikamente gehabt“, sagt seine Frau Gabriele.

Sie bestärkte ihn in seinem Vorhaben. „Ich habe zu ihm gesagt: Wenn, dann muss das nächstes Wochenende sein, die brauchen jetzt Hilfe“, berichtet die Roitzheimerin. Sie selbst habe im Hintergrund geholfen – um die Spenden, was benötigt werde und die Logistik.

Viele Medikamente eingepackt

Neben den materiellen Spenden hat Udo Jansen in seinem Aufruf auch nach Leuten gesucht, die mit an die polnisch-ukrainische Grenze fahren. Es hätten sich zwar vereinzelnd Leute gemeldet, so Jansen. Aber zwei Leute in einem Auto hätten weitere Einschränkungen bedeutet: „Umso weniger kann ich mitbringen.“

Damit meint er Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind und sich entschließen, sein Mitfahr-Angebot nach Deutschland anzunehmen. Als Anhänger und Auto beladen waren, wurde dem Ehepaar schon für die Hinfahrt bewusst: „Da hätte keiner mehr reingepasst“, so Gabriele Jansen.

Nur wenig Schlaf

Ohnehin musste gut überlegt werden, was mitgenommen wird. Es sei nur wenig Kleidung gewesen, sagt Gabriele Jansen. Wichtiger seien Dinge wie Babynahrung, Milchpulver, Schmerzmittel und Damenhygieneartikel gewesen. „Wir haben auch an Dinge gedacht, die man jemandem in die Hand geben kann, der entkräftet ankommt: Müsli-Riegel, Trinkpäckchen, Obst.“

Auf dem Weg zur Grenze habe er immer mal wieder angehalten, um eine halbe Stunde zu schlafen, berichtet Udo Jansen. Als die Grenze näher und näher gerückt sei, habe er sicherheitshalber noch einmal tanken wollen. Die Schlange vor der Tankstelle? Etwa 200 Meter, ein Diesel-Symbol sei auf der Tafel bereits durchgestrichen gewesen, sagt Udo Jansen. Er hatte jedoch Glück und bekam noch etwas Kraftstoff.

Fünf Stunden für 150 Kilometer

So konnte es weitergehen – zu einem Ort in Grenznähe. Im Auto hinter ihm war ein Holländer, der sich ihm angeschlossen hat. „Im Ort wusste kein Mensch etwas“, sagt Udo Jansen: „Dann sind wir weiter zur Grenze gefahren.“ Dort habe es wieder einmal Stau und sehr viel Polizei gegeben: „Ich habe noch nie so große Militärfahrzeuge gesehen.“ Im Stau hat er die nächste Bekanntschaft gemacht: Ein Pole, der ihm eine weitere Adresse gab, bei der er seine Sachen abladen könne – doch das hat nicht funktioniert. Drei Mal sei es ihm so ergangen, sagt der Familienvater. „Soll ich jetzt 1500 Kilometer wieder zurückfahren?“, sei es ihm durch den Kopf gegangen. Nein. Kurzerhand habe er Bekannte aus Euskirchen mit Familie in Polen angerufen, die ihm eine Adresse genannt haben: Eine Sporthalle in Jelcz-Laskowice.

Mit dem randvoll beladenen Pick-up hat Udo Jansen sich auf den Weg zur Grenze gemacht.

Mit dem randvoll beladenen Pick-up hat Udo Jansen sich auf den Weg zur Grenze gemacht.

Nach einer Nacht im Auto fuhr Jansen weiter. „Als ich da ankam, waren alle sehr freundlich, sie brauchten die Sachen dringend.“ Viele Familien im Ort haben laut Jansen auch Geflüchtete aufgenommen.

Und seine Aufgabe war noch nicht erledigt: „Ich habe Platz im Auto, ich kann Leute mitnehmen“, habe er zum Leiter der Sammelstelle gesagt. Eine Mutter mit Sohn entschloss sich nach einem Telefonat und Treffen, mit ihm nach Deutschland zu fahren. „Die Rückfahrt war der Horror“, sagte Udo Jansen, „in fünf Stunden sind wir gerade einmal 150 Kilometer weit gekommen.“

Ans Herz gewachsen

Zurück in Deutschland haben sie die Ukrainer zunächst bei sich aufgenommen, bevor sie bei Freunden der Familie untergekommen sind. Und trotzdem: „Wir sehen uns fast jeden Tag, wir begleiten sie jetzt“, sagt er: „Sie sind uns richtig ans Herz gewachsen.“

Warum der Roitzheimer die Strecke nach Polen auf sich genommen hat? Da muss man nur wenige Monate zurückgehen. Er und seine Frau Gabriele waren von der Flut betroffen. Sie haben nach der Katastrophe sehr viel Hilfe erfahren, sagt Jansen. Das habe ihn in seiner Entscheidung bestärkt.

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Es gebe aber noch einen Grund: „Deren Männer und Väter verteidigen die Demokratie von uns allen in Europa.“ So ist es laut Jansen eine Pflicht, dass man sich um die Frauen und Kinder kümmere.

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