Flucht vor der FlutEuskirchener Ehepaar harrte acht Stunden auf dem Garagendach aus

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Acht lange Stunden verbrachten Nadine Hilger-Lott und Dirk Lott in der Hochwassernacht auf ihrer Garage.

Acht lange Stunden verbrachten Nadine Hilger-Lott und Dirk Lott in der Hochwassernacht auf ihrer Garage.

Euskirchen-Kreuzweingarten – Diesmal sind sie vorbereitet, da waren sich Dirk Lott und seine Frau Nadine Hilger-Lott sicher. Diesmal sollte kein Wasser ins Haus gelangen, so wie 2007, als nach tagelangen Regenfällen die Erft über die Ufer schwappte und 30 Zentimeter Wasser im Keller der Lotts standen.

Im Anschluss hatte der Maurer die Terrasse eingefasst und einen Lichtschacht erhöht. Außerdem liegen im Schuppen immer 150 gefüllte Sandsäcke. Doch alle Vorkehrungen halfen nicht: Das Paar und ihr 74-jähriger Vater verbrachten in dieser Hochwassernacht acht lange Stunden auf dem Dach der Garage.

Kinder zum Glück abgegeben

Noch um 17.30 Uhr an diesem Mittwoch hatten die beiden gedacht, sie kämen mit einem blauen Auge davon. Da stand das Wasser schon auf der Josef-Gebertz-Straße. Die Zufahrt zum Kindergarten und damit auch zu ihrem Haus war aber noch frei. Erst vor Kurzem war die unterste Deckschicht aufgetragen worden.

Die beiden Söhne, zwei und sieben Jahre alt, und der Hund waren bei Verwandten untergekommen. Der 47-Jährige hatte sich angesichts der Unwetterwarnungen vorsorglich freigenommen, um die Sandsäcke vor der Haustür und den schmalen Durchgang zwischen Terrasse und Garten zu platzieren. Dabei half ihm sein Schwiegervater. Als der wieder fahren wollte, war klar: Aus Kreuzweingarten kommt er nicht mehr raus, zumal er sein Auto im schon überschwemmten Teil in Richtung Bahnhof geparkt hatte. Das sollte er an anderer Stelle wiederfinden: auf einer Wiese zwischen Kreuzweingarten und Rheder.

Durch Wohnzimmerfenster auf Garagendach gerettet

„Um 19.30 Uhr stand hier ein einziger See“, erzählt Dirk Lott. Während er sich mit dem Schwiegervater um die Verstärkung des Sandsackwalls kümmerte, stapelte seine Frau Gegenstände in Bodennähe hoch auf Tische und Schränke und packte die wichtigsten Sachen zusammen: das Familienstammbuch, Impfbücher, die Untersuchungshefte der Kinder.

Durch das Wohnzimmerfenster sind die beiden mit ihrem Vater ins Freie gelangt und dann auf die Garage geklettert.

Durch das Wohnzimmerfenster sind die beiden mit ihrem Vater ins Freie gelangt und dann auf die Garage geklettert.

Zwei Stunden später ging es dann rasend schnell. Das Haus lief voll. Die Feuerwehr sollte helfen. Auf der Leitstelle riet man dem Paar, sich in den ersten Stock zu begeben. Den gibt es in einem Bungalow, auch wenn er ein Satteldach hat, nicht. Der zweite Ratschlag: Gehen Sie aufs Dach. Doch auch das war, besonders mit einem 74-Jährigen, nicht praktikabel. Die dritte Lösung: ab auf die Garage.

Durchs Wohnzimmerfenster kletterten die drei auf die Terrasse. Dirk Lott ertastete im kniehohen Wasser die hinter der Garage abgelegte Aluleiter und stellte sie auf. Als Dritter kletterte er hoch. Doch als er auf einer Sprosse stand, brachte ein Wasserschwall die Leiter ins Wanken. Mit der einen Hand ergriff er die Hand seiner Frau, mit der anderen packte er die Leiter, um sie aufs Dach zu ziehen. „Zu dem Zeitpunkt stand unser Zaun noch.“ Doch die Kraft des Wasser war kurze Zeit später zu gewaltig und spülte den Zaun, den Spielturm, den Pool und das Trampolin in Richtung Rheder.

Bäume um die Garage knackten im Dunkeln – ohrenbetäubendes Rauschen des Wassers

„Wir hatten gedacht, dass wir vielleicht 30 Minuten da oben bleiben und wir mit einem Schlauchboot oder einem Hubschrauber gerettet werden“, erzählt Dirk Lott. Heute gibt er zu: „Wir wussten ja nicht, dass es andere Orte noch schlimmer getroffen hatte.“

Und dann kam die Dunkelheit. Als der Regen aufhörte, klarte es auf. Der Sternenhimmel war zu sehen. Aber die Geräuschkulisse war bedrohlich. Bäume um die Garage herum knackten. Ein paar Meter weiter schepperte es. Erst spät erkannten sie, dass ein Container, der vor einem Nachbarhaus gestanden hatte, durch die Vorgärten trieb. Und allgegenwärtig war das ohrenbetäubende Rauschen des Wassers.

Der letzte Rest des Bauschutts aus dem Haus der Familie, die direkt am Kindergarten in Kreuzweingarten wohnt.

Der letzte Rest des Bauschutts aus dem Haus der Familie, die direkt am Kindergarten in Kreuzweingarten wohnt.

Als Pegelmesser diente ein Mülleimer des Spielplatzes direkt neben der Garage, der auch in der Dunkelheit zu erkennen war. Doch irgendwann wurde er verschluckt. Gegen 1 oder 2 Uhr, so schätzt das Paar, stand das Wasser etwa 1,50 Meter hoch. Hinsetzen konnten sich die drei auf dem pitschnassen Dach nicht. Dirk Lott konnte aber auch nicht stillstehen. „Du hast bestimmt ein paar Kilometer gemacht“, sagt seine Frau.

Angespülter Zaun hielt gefährliches Treibgut von der Garage fern

Erst gegen 6 Uhr, nach quälend langen acht Stunden stehend auf dem Garagendach, trauten sich die drei wieder runter. „Wir sollten laut Feuerwehr bis mittags ins Haus.“ Aber im Erdgeschoss standen ja auch 60 bis 70 Zentimeter Wasser. Also nahmen sie Walking-Stöcke, um mit ihnen Hindernisse oder Löcher zu ertasten, und wagten sich ins Dorf. „Als ich meine Kinder endlich wieder gesehen habe, habe ich Rotz und Wasser geheult“, berichtet die 42-Jährige.

Erst im Nachhinein ist dem Paar bewusst geworden, dass es Glück hatte. Ein Maschendrahtzahn vom Grundstück gegenüber wurde vor die Garage gespült und hatte sich dann quer davor aufgestellt. „Darin hat sich das Treibgut verfangen“, erzählt Dirk Lott. Gegen die Garage sei nichts geprallt. Ob sie gehalten hätte? Da ist sich der Maurer nicht sicher. „In der Nacht haben wir aber keinen Gedanken daran verschwendet, dass die Garage weggespült werden könnte“, sagt er. Seine Frau ergänzt: „Da haben wir uns eher Sorgen gemacht, dass ein Baum umstürzt.“

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Eines hat sich das Paar schon 2007 geschworen: „Wenn wieder Wasser im Haus steht, ziehen wir weg.“ Momentan sind sie zu viert mit Hund in einer Zweizimmerwohnung in Kirspenich untergekommen. Ein Dauerzustand ist das nicht. Deshalb wird das Haus wieder hergerichtet. Zum Glück sind sie versichert. Zur Not würden sie auch wieder einziehen. Aber sie sind auf der Suche nach einem Haus zwischen Rheder und Bad Münstereifel, möglichst weit weg vom Wasser. Die 42-Jährige ist optimistisch: „Ich bin mir sicher: Es wird sich schon eine Tür öffnen.“

Unsere besten Texte 2021 – dieser Text ist erstmals am 13. August 2021 veröffentlicht worden.

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