Kinder fürchten den RegenMehrere Jugendeinrichtungen im Kreis von der Flut zerstört

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Vor dem Stammhaus des Kinder- und Jugendheims Haus Waltrud in der Aachener Straße in Kall liegt noch der Schutt.

Vor dem Stammhaus des Kinder- und Jugendheims Haus Waltrud in der Aachener Straße in Kall liegt noch der Schutt.

Kall/Kreis Euskirchen – „Spätestens jetzt sollte die Politik den Klimawandel und seine Auswirkungen ernst nehmen. Die Versiegelung muss gestoppt und Rückhaltemöglichkeiten gebaut werden“, fordert Helmut Puschmann, Leiter des Kinder- und Jugendheims Haus Waltrud in Kall. Seine Tochter Mona Puschmann-Zacharias sieht das genauso: „Ich hoffe, es werden Konsequenzen gezogen und die Warnsysteme verbessert.“

Das Kinder- und Jugendheim mit seinen Standorten in Kall, Hellenthal, Kamberg, Hollerath und Erftstadt-Borr ist von der Flutkatastrophe besonders stark betroffen. „Sechs Häuser wurden schwer beschädigt“, berichtet Puschmann. Er habe zwar eine Elementarschadenversicherung abgeschlossen, müsse aber pro Gebäude einen Eigenbeitrag von 20.000 Euro leisten. „Die 120.000 Euro haben wir aber nicht auf der hohen Kante liegen.“

Psychologin: „Solche Schäden alle paar Jahre kann man nicht verkraften“

Das Wichtigste sei aber, dass keiner der jungen Menschen und der Mitarbeiter bei der Flut zu Schaden gekommen sei. In der Einrichtung gibt es rund 70 Plätze für stationäre und ambulante Angebote und rund 90 Mitarbeiter.

Betroffene Einrichtungen

Im Kreis Euskirchen sind nach Angaben der Pressestelle des Kreises insgesamt sechs stationäre Jugendhilfeeinrichtungen von der Flutkatastrophe betroffen. Die Einrichtungen liegen in Euskirchen, Kall, Hellenthal, Gemünd und Schleiden.

Besonders betroffen sind neben dem Kinder- und Jugendheim Haus Waltrud auch die Corsten Jugendhilfe in Hellenthal-Reifferscheid. Dort ist laut Kreis das Hauptgebäude so stark betroffen, dass die Einrichtung Ersatzunterbringungen organisieren musste.

Auch in anderen Einrichtungen sind nach Angaben der Pressestelle des Kreises einzelne Außenwohngruppen von der Flut betroffen. (wki)

Puschmann und seine Tochter befürchten, dass sich solche Flutkatastrophen angesichts des Klimawandels häufen werden. „Dann müssen wir uns Gedanken über einige unserer Standorte machen“, sagt die 30-jährige Psychologin. Solche Schäden alle paar Jahre könne man nicht verkraften.

„Die Wassermassen waren an dem Mittwochabend rund zwei Meter hoch, und sie kamen nicht nur aus der Urft, sondern auch von den Höhen“, erzählt der Diplom-Sozialarbeiter. Er selbst sei an dem Abend mit seinem Auto gegen 21 Uhr noch „mit Ach und Krach nach Hellenthal“ gekommen. „Eine Nachbarin sagte mit am nächsten Tag, dass nur eine halbe Stunde später die Flutwelle durch den Ort gerast sei.“

Verwaltung und Stammhaus in Kall besonders stark getroffen

Besonders stark betroffen sind die Verwaltung in der Auelstraße 2 und das Stammhaus in der Aachener Straße 8 in Kall. Im Erdgeschoss des alten Fachwerkhauses in der Auelstraße wurden zwei Konferenzräume und ein Besprechungsraum sowie drei Büros, eine Küche und zwei Toiletten verwüstet.

Wie hoch das Wasser in der Verwaltung in der Auelstraße stand, zeigen Mona Puschmann Zacharias und ihr Vater Helmut Puschmann.

Wie hoch das Wasser in der Verwaltung in der Auelstraße stand, zeigen Mona Puschmann Zacharias und ihr Vater Helmut Puschmann.

Im Stammhaus, in dem neun Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren auf ein selbstständiges Leben vorbereitet werden, wurde eine Trainingswohnung im Anbau zerstört. Ein Haus weiter in der Aachener Straße 6 sind eine Wohnung für Eltern, die ihr Kind besuchen wollen, und Konferenzräume überflutet worden.

Auch im angrenzenden Gebäude, in dem eine Gruppe mit acht Jugendlichen untergebracht ist, sind der Keller und das Erdgeschoss betroffen. „In allen Gebäuden sind die Heizungen abgesoffen“, sagt Puschmann.

Beim Aufräumen über Erlebnisse gesprochen

Ein Kastenwagen und ein Autoanhänger der Einrichtung wurden bei der Flut zerstört. „Zum Glück habe ich an dem Abend noch sechs weitere Autos vom Parkplatz hinter die VR-Bank gefahren. Dabei stand ich aber schon bis zu den Knien im Wasser“, berichtet Puschmann. „Wir hatten zwar mit Hochwasser gerechnet und die Server hochgestellt. Aber so eine Katastrophe hatte niemand auf dem Schirm“, sagt Puschmann-Zacharias.

Scheiben gingen zu Bruch, die Sandsäcke konnten nicht mehr helfen. Im Hintergrund fließt jetzt friedlich die Urft.

Scheiben gingen zu Bruch, die Sandsäcke konnten nicht mehr helfen. Im Hintergrund fließt jetzt friedlich die Urft.

In der Nacht hielt ihr Vater so gut es ging Kontakt zu den Mitarbeitern in den verschiedenen Einrichtungen. Am nächsten Morgen habe man dann in der Verwaltung einem Trümmerhaufen gestanden, in dem nichts mehr funktioniert habe. „Wir hatten viel Arbeit vor uns und mussten unter anderem schnell die besorgten Eltern und die Jugendämter informieren“, sagt die 30-Jährige. Kurzzeitig habe man sogar eine Gruppe auslagern müssen, weil es in dem Gebäude keinen Strom gab und die Heizung kaputt war.

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Dankbar sind seine Tochter und er für die große Hilfsbereitschaft nach der Katastrophe. „Rund 30 fremde Helfer haben tagelang angepackt. Das war schon sehr ergreifend“, sagt der Diplom-Sozialarbeiter. „Alleine hätten wir für das Aufräumen wohl Monate gebraucht.“ Auch die Mitarbeiter und die Jugendlichen hätten geholfen. „Alle waren noch sehr geschockt und haben viel über ihre Erlebnisse gesprochen“, erzählt Puschmann-Zacharias.

„Man kann im Alltag spüren, dass die Menschen traumatisiert sind“

„Die Katastrophe hat für viele traumatische Erlebnisse gesorgt. Das betrifft uns alle und wird auch noch eine Weile nachwirken“, ist sich der Einrichtungsleiter sicher. „Man kann im Alltag spüren, dass die Menschen traumatisiert sind“, berichtet Mona Puschmann-Zacharias. Manche fühlten sich ohnmächtig. „Wenn die Kinder in unserer Gruppe in Hellenthal im Wetterbericht hören, dass Regen gemeldet ist, bekommen sie schon Angst. Darüber haben sie sich vorher nie Gedanken gemacht“, sagt die Psychologin.

Ihr Vater und sie haben sich vorgenommen, ein internes Hochwasserschutzkonzept mit Hinweisen für Mitarbeiter und Bewohner aufzustellen. „Wir wissen jetzt auch, was wir besser nicht mehr im Keller lagern werden“, sagt Puschmann. Man brauche aber auf jeden Fall bessere Vorwarnsysteme, um Maßnahmen ergreifen zu können.

In den Erdgeschossen und Kellern der verschiedenen Gebäude müssen Böden, Putz und die Versorgungsleitungen erneuert werden.

In den Erdgeschossen und Kellern der verschiedenen Gebäude müssen Böden, Putz und die Versorgungsleitungen erneuert werden.

„Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Schäden zu beseitigen. Dabei sind wir auch auf Spenden angewiesen“, sagt Puschmann. Nähere Informationen dazu gibt es auf der Internetseite des Heims. Für die Sach- und Geldspenden, die man bereits erhalten habe, sei man sehr dankbar, ebenso für die Urlaubsangebote für die Kinder und Jugendlichen der Einrichtung.

www.khw-kall.de

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