Kreis EuskirchenInsolvenz-Experten kritisieren komplexe Krisen-Regeln

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Experten im Insolvenzrecht: Siegfried und Jochen Müller sowie Sebastian Kindel. (v.l.)

Experten im Insolvenzrecht: Siegfried und Jochen Müller sowie Sebastian Kindel. (v.l.)

Kreis Euskirchen – „Viele Privatpersonen, aber auch kleine und mittelständische Unternehmen kennen sich im Insolvenzrecht nicht aus“, beklagt Siegfried Müller von der gleichnamigen Kanzlei für Insolvenzverwaltung in Mechernich. Das liege nicht nur an einigen neuen gesetzlichen Regelungen, sondern auch an den in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie getroffenen Maßnahmen. Deshalb sei es gerade jetzt besonders wichtig, Bescheid zu wissen und das Überleben eines Betriebs nicht leichtfertig zu gefährden. „Mir geht es aber auch darum, den Menschen die Angst vor einem Insolvenzverfahren zu nehmen. Und ihnen die Chancen aufzuzeigen, die darin liegen“, betont der Insolvenzverwalter.

„Ich habe mich jetzt mit einem Einzelhändler unterhalten, der zurzeit kein Einkommen hat und der sich die Steuerzahlungen und Krankenkassenbeiträge stunden lässt“, berichtet Müller. Nun müsse der Mann eine Stromnachzahlung in Höhe von 1000 Euro bezahlen und wisse nicht mehr, wie es weitergehen solle. „Der war froh, dass ich mit ihm über die Möglichkeiten gesprochen habe, die ihm das neue Insolvenzrecht bietet“, sagt Müller.

Regeln sind in Corona-Pandemie komplexer geworden

Infolge der Corona-Pandemie seien viele Unternehmen insbesondere aus Gastronomie, Einzelhandel und körpernahen Dienstleistungen wie Friseure, Kosmetik- und Massagestudios in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Ein Großteil dieser Betriebe habe die Rücklagen aufgebraucht und könne absehbar die Rechnungen nicht mehr bezahlen. „Da geht es dann um die wirtschaftliche Existenz“, sagt Müllers Sohn Jochen, der wie Sebastian Kindel auch in der Kanzlei arbeitet.

„Viele Geschäftsführer von GmbHs gehen davon aus, dass wegen Corona die Antragspflichten bei Insolvenz generell ausgesetzt sind“, erläutert Jochen Müller. Das sei aber nur zu Beginn der Pandemie der Fall gewesen und gelte mittlerweile nicht mehr für die Insolvenzgründe Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung.

„Seit dem 1. Januar gilt die Aussetzung nur noch für Unternehmen, die bisher vergeblich auf Corona-Hilfe warten“, führt Insolvenzverwalter Sebastian Kindel aus. Um Risiken aus dem Weg zu gehen, sollten deshalb vor allem Geschäftsführer von GmbHs genau prüfen, ob ein Antrag gestellt werden müsse. „Denn sie haften persönlich“, so Kindel.

Viele Möglichkeiten, um einen Betrieb zu erhalten

Leider, so Jochen Müller, gebe es große Vorbehalte und Ängste vor einem Insolvenzverfahren. Dabei biete sich gerade Einzelunternehmern eine Chance, die Firma zu erhalten. Wichtig sei, dass man sich rechtzeitig Hilfe von Fachleuten hole. „Wenn man befürchtet, dass man in zwei oder drei Monaten die Rechnungen nicht mehr bezahlen kann, sollte man sich beraten lassen.“ Dann gebe es mehr Möglichkeiten zu helfen und den Betrieb zu erhalten.

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Auf jeden Fall sollten noch finanzielle Mittel und Kontakte zu Lieferanten und Kunden vorhanden sein. „Auch das Personal muss mitmachen“, unterstreicht Jochen Müller. Wenn aber schon alle privaten Mittel aufgebraucht seien, Gläubiger Druck machten und Pfändungen ins Haus stünden, sei der Zug meist abgefahren.

„Aufgrund einer seit Dezember 2020 geltenden Regelung kann man jetzt innerhalb von drei Jahren nach der Insolvenzeröffnung die Schulden wieder los werden“, berichtet der Juniorchef. Während dieser Zeit könne das Unternehmen fortgeführt werden. Gerade bei Selbstständigen aus den drei besonders von der Pandemie betroffenen Bereichen biete sich so ein Vorgehen an und sei auch üblich. Der Schuldner müsse lediglich mindestens einmal im Jahr eine Zahlung an den Insolvenzverwalter leisten, die sich an der Höhe der Pfändungsbeiträge für Arbeitnehmer in der Branche orientiere. Siegfried Müller ergänzt: „Ältere Menschen, die nachweisen können, dass sie keinen Arbeitsplatz mehr bekommen, müssen manchmal gar nichts bezahlen.“

Viele Arbeitsplätze erhalten

Gegenstände, die zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit benötigt würden, seien auch vor Pfändungen geschützt. Noch vorhandenes Vermögen müsse zwar dagegen in die Insolvenzmasse eingebracht werden, „aber Häuser oder andere Werte wie Autos sind dann ja oft ohnehin schon beliehen“, weiß Jochen Müller.

Ein weiterer Vorteil eines Insolvenzverfahrens sei, dass Gläubiger eher bereit seien, einem Vergleich zuzustimmen. „Sie können ja davon ausgehen, dass der Insolvenzverwalter die Vermögensverhältnisse des Schuldners vollständig geprüft und sie ihre Forderung nach drei Jahren ohnehin nicht mehr durchsetzen können“, erklärt der Juniorchef. Eine Insolvenz sei also eine Chance, sich zu entschulden und das Unternehmen ohne finanzielle Belastungen aus der Vergangenheit fortführen zu können.

Siegfried Müller hebt hervor: „Wir waren in der Vergangenheit oft erfolgreich und haben so auch viele Arbeitsplätze erhalten.“ Die beiden Müllers und Kindel schätzen, dass die Erfolgsquote der Kanzlei deutlich über 50 Prozent liegt.

„Nachher höre ich dann oft von Klienten, ,das hätte ich schon früher gemacht, wenn ich davon gewusst hätte’“, erzählt Kindel. Die drei Fachleute erwarten, dass die Zahl der Insolvenzen von Betrieben in den nächsten Monaten steigen wird: „Viele Unternehmen kämpfen gegen die Zahlungsunfähigkeit.“

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