Seit mehr als 70 Jahren soll kein Mitglied der SFG Wershofen einen Fallschirm gebraucht haben. Der Premierenflug war für Redaktionsvolontär Gerriet Scheben trotzdem aufregend.
Ein TraumausblickIm Segelflugzeug über die Eifel und das Ahrgebirge

Die Eifellandschaft rund um das Ahrgebirge ist auch aus der Vogelperspektive schön anzusehen.
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Das Segelflugzeug liegt vor mir, wie an den Boden gekauert. Unbeholfen steige ich nach vorne in den Zweisitzer. Das Anschnallen des Fallschirm-Rucksacks haben junge Mitglieder der Segelfluggruppe (SFG) Wershofen übernommen. Seit der Vereinsgründung 1952 sei noch kein Fallschirm gebraucht worden. Ich bin trotzdem sehr froh, ihn hinter meinem Rücken zu wissen. Unter das rechte Bein klemme ich einen Spuckbeutel, sicher ist sicher.
Chef-Fluglehrer Uwe Bodenheim setzt sich auf den hinteren Platz, von hier kann er alles lenken. Ich muss lediglich die Haube herunterklappen. „Das kann für zwei, drei Sekunden ganz ordentlich drücken“, warnt er vor, nach dem er die Checkliste vorm Start durchgegangen ist. Passt alles. Das 1030 Meter lange Seil, das an der motorlosen ASK-21 festgemacht ist, wird von der Seilwinde mit bis zu 420 PS gezogen. Dann drückt es für zwei, drei Sekunden wirklich ganz ordentlich. Die Maschine wird von 0 auf 100 beschleunigt. Meine Hände mitsamt dem Handy kleben mir am Oberkörper, Fotos müssen also warten.

Uwe Bodenheim, Cheffluglehrer bei der SFG Wershofen, fliegt seit 30 Jahren.
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Wir steigen hoch, auf rund 400 Meter Höhe, aber die Thermik will nicht so recht mitspielen. Mein Pilot sucht nach der passenden Stelle für Auftrieb. 200 Meter Höhe. Ein Instrument mit Namen Variometer, das ich vorne angestellt habe, verrät solche geeigneten Stellen mittels Piepton. Ein kurzes Geräusch. Wieder nichts. „Das ist Pech“, sagt Uwe Bodenheim. Etwas über 150Meter: Wir müssen zurück zum Landeplatz. Ich freue mich, alsbald noch einmal in den Sitz gedrückt zu werden.
Das Flugzeug will hinunter, doch die Thermik geht nach oben
Es ist so eine Sache mit der Thermik. Sie begegnet einem in alltäglichen Beobachtungen, etwa „wenn Staub aufgewirbelt wird oder ein Sonnenschirm im Freibad kurz abhebt“, nennt Uwe Bodenheim Beispiele. Sei Vereinskollege Rudolf Müller, Werkstatt- und Flugleiter bei der SFG Wershofen, erklärt sie wie folgt: „Thermik entsteht dadurch, dass die Sonne, unser Energiemotor, die Erdoberfläche erwärmt.“ Er zählt Wälder, Steine und Bebauungen, also unterschiedliche Strukturen auf – und damit verschiedene Möglichkeiten, die Wärmeenergie der Sonne zu absorbieren. „Dadurch bilden sich Hotspots, die wärmer sind als die Umgebung“, erläutert der 65-Jährige weiter.
Die warme Luft steige bei einer gewissen Temperatur auf: „Das kennt man zu Hause vom Kerzenwachs – die Kerzen dampfen ja auch nach oben aus. Das passiert hier genauso, nur großflächiger.“ Der gasförmige Wasserdampf, sprich die Feuchte in der Luft, kondensiere ab einer gewissen Höhe, und damit werde Kälte zu einer Wolke. Der Auftrieb lasse nach. Uwe Bodenheim ergänzt: „Innerhalb der Wolke steigt die Luft noch ein bisschen höher, daher türmen sich die Wolken.“ Auch das typische Hitzegewitter entstehe durch Thermik.

Das Segelflugzeug wird von der Seilwinde in die Luft gezogen.
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Warum die Thermik für den Segelflug entscheidend ist? „Ein Flugzeug ist eine Masse in der Luft, die hinunterfallen möchte“, beschreibt es Rudolf Müller: „Die Tragflügel saugen das Flugzeug in die Luft.“
„Die Thermik ist quasi der Aufzug“, verbildlicht Uwe Bodenheim: „Segelflieger in Deutschland dürfen bis zu 3000 Meter hoch fliegen.“ Aber dass die Thermik so hoch reiche, sei selten. „Bei normalen Verhältnissen fliegen wir bis zu 1500 Meter hoch über dem Flugplatzniveau. Im Gegensatz zu Airlinern fliegen wir auf Sicht.“
Kollisionswarngeräte sind die Lebensversicherung in der Luft
Es passiere äußerst selten, dass ein anderes Flugobjekt nicht wahrgenommen werde. Kollisionswarngeräte sorgten für Sicherheit. Rudolf Müller fügt an: „Die Geräte sind unsere Lebensversicherung.“
„Die visuelle Wahrnehmung ist das Entscheidende“, sagt Uwe Bodenheim: „Wenn es dennoch zu Zusammenstößen kommt, sind meistens Flugfehler die Ursache.“
Damit Kollisionen vermieden werden können, gebe es Flugregeln. Im Luftraum gelte wie im Straßenverkehr hierzulande rechts vor links. Diese Ausweichregeln für Flugzeuge seien international gültig. Auf die Frage, warum man in der Luft nicht auch nach unten oder oben ausweiche, entgegnet er, dass die Manöver mehr Zeit in Anspruch nehmen würden, als seitlich auszuweichen.
Segelfliegen ist ein Teamsport. Man braucht mindestens fünf Leute inklusive Pilot.
Uwe Bodenheim aus Ahrweiler fliegt seit 30 Jahren, mit 20 ist er Fluglehrer geworden. „Wenn man das Fliegen drin hat, ist es wie Fahrradfahren“, vergleicht er: „Wir haben Leute, die nach 30 Jahren Pause wieder angefangen haben.“ Weiter stellt der 50-Jährige fest: „Segelfliegen ist ein Teamsport. Man braucht mindestens fünf Leute inklusive Pilot.“ Weitere Funktionen auf dem Flugplatz sind die von Fluglehrer, -leiter, Winden- und Seilfahrer.

Segelfliegen ist Teamsport: Auf 10.000 Schritte kommen die Mitglieder der SFGWershofen an einem Flugtag allemal.
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Alle Mitglieder der SFG Wershofen arbeiten ehrenamtlich. Derzeit gebe es 200 Mitglieder, so Uwe Bodenheim. 70 davon seien aktive Flieger. „Wenn man Mitglied ist, zahlt man nicht für die Ausbildung“, erläutert Uwe Bodenheim. Ab 13 Jahren darf man bei der SFG Wershofen mit der Ausbildung zum Segelflieger beginnen, mit Einverständniserklärung der Eltern und nur in einem Zweisitzer. Ab 14 sind Flüge alleine möglich. „Die Ausbildung ist, je nach Engagement der Flugschüler, auf zwei bis drei Jahre ausgelegt.“
Seit den diesjährigen Osterferien werden drei Nachwuchspiloten in Wershofen ausgebildet. Geflogen wird bis Ende Oktober, danach folgt die Winterpause. Dann heißt es Theorie lernen, aber auch gemeinsame Ausflüge am Boden sind vorgesehen. „Im Winter steht die Sonne flacher, es gibt tendenziell weniger Thermik“, sagt Uwe Bodenheim. Die Zeit nutze man für die Wartung der Maschinen.
Mittlerweile gehört dem Verein das Gelände, auf dem die Segelflieger starten und landen. Das sind laut Rudolf Müller fast fünf Hektar Land. „Die Grasbahn muss gerichtet werden, das ist die gleiche Arbeit, die ein Bauer macht“, sagt er und lacht.
Aufregung und Entspannung im Segelflugzeug
„Segelfliegen ist eine deutsche Erfindung. In den 1920ern von Studenten entdeckt“, erklärt Uwe Bodenheim. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs habe man das Verbot von motorisierten Flügen damit umgehen wollen, ergänzt Rudolf Müller.

Der erste, selbstgebaute Schulgleiter der Segelfluggruppe Wershofen (Typ SG-38) flog erstmalig im Jahr 1953.
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In den 50er Jahren habe man die Segelflugzeuge im Verein selbst in Werkstätten zusammengebaut. „Sie bestanden größtenteils aus Holz“, so Rudolf Müller: „Die Beschläge musste man bestellen.“ Damals wurden die Maschinen laut Rudolf Müller mit einem Gummiseil, das von mehreren Menschen stramm gezogen worden sei, anstelle einer Seilwinde, in die Luft katapultiert.
An diesem Sommertag zieht die Seilwinde den Zweisitzer mit Uwe Bodenheim und mir wieder zuverlässig in die Luft. Der Windenstart ist erneut geglückt. Das Variometer piept – es geht weiter nach oben. Wir nehmen beträchtlich an Höhe auf, ich achte aber nicht mehr auf die genauen Meter – der Ausblick unter mir fängt mich ein.

Das rote Fädchen am Segelflugzeug zeigt die Windrichtung an.
Copyright: Gerriet Scheben
Mein Hintermann gibt mir einen Crashkurs in Ortskunde: „Auf 10 Uhr liegt Schuld. Da siehst du schön die Vulkane aus dem Boden hervorstehen. Radioteleskop Effelsberg auf 11 Uhr, brauchst du nicht fotografieren, das kommt auf Bildern von hier aus nicht rüber.“
Gegen das Druckgefühl im Ohr bekomme ich direkt einen Tipp. „Einfach schlucken, falls das nicht hilft, Nase zuhalten und schlucken.“ Dieses sogenannte Toynbee-Manöver hilft. Ich darf auch versuchen zu fliegen und finde das Ganze sehr aufregend. Nachdem die Schnauze der Maschine nach unten gesackt ist und ich uns in eine Endlosschleife geflogen habe, übernimmt Uwe Bodenheim wieder.
Er geht vollkommen auf in seinem Hobby: „Für mich ist das total entspannend. Gerade während der Flut war es wichtig für mich, mir einen Tag Auszeit zu nehmen und ihn am Flugplatz zu verbringen. Probleme und Sorgen lässt du am Boden.“
SFG Wershofen präsentiert im September wieder das Flugplatzfest
Die kostenlose Familienveranstaltung „Flugplatzfest“ findet in diesem Jahr am ersten Septemberwochenende (6./7. September 2025) statt. Segelflüge gibt es keine. Dafür kündigt die SFG Wershofen einen Oldtimer-Fly-in an, eine Art „nostalgisches Flieger-Picknick“, wie es Chef-Fluglehrer Uwe Bodenheim nennt.

Der letzte noch lebende Vereinsgründer der SFG Wershofen, Otto Betzner, machte diese Aufnahme in den 1950ern.
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Bis jetzt seien 50 Maschinen aus ganz Europa angemeldet. Außerdem sollen Kunstflüge zu sehen sein. Die SFG Wershofen organisiert das Event nach eigenen Angaben bereits seit 1957.